Freitag, April 26, 2024

Zugang zu Opioid-Arzneimitteln in Europa

EFIC-Studie: Große Unterschiede beim Zugang zu Opioid-Arzneimitteln in Europa – Österreich nur im Mittelfeld

 

„Eines der wichtigen Anliegen der Europäischen Schmerzföderation EFIC ist es, europaweit einen gerechten Zugang von Schmerzpatienten zu den vielfältigen therapeutischen Optionen der modernen Schmerzmedizin sicherzustellen. So widmen wir uns auch auf dem aktuellen EFIC-Kongress in Wien nicht nur aktuellen Forschungsergebnissen und innovativen Behandlungsmöglichkeiten, sondern auch der Frage, ob diese auch tatsächlich bei den Patienten in ganz Europa ankommen“, so o.Univ.-Prof. DDr. Hans Georg Kress (AKH/MedUni Wien), Past President der Europäischen Schmerzföderation EFIC und Vorstandsmitglied der ÖSG im Vorfeld des Europäischen Schmerzkongresse in Wien. „Dass dem bedauerlicherweise nicht so ist, und dass Österreich in diesem Zusammenhang eine nicht allzu vorzeigbare Position einnimmt, zeigt eine neue EFIC-Studie, die auf dem Kongress erstmals vorgestellt wird und zeigt, dass die Verfügbarkeit und Krankenkassen-Erstattung bestimmter Schmerzmedikamente für Patienten weniger von medizinischen Kriterien abhängen als vom Glück, im richtigen Land zu leben.“

Einige Details aus der Untersuchung: In Westeuropa ist die Zahl der unterschiedlichen Opioid-Präparate, auf die Schmerzpatienten zurückgreifen können, generell deutlich höher als in Osteuropa. Deutschland ist diesbezüglich Spitzenreiter: Die Bundesrepublik ist mit 47 zugelassenen oralen Opioid-Schmerzmitteln, für die alle die Kosten von den Krankenkassen übernommen werden, klarer europäischer Spitzenreiter, vor Italien mit 42 zugelassenen und erstatteten Opioiden, Dänemark mit 37 Medikamenten auf dem Markt, von denen allerdings nur 22 erstattet werden, und Schweden mit 35 zugelassenen und bezahlten Medikamenten. Die Schlusslichter bilden der Kosovo (4 zugelassenen Medikamente, davon keines erstattet), Russland (4/4), Bosnien-Herzegowina (3/0) und die Ukraine, wo kein einziges orales Opioid verfügbar ist.

Opioid-Verfügbarkeit: Österreich nur im europäischen Mittelfeld

„Österreich liegt im Mittelfeld, hierzulande stehen 20 orale Opioid-Analgetika zur Verfügung und werden zum Großteil auch von den Krankenkassen erstattet“, berichtet Prof. Kress. „Eine der Ausnahmen bezüglich der Kostenübernahme bilden die Rapid Onset Opioids (ROOs), spezielle Fentanyl-Formulierungen, die besonders rasch und kurz wirken und für die Behandlung von Durchbruchschmerzen bei Krebspatienten besonders geeignet sind. Es sind zwar hierzulande alle verfügbaren Produkte dieser Kategorie zugelassen und im Markt erhältlich, aber keines davon wird, im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, von den Kassen automatisch erstattet.“ In Österreich müssen Arzt und/oder Patient in jedem Einzelfall bei der Kasse um Erstattung ansuchen (Stichwort: „chefarztpflichtig“). Prof. Kress: „Die Gewährung der Erstattung geschieht durch die Chefärzte und wird in den jeweiligen gesetzlichen Kassen durchaus unterschiedlich gehandhabt – von großzügig bis sehr restriktiv.“

In einzelnen europäischen Ländern werden die Kosten für Opioide automatisch dann von den Krankenkassen oder der öffentlichen Hand erstattet, wenn das Medikament zugelassen ist. In den meisten Ländern sind jedoch, wie in Österreich, die Verfahren der Zulassung durch die staatliche Behörde und die Kostenübernahme durch die Krankenkassen entkoppelt. In osteuropäischen Staaten werden für die meisten zugelassenen Produkte auch die Kosten rückerstattet.

Verfügbare Medikamente werden nicht bezahlt

„Über die Erstattungspraxis schränkt sich im Alltag der Zugang zu solchen wichtigen Schmerzmittel ein, obwohl sie offiziell zugelassen und in den Apotheken verfügbar sind“, so Prof. Kress. „Das sehen wir in Österreich nicht nur im Bereich der Opioide, sondern auch am Beispiel anderer innovativer Schmerzmittel, wie dem Capsaicin 8% Pflaster, zu dem unter anderem unsere Abteilung an der MedUni Wien auf dem Kongress eine ganze Reihe neuer Arbeiten präsentiert, und das erwiesenermaßen bei neuropathischen Schmerzen wirksam ist.“

Zwar ist dieses Medikament das einzige der in den letzten Jahren neu auf den österreichischen Markt gekommenen Schmerzmedikamente, das es überhaupt in die Kassen-Erstattung (das so genannte Ampelsystem) geschafft hat. Doch das bedeutet – aufgrund zahlreicher trickreicher Einschränkungen, denen diese Erstattung unterworfen ist – allerdings noch lange nicht, dass das Chili-Pflaster für alle Patienten verfügbar ist, die davon profitieren könnten, kritisiert Prof. Kress. „Zunächst einmal muss die Erstanwendung erfolgreich in einem Krankenhaus erfolgt sein, bevor es weiter verwendet werden kann. So weit, so gut. Wird es aber nun bei diesem Patienten im Krankenhaus weiter angewendet, muss das Spital selbst die Kosten dafür übernehmen, denn für Krankenhaus-Arzneimittel übernehmen die Kassen keine Kosten. In Zeiten des Sparstiftes wird das zurückhaltend erfolgen. Aber auch die Weiterverschreibung im niedergelassenen Bereich ist nicht einfach. Denn hier werden die Weiterbehandlungs-Kosten für das Medikament zwar von den Kassen übernommen, allerdings nur, wenn die Anwendung nicht im Krankenhaus erfolgt. Der niedergelassene Arzt hat dann für die aufwändige rund eineinhalbstündige Anwendungsprozedur keine Abrechnungsposition, weshalb letztlich die Anwendung im niedergelassenen Bereich sehr eingeschränkt bleibt.“

Diese Beispiele würden zeigen, dass europaweit noch viel zu tun ist, bis die Qualität der Schmerzbehandlung nicht mehr eine Frage des Wohnortes ist, so Prof. Kress. „Es wird aber auch klar, dass in Österreich noch erheblicher Aufholbedarf gegenüber vergleichbaren Ländern besteht, was die Versorgung von Schmerzpatienten betrifft.“

Quellen: EFIC IX „Pain in Europe“, Abstract-Band: Christrup et al: Political Barriers for optimal Opioid Therapy in the European Countries; with focus on reimbursement policies and generic substitution;
Schabert et al: Epidermal nerve fibre density reduction as a function of application-time of topical capsaicin;
Kock et al: Lost but not forgotten: Recurrence of neuropathic pain by peripheral trauma;
Knolle et al: Heat-, cold- and mechanical pain thresholds under topical high dose capsaicin.

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