Dienstag, April 16, 2024

Volumenersatztherapie – Blutersatztherapie

Die Volumenersatztherapie (Blutersatztherapie) wird zur Behandlung der Hypovolämie – Verminderung der Blutmenge im Blutkreislauf – nach akutem Blutverlust eingesetzt.

Im Grunde genommen hat unser Kreislauf vor allem die Aufgabe, die laufende Sauerstoffversorgung aller Organe zu gewährleisten. Dabei definiert man in diesem Zusammenhang als Schock die mangelnde Sauerstoffversorgung der Organe mit anschließender Mangelversorgung des Gewebes mit Sauerstoff. Neben der Sicherstellung der Atmung und der damit verbundenen Sauerstoffzufuhr stellt die Volumenersatztherapie bei allen Schockformen, die mit einem absoluten oder relativen Blutverlust einhergehen, den wichtigsten Faktor für eine erfolgreiche Behandlung dar. Der Zeitfaktor ist dabei entscheidend. Denn je schneller das Blutvolumen und die Normalisierung der Gewebsdurchblutung wieder hergestellt wird, desto schneller verschwindet der Schock wieder.

Millionen von Blutkonserven werden jährlich benötigt. Gespendetes Blut ist aber nicht unbegrenzt verfügbar und birgt zahlreiche Gefahren einer falschen Anwendung. Beispielsweise gehört die irrtümliche Gabe von Erythrozyten-Konzentraten mit der falschen Blutgruppe zu den häufigsten und gravierendsten Zwischenfällen. Seit längerem versuchen Experten wie Chemiker und Zellforscher, einen sicheren und günstigen Ersatz im Labor zu produzieren.

In der Volumenersatztherapie gibt nach wie vor keine endgültige Antwort auf wichtige Fragestellungen. Soll man Kristalloide oder Kolloide als Infusionslösung einsetzen? Was ist beim Flüssigkeitsmanagement von Patienten im OP und auf der Intensivstation besser geeignet?



 

Zielsetzung der Volumenersatztherapie

Eine adäquate Volumentherapie zur Stabilisierung der hämodynamischen Situation ist sowohl in der perioperativen Phase als auch im Rahmen der Intensivmedizin von zentraler Bedeutung. Trotz zahlreicher Publikationen zu diesem Thema ist die Wahl des »idealen« Volumenersatzes auch heute noch nicht eindeutig geklärt.

So kommen sowohl Kristalloide (z.B. Ringer-Lösung), unterschiedliche synthetische – Dextran, Gelatine, Hydroxyethyl­stärke (HES) – und natürliche Volumen­ersatzmittel – Humanalbumin (HA) – für diesen Zweck zum Einsatz.

Primäres Ziel einer Volumenersatztherapie ist es, die (Makro-) Hämodynamik zu ­stabi­lisieren. Eine kurzfristige Stabilisierung der Makrozirkulation ist mit ­allen Volumenersatzmitteln zu gewährleisten. Es hat sich jedoch in den letzten Jahren gezeigt, dass eine Normalisierung der systemischen hämodynamischen Situation für das »outcome« der Patienten nicht ausreichend ist.

Denn viele ­Patienten versterben mit ausreichender Hämodynamik. Veränderungen der Mikrozirkulation scheinen deshalb beim Schwerkranken von besonderer Bedeutung, da es trotz suffizienter ­Makro­hämodynamik zu einer eingeschränkten Organperfusion und letztendlich zur Entwicklung eines ­Multi-Organ-Versagens (MOV) kommen kann. Diesen Veränderungen entgegenzuwirken, muss oberstes therapeutisches Ziel sein.

Die Auswahl eines »idealen« Volumen­ersatzmittels sollte zwei wesentliche Aspekte mitberücksichtigen: die Stabilisierung  von Makro- und ­Mikrozirkulation bei gleichzeitig geringen Nebenwirkungen.



 

Volumenersatz und Makrozirkulation

Die kurzfristige Stabilisierung einer durch Volumenmangel bedingten Veränderung der Makrozirkulation – verminderten Blutdruck, Anstieg der Herzfrequenz – ist sicherlich mit allen zur Verfügung stehenden Volumenersatzmitteln möglich.

Bedingt durch die unterschiedlichen physiko-chemischen Verhältnisse der einzelnen Volumenersatzmittel werden jedoch unterschiedliche Mengen benötigt, um einen Volumenmangel suffizient auszugleichen. So ist zum Ausgleich von 1.000 ml Blutverlust die Zufuhr von ca. 4.000 ml kristalloider Lösung erforderlich. Auch kolloidale Lösungen unterscheiden sich in dieser Hinsicht deutlich von einander.

