Samstag, April 20, 2024

Wenn Umwelteinflüsse krank machen

Bei vielen nicht übertragbaren Erkrankungen werden als Auslöser neben genetischer Veranlagung vom Menschen selbst verursachte Umwelteinflüsse vermutet.

Evolutionär betrachtet, reagiert unser Immunsystem im Wesentlichen auf äußere Signale und bis vor etwa 150 Jahren waren dies fast ausschließlich infektiöse Erreger wie Viren, Bakterien oder Parasiten. Mit der durch die Industrialisierung stark veränderten Lebenswelt, mit der Etablierung besserer hygienischer Bedingungen, der Verfügbarkeit sauberen Trinkwassers, der Einführung von Impfungen und der Entwicklung von Antibiotika wurden tödlich verlaufende Infektionen in unseren modernen Gesellschaften stark zurückgedrängt und das Lebensalter deutlich verlängert. Allerdings hat das moderne Leben neue gesundheitliche Herausforderungen mit sich gebracht, was letztendlich dazu geführt hat, dass die überwiegende Zahl aller Menschen heute an nicht übertragbaren Erkrankungen – Herzinfarkt, Schlaganfall, chronisch obstruktive Lungenerkrankungen, Asthma, Diabetes, Übergewicht, Krebs und Demenz – sterben. Als Auslöser für viele dieser Erkrankungen werden neben einer genetischen Komponente insbesondere vom Menschen selbst verursachte Umwelteinflüsse ins Feld geführt. Hierzu gehören neben Rauchen, Luftverschmutzung, Drogenmissbrauch, Einfluss von bioaktiven chemischen Substanzen auch Inaktivität, inadäquater Schlaf und falsche Ernährung.

 

Entzündungsreaktionen durch menschgemachte Umwelteinflüsse – unserem Lifestyle

Neuere Forschung hat jetzt gezeigt, dass diese menschgemachten Umwelteinflüsse (unser ‚Lifestyle‘) zu chronisch-entzündlichen Zuständen führen können, die bei anhaltender Exposition in die oben genannten chronischen Volkskrankheiten übergehen können. Dazu gehören auch Entgleisungen des Stoffwechsels im Rahmen von Fehlernährung und Übergewicht, die ebenfalls zu chronischentzündlichen Reaktionen führen und schlussendlich in Erkrankungen wie Diabetes, Arteriosklerose oder Demenz münden. Bei diesen entzündlichen Reaktionen kommt dem angeborenen Immunsystem eine tragende Rolle zu. In den letzten Jahren ist mehr und mehr klargeworden, dass die Zellen des angeborenen Immunsystems nicht nur Infektionserreger erkennen können, sondern auch Veränderungen, die durch unseren modernen Lifestyle bedingt sind. Diese Zellen sind z.B. in der Lage, übermäßige Konzentrationen an gesättigten Fettsäuren zu erkennen und reagieren bei regelmäßig hoher Exposition – so wie dies bei unseren modernen Nahrungsgewohnheiten der Fall ist – mit einer entzündlichen Reaktion auf diesen Reiz. Gleiches gilt für zu hohe Zufuhr an Salz, und weitere entzündungsauslösende Substanzen werden in unseren modernen Nahrungsmitteln vermutet. Aber auch die Luftverschmutzung und die damit verbundene chronische Exposition mit menschgemachten chemischen Substanzen kann zu entzündlichen Reaktionen des Immunsystems beitragen.

Die molekularen Mechanismen dieser chronischen Entzündungsreaktionen sind im Einzelnen bisher noch nicht gut verstanden. Die Aufklärung dieser Mechanismen bedarf weiterer wissenschaftlicher Anstrengungen, um möglicherweise neue präventive oder prophylaktische Verfahren zur Reduktion der großen Volkskrankheiten auf der Basis einer Verminderung der chronisch-entzündlichen Reaktionen zu erzielen. Forscher in Bonn und an anderen Standorten in Deutschland versuchen jetzt mit Hilfe sogenannter systemimmunologischer Ansätze diese entzündlichen Reaktionen besser zu verstehen. Dabei werden computergestützte Modellierungsverfahren mit experimentellen Untersuchungen verknüpft, um die komplexen Mechanismen, die in einer Vielzahl unterschiedlicher Immunzellen ablaufen, besser charakterisieren zu können. Mit den neuen Erkenntnissen erhoffen sich die Forscher neue und sensitivere diagnostische Verfahren zur frühzeitigen Aufspürung der entzündlichen Prozesse und daraus ableitbare präventive, prophylaktische oder therapeutische Gegenmaßnahmen.

Quelle:

Statement » Anhaltende Entzündungsreaktionen als Grundlage vieler nicht übertragbarer Volkskrankheiten: Wie Stoffwechsel und Immunsystem kommunizieren « von Professor Dr. med. Joachim L. Schultze, Abteilung für Genomik & Immunregulation am Life & Medical Sciences (LIMES)-Institut der Universität Bonn beim 61. Deutschen Kongress für Endokrinologie der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE)

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