Donnerstag, April 25, 2024

Rechtsanspruch auf ärztliche Zweitmeinung

Der Gesetzgeber erhofft sich durch die Zweitmeinung einen Rückgang an Operationszahlen – das sollte den Patienten klar gemacht werden.

Seit knapp einem Jahr – dem 23. Juli 2015 – haben gesetzlich versicherte Patienten nach Inkrafttreten des Versorgungsstärkungsgesetzes (§27b SGB V) einen Rechtsanspruch auf eine ärztliche Zweitmeinung (ZM). Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) unterstützt diesen Rechtsanspruch. Doch die Experten sehen derzeit noch unzureichenden Rahmenbedingungen für eine Umsetzung.

Durch Zweitmeinung weniger Operationen?

Es geht dabei – neben vordergründigen Qualitätsargumenten – auch um eine Markt- und Mengensteuerung, um Gesundheitsökonomie und damit um das Einsparen von Geld der Krankenkassen. Man erhofft sich durch die Zweitmeinung einen Rückgang an Operationszahlen. Aspekte, die auch gegenüber den Patienten klar benannt werden müssen. Jedenfalls wird zumindest indirekt unterstellt, dass Ärzte regelmäßig persönliche oder institutionelle ökonomische Interessen vor Patienteninteressen stellen.

Regionale und Fächer übergreifende Unterschiede in der Häufigkeit durchgeführter Operationen – wie sie sich in den Routinedaten der Krankenkassen und sogenannten Versorgungsatlanten bundesweit abbilden – werden für diese Argumentation herangezogen. „Vor diesen Hintergründen unterstützen die DGCH und die ihr angeschlossenen Fachgesellschaften ausdrücklich eine Einführung von strukturierten, objektiven und objektivierbaren Zweitmeinungsverfahren vor definierten Wahloperationen“, betont die Präsidentin der DGCH, Professor Dr. med. Gabriele Schackert.

Der Generalssekretär der DGCH, Professor Dr. med. Dr. h.c. Hans-Joachim Meyer fordert, dass diese Zweitmeinungen durch ausgewiesene, renommierte Experten zu erbringen seien, die von den zuständigen wissenschaftlichen Fachgesellschaften als neutrale Gutachter benannt werden. Diese Experten sollten – neben einer breiten fachlichen Allgemeinbildung und persönlichen Erfahrung – für die jeweiligen Fragestellungen eine fachspezifische Spezialisierung aufweisen. „So kämen beispielsweise in der Wirbelsäulenchirurgie je nach Fragestellung Experten sowohl aus der Neurochirurgie als auch der Orthopädie oder der Unfallchirurgie in Betracht“, erklären der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie und Orthopädie (DGOU), Professor Dr. med. Dr. med. habil. Reinhard Hoffmann, und der Präsident der Deutschen Wirbelsäulengesellschaft (DWG), Professor Dr. med. Michael Winking.

Befragung des Patienten gefordert

Die DGCH und ihre Fachgesellschaften legen Wert darauf, dass diese Zweitmeinungsverfahren nicht nur eine persönliche Beurteilung von Röntgenbildern und Befunden umfassen, sondern auch ein Befragung des Patienten über seine Beschwerden und seine Erwartungshaltung sowie eine körperliche Befunderhebung durch den Zweitmeinungsgutachter. „Zweitmeinungsverfahren sind im Kern analog und nicht digital zu halten“, so Meyer. „Das persönliche Arzt-Patienten-Verhältnis steht auch an dieser Schnittstelle für die DGCH nicht zur Diskussion.“ Die Ergebnisse der ZM sind dem erstbehandelnden Arzt mitzuteilen.

Um Interessenskonflikte auszuschließen, sollten Ärzte, die ZM erstellen – und deren unmittelbare Einrichtungen, in denen sie tätig sind – von der weiteren Behandlung des Patienten jedenfalls ausgenommen werden. Eine rein internetbasierte, „preiswerte“ ZM-Erstellung ohne persönlichen Kontakt zum Patienten lehnt die DGCH derzeit nachdrücklich ab.

Derartige Modellvorhaben sind bisher nicht ausreichend wissenschaftlich evaluiert und medizinisch-ethisch nur schwer vorstellbar. „Wir Chirurginnen und Chirurgen behandeln auch in Zukunft keine Röntgenbilder, Laborbefunde oder ‚big data‘, sondern weiterhin unsere Patientinnen und Patienten“, so die DGCH-Präsidentin Schackert.

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