Donnerstag, April 18, 2024

Welttag des Gehirns 2015

Welttag des Gehirns 2015: Neurologische Erkrankungen wie Demenz, Parkinson oder Schlaganfall sind alters-assoziiert, der Bedarf an ausreichender Versorgung der Betroffenen steigt stetig an.

 

Viele neurologische Erkrankungen wie Demenz, Parkinson oder Schlaganfall sind alters-assoziiert, der Bedarf an angemessener Versorgung steigt also laufend, betont die Österreichische Gesellschaft für Neurologie anlässlich des Welttags des Gehirns am 22. Juli. Trotzdem wurde die Neurologie in der jüngsten Reform der Allgemeinmediziner-Ausbildung nicht auf-, sondern abgewertet, sind die Experten besorgt.

Der jährliche Welttag des Gehirns am 22. Juli soll zu mehr Aufmerksamkeit für die Bedeutung der Gehirn-Gesundheit und die Prävention oft unterschätzter neurologischer Erkrankungen beitragen. „Die Belastung durch neurologische Krankheiten wird vielfach unterschätzt“, so Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Grisold (SMZ Süd, Wien), Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN) und der Weltföderation für Neurologie (WFN). „Jeder dritte Mensch hat zumindest einmal im Leben Kontakt mit einer Neurologin oder einem Neurologen.“ Nach den Angaben des European Brain Council leiden 220,7 Millionen Menschen in Europa an zumindest einer neurologischen Erkrankung. Das entspricht der gemeinsamen Einwohnerzahl von Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Prof Grisold: „Die Tendenz ist hier zweifelsfrei steigend, denn viele neurologische Erkrankungen wie Schlaganfall, Demenz oder Morbus Parkinson sind Alters-assoziiert, und unsere Gesellschaft wird immer älter.“

Auch gemessen in Disability Adjusted Life Years (DALYs), einer Messgröße für die durch Krankheit und vorzeitigen Tod verlorenen Lebensjahre, sind neurologische Krankheiten ein beträchtlicher Faktor. 2,2 Millionen DALYs in der EU werden durch Demenzerkrankungen verursacht, 1,6 Millionen durch Schlaganfälle, 640.000 durch Parkinson und 260.000 durch Epilepsie. Global werden gemäß WHO-Prognosen die DALYs aufgrund neurologischer Erkrankungen von 95 Millionen (2015) bis zum Jahr 2030 auf 103 Millionen ansteigen – um mehr als neun Prozent. „Solchen Entwicklungen kann die moderne Neurologie allerdings etwas entgegensetzen, wenn sie ausreichend dotiert und unterstützt wird“, so Prof. Grisold. „Die Gesundheitspolitik aller Länder ist gut beraten, wenn sie der Neurologie die Priorität zukommen lässt, die der Bedeutung neurologischer Krankheiten entspricht.“

 

Welttag des Gehirns 2015 im Zeichen der Epilepsie: Experten mobilisieren gegen Stigmatisierung und für die optimale Versorgung Betroffener

Am 22. Juli wird der „Welttag des Gehirns“ begangen. 2015 steht diese Informations- und Aufklärungsaktion auch in Österreich ganz im Zeichen der Epilepsie. Experten mobilisieren gegen die Stigmatisierung von Menschen mit Epilepsie und für eine frühzeitige Diagnose und Therapie.

Der jährliche Welttag des Gehirns am 22. Juli soll zu mehr Aufmerksamkeit für die Bedeutung der Gehirn-Gesundheit und die Prävention oft unterschätzter neurologischer Erkrankungen beitragen. 2015 steht im Mittelpunkt dieser Informations- und Aufklärungsaktivität, die in Österreich von der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN) umgesetzt wird, die Epilepsie, unter dem Motto: „Epilepsie ist mehr als nur Krampfanfälle“.

„Mit mehr als 50 Millionen Betroffenen ist die Epilepsie weltweit eine der häufigsten chronischen neurologischen Krankheiten, jedes Jahr kommen 2,4 Millionen neue Diagnosen dazu“, so Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Grisold (SMZ Süd, Wien)  Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN) und der Weltföderation für Neurologie (WFN). „Wir freuen uns, dass die Informations- und Awareness-Kampagne der WFN auch vom Internationalen Büro für Epilepsie, der Internationalen Liga gegen Epilepsie und der Weltgesundheitsorganisation unterstützt wird. Denn um der Epilepsie wirksam begegnen zu können, bedarf es akkordierter Bemühungen auf globaler Basis.“ Zumindest jeder zweite Mensch mit Epilepsie weltweit könnte erfolgreich mit Medikamenten behandelt werden, die übers Jahr nur fünf US-Dollar kosten. Bis zu 70 Prozent der Patienten könnten mit antiepileptischen Medikamenten anfallsfrei bleiben. Prof. Grisold: „Allerdings bekommen 75 bis 80 Prozent der Betroffenen in den meisten Ländern mit niedrigem Einkommen keinerlei medikamentöse Behandlung.“

