Samstag, April 20, 2024

Darmbakterien kooperieren, wenn das Leben härter wird

Darmbakterien, die sonst in Konkurrenz zueinander stehen, steuern unser Wohlbefinden, indem sie bei problematischen Veränderungen der Umwelt kooperieren.

Mit Hilfe von Computer-Modellierungen untersuchten unlängst Wissenschaftler des Luxembourg Centre for Systems Biomedicine (LCSB) der Universität Luxemburg, wie Darmbakterien unser Wohlbefinden steuern. Dabei zeigte sich, wie die Mikroorganismen auf Veränderungen in ihrer Umgebung, wie Abnahme des Sauerstoffgehalts oder des Nahrungsangebots, reagieren.

Interessanterweise kooperieren Darmbakterien, die sonst konkurrieren oder sich sogar gegenseitig verdrängen. Sie schalten dazu bei veränderten Lebensbedingungen auf einen kooperativen Lebensstil um. In Folge produzieren sie Substanzen, die den anderen Arten das Leben erleichtern und sogar beim Überleben unterstützen. Schließlich stabilisiert sich die gesamte Lebensgemeinschaft und passt sich mit Erfolg gemeinsam der neuen Situation an.

 

Bei der Erforschung, wie Darmbakterien unser Wohlbefinden steuern, zeigte sich, dass die Darmbakterien ein regelrechtes Ökosystem bilden.

Tausende Arten von Darmbakterien, die meistens wissenschaftlich noch nicht beschrieben sind, besiedeln den menschlichen Organismus. In dieser komplexen Lebensgemeinschaft konkurrieren die Mikroorganismen um Nährstoffe, verdrängen sich unter Umständen gegenseitig, können aber auch voneinander profitieren.

Diese Wechselbeziehungen der Darmbakterien sind sehr wichtig für unser Wohlbefinden. Nun wollten Forscher um Almut Heinken, Research Associate in Ines Thiele’s Arbeitsgruppe, diese besser verstehen. „Im Rahmen meiner Doktorarbeit habe ich auf der Basis von Literaturdaten am Computer modelliert, wie bestimmte Bakterienarten aufeinander reagieren, wenn sich die Lebensbedingungen in ihrer Umgebung verändern“, sagt die Wissenschaftlerin.

„Solche Modellierungen sind eine gängige Methode, um die Wechselwirkung von Bakterien besser vorhersagen zu können. Wir haben das Verfahren weiterentwickelt und erstmalig auf Darmbakterien angewandt. Bei elf Arten konnten wir berechnen, wie diese sich jeweils paarweise in Anwesenheit von menschlichen Dünndarmzellen verhalten.“

 

Dominantere Darmbakterien erhalten unter Mangelzustand untergeordnete Arten am Leben

Bei der Analyse zeigte sich eine überraschende Verhaltensweise. Ansonsten dominante und andere Arten verdrängende Bakterien gingen mit Schwächeren plötzlich Symbiosen ein. Das geschieht beispielsweise, wenn der Sauerstoffgehalt in der Umgebung abnimmt. Dazu geben sie Substanzen an solche Arten ab, die ihnen ansonsten im Wettbewerb unterliegen würden, und erleichtern diesen somit das Überleben.

Im Gegenzug erhalten sie selbst auch Stoffe, an denen sie unter den ungünstigen Lebensumständen sonst Mangel leiden müssten. Dieses symbiotische Verhalten berechnete Heinken beispielsweise für die Bakterienart Lactobacillus plantarum.

 

Umstellung des Stoffwechsels

Die Umstellung des Stoffwechsels ist besonders wichtig, damit die Gemeinschaft  der Darmbakterien in den unterschiedlichen Abschnitten des Darms funktioniert: Beispielsweise ist der Sauerstoffgehalt im Dünndarm an verschiedenen Stellen unterschiedlich. An den Wänden ist mehr Sauerstoff vorhanden als an im Zentrum, am Dünndarmeingang mehr als an seinem Ende. „Dadurch, dass sich die Bakterien gegenseitig unterstützen, wenn sie sich in einer sauerstoffärmeren Umgebung befinden, bleibt die Bakteriengemeinschaft als Ganzes funktionsfähig – und damit die Verdauung“, erklärt Almut Heinken. Auch das Nährstoffangebot oder die Anwesenheit abgeschilferter Dünndarmzellen unterliegen räumlichen Schwankungen und haben einen Einfluss auf das symbiotische Verhalten der Bakterien.

 

Die Forscher untersuchen den Einfluss der Darmgesundheit auch auf Entstehung von Krankheiten gänzlich anderer Körperregionen.

Die LCSB-Forscher interessieren sich vor allem für die Bedeutung der Bakterienwechselwirkung im Zusammenhang mit Krankheiten, wie Studienleiterin Ines Thiele erläuterte. „Wir wissen, dass Ernährung und Verdauung einen Einfluss auf die Entstehung von Krankheiten haben können. Das bezieht sich nicht nur auf den Magen-Darm-Trakt, sondern auch auf andere Bereiche.“ Dazu zählen auch das Nervensystem und dessen Erkrankungen wie beispielsweise die Parkinson Krankheit.

Zukünftig wollen die Wissenschaftler deshalb das Ökosystem Darm besser verstehen und in Folge auch, wie Darmbakterien unser Wohlbefinden steuern. Darum werden sie immer mehr Bakterienarten mit ihren Computermodellierungen untersuchen und bestimmte Reaktionen der bakteriellen Lebensgemeinschaft mit dem Ausbruch von Krankheiten in Beziehung setzen. Über die Nahrung könnte so die Darmflora etwa mit Probiotika präventiv verändert werden, um so therapeutisch Krankheiten zu bekämpfen


Quellen:

http://orbilu.uni.lu/handle/10993/20710

Journal „Applied and Environmental Microbiology“ , DOI: 10.1128/AEM.00101-15).

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