Samstag, April 20, 2024

Warum man nicht Österreichs Krankenkassen zusammenlegen sollte

Es kostet viel Geld, wenn man Österreichs Krankenkassen zusammenlegen will – und die Versichterten hätten schlechtere Leistung. So etwa äußert die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse Kritik an etwaigen „Fusions-Gedanken“.

 

Österreichs Krankenkassen wirtschaften solide, erzielen gute Zufriedenheitswerte bei ihren Versicherten und haben – im internationalen Vergleich – eine vernünftige Größe. Warum sollte man also die heimischen Krankenkassen zusammenlegen?

Trotzdem kommt regelmäßig der Ruf, die Strukturen zu ändern und die Kassen zu fusionieren. Die OÖGKK hat den „Fusions-Gedanken“ kritisch gewürdigt. Ergebnis: Eine Zusammenlegung kostet Geld, neue Strukturen würden teurer arbeiten. Und: Versicherte müssten schlechtere Leistungen hinnehmen!

„Österreichs Krankenkassen und der heimische Fußball haben zumindest eines gemeinsam: Rund ‚acht Millionen Teamchefs‘ reden mit. Jeder hat eine Meinung, wie die Krankenkassen ‚optimal aufgestellt‘ wären. Mir soll jede Debatte recht sein, solange die Bedürfnisse unserer Versicherten im Zentrum stehen“, erklärt OÖGKK-Obmann Albert Maringer.

Zudem ist eine Kassen-Diskussion nur auf Basis von Fakten und erwartbaren Folgen zulässig. OÖGKK-Direktorin Mag. Dr. Andrea Wesenauer: „Wer an Strukturen herumschraubt, kann ein erfolgreiches System auch schädigen. Unsere Versichertengemeinschaft bewertet uns mehr als gut, wir arbeiten wirtschaftlich solide und sind effizient strukturiert. Neuen Ideen stehen wir immer offen gegenüber – aber nicht, wenn sie eine erfolgreiche Basis zerstören.“

Wollen Versicherte die Krankenkassen zusammenlegen? Nein. Sie ziehen das jetzige System vor.

Die OÖGKK prüft in regelmäßigen Abständen die Zufriedenheit innerhalb der Versichertengemeinschaft. Entscheidend ist dabei, zu verstehen, woher die Zufriedenheit kommt – und wie man sie erhalten kann.

Details aus der OÖGKK-Kundenbefragung fasst Studienautor Dr. Wolfgang Rejzlik vom Institut Marketmind so zusammen: „Die OÖGKK liegt bei der Zufriedenheit ihrer Versicherten stabil auf einem sehr guten Niveau. Die Systemakzeptanz ist nach wie vor hoch. Die Versicherten ziehen das System der Selbstverwaltung in der jetzigen Organisationsform eindeutig einem rein staatlichen sowie einem privaten System vor. Besonders positiv bewertet wird das Kundenservice der OÖGKK sowie die Betreuungsqualität der OÖGKK-Vertragspartner.“

Fakten bestätigen das „Gespür“ der Versicherten. Maringer zu Bewertungen der letzten Jahre: „Ich freue mich über den konstanten Zuspruch unserer Versichertengemeinschaft. Die Leute haben ein gutes Gespür dafür, dass sie in Gesundheitsfragen bei einem flexiblen Nahversorger besser aufgehoben sind als bei einem zentral gelenkten Apparat“.

„Wir haben natürlich auch die Fakten geprüft und die Ergebnisse einer Fusion analysiert: Wer diesen Prozess transparent und ohne ideologische Vorbehalte durchleuchtet, stellt fest: Weder können Kosten gespart werden, noch würde die Servicequalität besser“, fasst Wesenauer zusammen.

Die Prüfungsergebnisse der OÖGKK im Detail:

1. Kosten: Krankenkassen zusammenlegen bringt keine Einsparungen!

• Die bestehende Kassenstruktur weist schon heute sehr niedrige Verwaltungskosten auf: Lediglich 2,5 Prozent der OÖGKK-Einnahmen werden für die Verwaltung aufgewendet. Der Rest wird den Versicherten und ihren Angehörigen wieder als Leistungen zurückgegeben. „Bildlich gesprochen hat die OÖGKK einen schlanken, effizienten Kopf, der einen umso leistungsfähigeren Körper steuert“, erklärt Wesenauer.

• Was gern verschwiegen wird: Hinter dem Wort „Verwaltung“ stehen vielfältige und unverzichtbare Arbeitsaufgaben, die für Versicherte und Dienstgeber erledigt werden müssen. So betreuen OÖGKK-Mitarbeiter jährlich rund eine Million Versichertenanfragen persönlich, dazu 770.000 Telefonate und 570.000 Briefkontakte. Sie rechnen Beiträge mit über 40.000 Dienstgebern ab, organisieren ein komplexes Versorgungsnetz mit mehreren Tausend Ärzten, Behandlern und Therapeuten, kontrollieren für die Versicherten die Wirksamkeit von Therapien uvam. Maringer: „Man soll nicht naiv sein und glauben, das Arbeitsvolumen der österreichischen Sozialversicherung könne von einer Handvoll Leute im Vorbeigehen ‚geschupft‘ werden. Und selbst wenn man Teams umorganisiert: Arbeit bleibt Arbeit.“

• Das Argument, wonach ein großer Apparat effizienter arbeitet als mehrere kleinere Dienstleister, ist mit realen Zahlen und Fakten des deutschen Rechnungshofs widerlegt: Dieser hat 2010 über ein Viertel aller Fusionen deutscher Krankenkassen zwischen 2007 und 2009 eingehend untersucht: Sowohl die Verwaltungskosten als auch die Gesamtausgaben konnten nicht gesenkt werden! Die Schweiz – viel gelobt für ihr effizientes Handeln – hat übrigens 80 Krankenkassen. In Deutschland sind es nach den Fusionen noch rund 150. Und gemessen an Versichertenzahlen wäre die OÖGKK unter den 20 größten deutschen Kassen.