 

Volumenersatz und ­Mikrozirkulation

Die Stabilisierung der Makrozirkulation kann jedoch nicht die einzige Zielgröße bei der Wahl des »idealen« Volumen­ersatzmittels sein. Intensivpatienten versterben auch mit ausreichender ­Makrohämodynamik, z.B. ausreichendem arteriellen Blutdruck, Herzfrequenz und zentralen Venendruck. Veränderungen der Organperfusion und der Mikrozirkulation sowie die Entwicklung einer zellu­lären Dysfunktion im Rahmen der systemischen Inflammation scheinen hierbei eine entscheidende Rolle zu spielen.

Unter klinischen Bedingungen sind Veränderungen der Mikrozirkulation schwer erfassbar. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass sich die einzelnen Substanzen der Volumenersatztherapie in Bezug auf die Mikrohämodynamik unterscheiden.



 

Volumenersatz und Regulatoren der Zirkulation

Zur Beantwortung der pathophysiologischen Zusammenhänge bei der Entwicklung einer Organminderperfusion sind systematische Untersuchungen zum Verhalten der für die Regulation von Makro- und Mikrozirkulation veranwortlichen Faktoren notwendig. Ihre Kenntnis macht weiterführende therapeutische Maßnahmen realisierbar. Endogene humorale Faktoren scheinen für die Regulation von Makro- und ­Mikrozirkulation eine zentrale Rolle zu spielen.

So kommen dem ­Renin-Angiotensin-System (RAS) und sympathoadrenergen System hierbei besondere Bedeutung zu. Aber auch andere Regulatoren des Flüssigkeitshaushaltes und der peripheren Strömungsverhältnisse wie z.B. das atriale natriuretische Peptid (ANP) sind an der Regulation der Organdurchblutung beteiligt.

 

Volumenersatztherapie und Gerinnung

Problematisch ist vor allem der negative Effekt von Kolloiden auf die Blutgerinnung, denn alle verändern die Gerinnungsparameter signifikant, wobei die Effekte bei HES ausgeprägter sind als bei den anderen Kolloiden Gelatine und Albumin.



 

Nierenfunktion bei Volumenersatztherapie mit Humanalbumin

Die Gabe von Humanalbumin scheint beim Niereninsuffizienten gefahrlos möglich. Detaillierte Ergebnisse unter Gelatine fehlen seit Jahrzehnten, doch scheint ein Volumenersatz damit problemlos zu sein. Hydroxyethylstärke wird dagegen immer wieder in Zusammenhang mit Veränderungen der Nierenfunktion gebracht.

Bei seinem Einsatz muss Hydroxyethylstärke immer mit ausreichend kristalloiden Infusionen kombiniert werden. Das erhöhte Risiko für ein Nierenversagen und auch letale Folgen der Nierenschädigung wurden in zwei großen Studien bestätigt.

 

Volumenersatztherapie und die Immun-Funktion

Es ist ungemein schwierig, in dem dynamischen inflammatorischen Prozess der Sepsis nachzuweisen, dass ein bestimmtes Volumenersatzmittel negative immunologische Effekte besitzt. Volumenmangel scheint über eine Mikrozirkulationsstörung und der damit häufig verbundenen Gewebe-Ischämie zu Veränderungen der Immunfunktion zu führen.

Auch die Gabe des »falschen« Volumenersatzes kann negative Folgen für die Immunantwort haben. So ist bekannt, dass die Gabe von ­homologem Blut von einer erhöhten ­Inzidenz von Entzündungen gefolgt sein kann, darüber hinaus ist hierbei auch über eine Zunahme von ­Karzinom-Rezidiven berichtet worden.

Bei der Entwicklung der inflammatorischen Antwort beim schwerkranken Intensivpatienten scheint dem Zusammenspiel zwischen polymorphkernigen Granulozyten und dem Endothel eine besondere Bedeutung zuzukommen.

Beide Strukturen bilden dazu spezielle Liganden – sogenannte Adhäsionsmole­küle. Der gesamte Prozess des »rolling«, der Adhäsion und der Migration der Leukozyten wird durch diese Adhäsionsmoleküle reguliert.