 

Epilepsie frühzeitig erkennen und effektiv behandeln

In Österreich leben Experten zufolge bis zu 80.000 Menschen mit Epilepsie. „Das erste Auftreten dieser Anfälle fällt häufig in eine von zwei Lebensphasen, die frühe Kindheit, und hier besonders die ersten zwei Lebensjahre, sowie das höhere Lebensalter ab ungefähr 65 Jahren“, erklärt ao. Univ.-Prof. Dr. Martha Feucht, Leiterin der Ambulanz für erweiterte Epilepsiediagnostik, Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde, AKH/MedUni Wien. „In Österreich gehen wir von rund 3.000 Neuerkrankungen pro Jahr aus, die vorwiegend Kinder und ältere Menschen betreffen.“

Da Epilepsien sich durchaus nicht in allen Fällen in den typischen Krampfanfällen äußern, kann die Diagnostik anspruchsvoll sein. „Ein erschreckend hoher Teil der Betroffenen wird nach wie vor nicht oder zu spät erkannt, und viele der korrekt mit Epilepsie diagnostizierten Menschen werden nicht optimal behandelt“, so Prof. Feucht. „Das ist schon deshalb ein dramatischer Befund, weil epileptische Anfälle für die Betroffenen eine große medizinische und soziale Belastung darstellen. Im schlimmsten Fall können sie auch tödlich enden: Verletzungen, Unfälle, aber auch Komorbiditäten wie Depression, Angst und Suizidalität tragen dazu bei, dass Menschen mit Epilepsie im Vergleich zur Gesamtbevölkerung eine dreimal so hohe Sterblichkeit aufweisen.“

 

Diskriminierung und Stigmatisierung

Menschen mit Epilepsie, die kompetent medikamentös behandelt werden und auf ihre Medikamente gut ansprechen, können mit wenigen Einschränkungen ein mit Gesunden vergleichbares Leben führen. Vorausgesetzt man lässt sie, betont ao. Univ.-Prof. Dr. Gerhard Luef, Universitätsklinik für Neurologie, Medizinische Universität Innsbruck: „Ein großes Problem für viele Betroffene ist nach wie vor das mit der Epilepsie verbundene Stigma. Allein der heute überholte, aber nach wie vor verbreitete Begriff ‚Epileptiker‘ ist von Vorurteilen geprägt. Das ist eine völlige Fehleinschätzung, ebenso wie das Vorurteil, Epilepsie sei eine psychiatrische Erkrankung.“

Stigmatisierung sei schon deshalb nicht angebracht, weil Epilepsie jeden Menschen treffen kann, unabhängig von den intellektuellen Fähigkeiten und dem sozialen Status, so der Experte. „Viele Betroffene halten ihre Erkrankung in der Schule oder am Arbeitsplatz geheim, weil sie befürchten, dass ihnen daraus Nachteile entstehen könnten – leider oft noch zu Recht. Menschen mit Epilepsie werden tatsächlich immer noch in vielen Fällen diskriminiert, zum Beispiel bei der Suche nach einem Arbeitsplatz.“

Diskriminierung betreffe paradoxerweise häufig auch gerade Kinder und Jugendlichen, die gut auf ihre Medikamente ansprechen und keine oder kaum Anfälle haben, weiß Prof. Feucht: „Sie könnten eigentlich ein ganz normales Leben führen. Leider scheitert das aber an Hürden, die ihnen unnötigerweise aufgebaut werden: Zum Beispiel dürfen Kinder mit Epilepsie oft nicht an organisierten Freizeitaktivitäten teilnehmen oder werden zum Teil sogar aus dem Regelschulbetrieb entfernt.“

 

Chirurgische Optionen für Medikamenten-resistente Epilepsien

Mit den zur Verfügung stehenden Medikamenten aus der Gruppe der Antikonvulsiva kann bei etwa zwei Drittel der Betroffenen das Therapieziel einer anhaltenden Anfallsfreiheit erzielt werden. In rund einem Drittel der Fälle allerdings hören die Anfälle auch unter medikamentöser Behandlung nicht auf, bzw. müssten die Medikamente so hoch dosiert werden, dass sie zu nicht akzeptablen Nebenwirkungen führen. „Solche chronischen Epilepsien sowie die Nebenwirkungen hochdosierter Langzeitmedikation führen zu erheblichen Beschwerden und medizinischen Problemen sowie auch zu erhöhter Sterblichkeit“, so Prof Feucht. „Bei Kindern beeinflusst die Erkrankung zudem die gesamte weitere Entwicklung ungünstig. Chronische pharmako-resistente Epilepsien gehören zu den teuersten Erkrankungen und verursachen alleine in Europa direkte und indirekte Kosten von etwa 20 Milliarden Euro pro Jahr.“

Heute kann auch immer mehr Patienten mit schwer behandelbarer Epilepsie durch neurochirurgische Eingriffe geholfen werden. Nach dem Einsatz operativer Verfahren und bei ungenügender Anfallskontrolle gibt es darüber hinaus weitere innovative Therapiemethoden, zum Beispiel nicht- oder minimal-invasive Stimulationsverfahren.