• Kassenfusionen treiben die Kosten für Leistungen in die Höhe! Wenn nur noch eine „Großkasse“ mit den Ärzten (aber auch anderen Gesundheitsberufen) verhandelt, muss ein zentraler neuer Tarif gefunden werden. Dieser Tarif wird sich an einem der alten Tarife orientieren, als es noch mehrere Kassen gegeben hat. Das Risiko, dass dann der teuerste Alt-Tarif zur Anwendung kommt, ist hoch. Bei Gesamtaufwendungen von 2,4 Milliarden Euro für Vertragsärzte wäre eine Tarifverteuerung von nur einem Prozent sogleich ein Mehraufwand von satten 24 Millionen Euro! Da aber nicht mehr Geld zur Verfügung stünde, müsste an anderer Stelle gespart werden. Leistungskürzungen wären eine Konsequenz.

2. Versorgung: Mehr Abhängigkeit, weniger Gerechtigkeit

• Schon heute garantiert das ASVG als Grundlage aller Kassenleistungen einheitliche Versorgungsstandards bei Ärzten, Medikamenten und Spitälern. Aber nur im derzeitigen, dezentralen System kann jede Kasse beim Zukauf von Leistungen auf regionale Unterschiede bei Einkommen und Kostenniveau Rücksicht nehmen.

• Auf Bundesebene ist es schwierig, gute Verträge (gut im Sinne der Versichertengemeinschaft) abzuschließen. Das zeigen schon jetzt jene Bereiche, die bundeseinheitlich geregelt werden, etwa die Zahnversorgung, Magnetresonanztomographie oder Psychotherapie. Indes erlauben regionale Verträge eine wesentlich präzisere Weiterentwicklung von Leistungen – und sind zudem im Regelfall wesentlich rascher und günstiger.

• Hinzu kommt das Problem der verschärften Abhängigkeit: Käme es in einem bundesweiten Vertrag zu einem Honorarkonflikt, ist die Gesundheitsversorgung in ganz Österreich gefährdet. Dieses Risiko ist in der jetzigen Struktur entschärft. Mehr noch: Schafft es derzeit eine der Krankenkassen, eine neue Leistung für ihre Versicherten zu vertraglich günstigen Konditionen zu verhandeln, so bewirkt dies einen Schub auf alle anderen Bundesländer, diese Leistung ebenfalls anzubieten. Umgekehrt fiele es gegenwärtig auf, wenn eine bestimmte Krankenkasse auffallend schlechte Tarife hätte. Nach einer Fusion wäre diese Vergleichbarkeit und Transparenz weg.

• Eine Kassenfusion – wenn sie wirklich eine ist – bedeutet auch:
Alle Entscheidungen für Versicherte und Dienstgeber werden in Wien getroffen. Die regionale Zusammenarbeit – etwa bei zukunftsweisenden Versorgungsformen – wird durch Weisungen aus der Bundeshauptstadt ersetzt. Und die Versicherten dürfen sich bei persönlichen Anliegen über längere Wege als jetzt „freuen“ …

Zusammenfassung:

  • Versicherte stehen hinter dem jetzigen System – und das im direkten Vergleich zu privaten Kassen und einer zentralen staatlichen Kasse.
  • Eine Kassenfusion würde die Verwaltungskosten nicht senken, sondern erhöhen.
  • Eine Kassenfusion würde die Gesamtausgaben für Leistungen nicht senken, sondern erhöhen.
  • Eine Zentralisierung aller wichtigen Entscheidungen in Wien verteuert die Versorgung, beschert Versicherten, Dienstgebern sowie Ärzten lange Wege. Zudem würden regionale Erfordernisse ignoriert.

Ausblick: Das bessere System erhalten – aber laufend weiterentwickeln

Die gegenwärtige Kassenstruktur bringt im Vergleich zu fusionierten „Mega-Kranken-kassen“ wirtschaftlich und leistungsmäßig Vorteile für Versicherte und Dienstgeber. Das heißt im Umkehrschluss nicht, dass alles immer perfekt funktioniert. Mit der Gesundheitsreform 2012 hat das österreichische Gesundheitssystem einen großen Modernisierungsschub erhalten. Zielorientierte Methoden wie die Balanced Scorecard (BSC), Benchmarking oder Kostenkontrolle haben aus den „Verwaltungen“ der Krankenkassen längst Gestalterinnen im Gesundheitswesen gemacht. Wesenauer: „Effizient ist ein Gesundheitssystem dann, wenn alte Machtstrukturen durch zielorientierte Kooperationsformen ersetzt werden. Diesen Weg müssen wir fortsetzen, dann bleiben wir zukunftsfähig.“

Maringer: „Die österreichische Sozialversicherung arbeitet sehr transparent, alle 19 Krankenversicherer legen ihr Gebaren offen. Jeder kann sehen, wie wir arbeiten. Das wünsche ich mir in Zukunft auch bei den 15 ‚Krankenfürsorgeträgern‘, wo rund eine Viertelmillion Österreicher versichert ist. Diese Gruppe läuft außerhalb der Sozialversicherung, es gibt dort keine e-cards, und es werden weder Bilanzen noch andere Daten öffentlich zugänglich gemacht. Wenn wir über Strukturen diskutieren wollen, dann sollten auch wirklich alle Bereiche von der Debatte erfasst sein. Sonst hat es keinen Sinn.“

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