Bislang konnte man mehrere endotheliale Adhärenzstrukturen identifizieren. Hierzu zählen das Endothel-Leukozyten-Adhäsionsmolekül (ELAM-1), das vaskuläre Zell-Adhäsionsmolekül (VCAM-1) und die interzellulären Adhäsionsproteine (ICAM-1). Die Expression der Adhäsionsmoleküle unterliegt einer komplexen Regulation, wobei die unterschiedichen Zytokine eine große Rolle spielen.



 

Die ideale Blutersatztherapie

Neben dem natürlichen Kolloid Humanalbumin kommen auch den synthetischen Kolloiden in der Volumenersatztherapie noch immer eine gewisse Rolle zu. Doch ideal sind sie nicht. Nach aktueler Datenlage sollte man Kolloide nicht mehr eingesetzen.

Doch bei kritischen Situationen im Schockraum, Uterusblutungen im Kreißsaal-OP oder auch bei großen chirurgischen Eingriffen kann der ausschließliche Einsatz von kristalloiden Lösungen nicht ausreichen. Das sind kritische Situationen, in denen Hydroxyethylstärke nach wie eingesetzt wird – doch keinesfalls bei Sepsis auf der Intensivstation.

Der ideale Volumenersatz einen anhaltenden Volumeneffekt haben, gleich wie die extrazelluläre Flüssigkeit zusammengesetzt sein, vollständig metabolisieren bzw. aus dem Körper ausgeschieden werden, keine Nebenwirkungen haben und das Outcome verbessern. Dies trifft allerdings auf keine der bekannten Infusionslösungen zu.

Als Konsens unter Experten gilt heutzutage, den Patienten plasmaisotone und balancierte Lösungen zu infundieren. Das gilt auch für Kinder. Hier besteht allerdings das Risiko für eine Hyponatriämie und in der Folge für Hirnödeme und Enzephalopathien.

Blut- oder Frischplasma sollte nicht zum Volumenmanagement eingesetzt werden. Erythrozyten-Konzentrate (EK) kommen bei Anämie zum EInsatz, Gefrierfrischplasma (fresh frozen plasma, FFP) bei Mangel an Plasmaproteinen – beispielsweise nach großem Blutverlust oder bei Blutungsneigung.

Vermieden werden soll eine manifesten anämischen Hypoxie, und eben kein Volumenmangel. Frischplasma wird in der Volumenersatztherapie nur eingesetzt, wenn gleichzeitig Gerinnungsstörungen vorliegen oder solche verhindert werden sollen.



 

Neuentwickeltes Hämoglobin-Messgerät bringt Vorteile für Blutspende und Notfälle

Das neu entwickelte Hämoglobin-Messgerät „OxyTrue Hb“ – erfunden von Experten vom Lehrstuhl Technische Elektronik und Sensorik am Institut für Allgemeine Elektrotechnik der Universität Rostock – kann den Hämoglobinwert, die Sauerstoffsättigung und zukünftig auch die Methämoglobinkonzentration (MetHb) ohne Piksen ermitteln und so die Blutspende-Tauglichkeit feststellen.

Dr. Ulrich Timm stellte im April 2015 das neu entwickelte Hämoglobin-Messgerät auf den Wiener Bluttagen vor. © Edeltraud Altrichter / Uni Rostock
Dr. Ulrich Timm stellte im April 2015 das neu entwickelte Hämoglobin-Messgerät auf den Wiener Bluttagen vor. © Edeltraud Altrichter / Uni Rostock

Prototypen mit dem Parameter MetHb sollen in den nächsten Wochen in den Test gehen. „Die zusätzliche Erkennung von erhöhten Methämoglobinwerten schon während der Überprüfung ist für eine verbesserte Qualitätssicherung und Erhöhung der Sicherheit von Blutkonserven für den Empfänger wichtig“, sagt der studierte Elektrotechniker Ulrich Timm, der in Irland mit dem Thema Hämoglobin promoviert hat.

Beim Einsatz der neuen Technologie, die auch für die Volumenersatztherapie in der Notfallmedizin und den Blutspendedienst große Bedeutung haben soll, gibt man den Finger in einen Sensor. Nach etwa 40 Sekunden sind die Hämoglobinwerte ermittelt und können unmittelbar vom Display abgelesen werden.




Literatur:

The SAFE Study Investigators. A Comparison of Albumin and Saline for Fluid Resuscitation in the Intensive Care Unit. N Engl J Med 2004; 350:2247-2256. DOI: 10.1056/NEJMoa040232. http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa040232

http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/001-020k_S3_Intravasale_Volumentherapie_Erwachsenen_2014-09.pdf

http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23353941

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