Voraussetzung für einen epilepsiechirurgischen Eingriff ist eine sorgfältige Diagnostik, betont Prof. Feucht: „Bei einem Teil der Patienten mit pharmako-resistenten Epilepsien kann die Zone im Gehirn lokalisiert werden, in der ein Anfall seinen Ursprung hat. Anschließend wird das betroffene Areal chirurgisch entfernt. Vorausgesetzt natürlich, dass das möglich ist, ohne dass es dabei zu neurologischen Schäden kommt. Dank des technischen Fortschritts sowohl auf dem Gebiet der prächirurgischen bildgebenden Diagnostik als auch auf dem Gebiet der Neurochirurgie können heute immer mehr Patienten mit immer besserer Langzeit-Effektivität operiert werden. Die Epilepsiechirurgie wird heute auch zunehmend bei Säuglingen und Kleinkindern mit dem Ziel einer Heilung eingesetzt: Kinder bleiben in der Folge anfallsfrei, ohne Medikamente nehmen zu müssen. Das ermöglicht ihnen eine unbeeinträchtigte weitere Entwicklung. Es ist also besonders wichtig, dass diese jungen Patienten möglichst früh erkannt und behandelt werden, da sie dadurch wertvolle Zeit für die Gehirnentwicklung gewinnen.“

Die Betreuung betroffener Kinder sollte jedenfalls an einem spezialisierten Epilepsie-Zentrum erfolgen, an dem prächirurgische Epilepsiediagnostik und Epilepsiechirurgie mit ausgewiesener Expertise durchgeführt werden können. Als erstes und bislang einziges derartiges Zentrum in Österreich wurde 1999 am AKH Wien und der MedUni Wien mit Hilfe von Sponsoren und privaten Spendern das pädiatrische Epilepsiezentrum eingerichtet und in einer konzertierten Aktion von Bund und Gemeinde Wien 2005 personell und gerätetechnisch entsprechend internationalen Vorgaben ausgestattet.

 

Arbeit, Sport, Schwangerschaft: Was heute mit Epilepsie alles möglich ist

Jenseits aller falschen Vorurteile gibt es einige reale Schwierigkeiten im Alltag, die im Zusammenhang mit Epilepsie auftreten können. Diese betreffen zum Beispiel die Verkehrstüchtigkeit und den Sport, so Prof. Luef. „Ob Epilepsie-Patienten gefahrlos Autofahren können, hängt davon ab, wie gut die Krankheit im Einzelfall unter Kontrolle ist. Treten nach einem Jahr keine Anfälle mehr auf, können die behandelnden Ärzte grünes Licht geben. Das gilt grundsätzlich auch für sportliche Aktivitäten, wobei man Wassersportarten jedoch eher meiden sollte. Es gibt sogar Olympiateilnehmer, Profi-Fußballer und eine Reihe von Spitzensportlern mit Epilepsie. Denn die Leistungsfähigkeit ist durch die Krankheit, sofern sie gut kontrolliert ist, nicht eingeschränkt.“

 

Kinderwunsch bei Epilepsie erfüllbar

Früher galt als allgemeine Regel, dass für Frauen mit Epilepsie eine Schwangerschaft ausgeschlossen ist. „Das ist heute überholt“, betont Prof. Luef. „Allerdings sollten Schwangerschaften in diesem Fall unbedingt geplant und nicht unbeabsichtigt sein, Epilepsie-Patientinnen sollten also sicher verhüten. Wobei auch dies einer gründlichen Aufklärung bedarf, denn viele bei Epilepsie eingesetzte Medikamente interagieren mit oralen Verhütungsmitteln.“

Warum eine sorgfältige Planung der Schwangerschaft so wichtig ist: „Sowohl Anfälle als auch bestimmte Medikamenten können erhebliche Risiken für das Kind bergen. Eine gute Voraussetzung für eine Schwangerschaft ist Anfallsfreiheit unter einer Medikation, die kein hohes Risiko von Fehlbildungen mit sich bringt“, erklärt Prof. Luef. „Da Medikamente in den Zulassungsstudien niemals bei Schwangeren getestet werden, müssen wir das Risiko auf Basis sogenannter Register einschätzen, also von Datenbanken, in denen möglichst viele Schwangerschaften von Epilepsie-Patientinnen und deren Ergebnisse erfasst werden. Das bringt automatisch das Problem mit sich, dass wir zu den neueren Medikamenten sehr viel weniger Informationen haben als zu den älteren. Das europäische Schwangerschaftsregister EURAP, an dem auch Österreich teilnimmt, trägt hierzu sehr viel bei.“

 

Weitere Informationen: http://oegn.at/allgemein/welttag-des-gehirns-am-22-juli-2015/

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