Freitag, März 29, 2024

Umfrage und ExpertInnen Round Table zum Thema: PatientenvertreterInnen als FachexpertInnen – No-Go oder Notwendigkeit?

Patientenorganisationen und Selbsthilfegruppen nehmen als Mittler von Informationen, als BeraterInnen von PatientInnen und als Mitgestalter des Gesundheitssystems eine immer stärkere Rolle ein. Ein gesetzlicher ExpertInnenstatus bleibt ihnen aber bislang verwehrt. Das ist für die heimischen Patientenorganisationen unbefriedigend und nachteilig, wie eine aktuelle Umfrage ergab. Sie fordern die Anerkennung als FachexpertInnen und einen besseren Zugang zu medizinischen Fachinformationen.

Die Entwicklung der weltweiten Informationsgesellschaft beeinflusst auch die Arbeit und Rolle von Patientenorganisationen: In Österreich besteht ein Laienwerbeverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel. Dieses regelt für VertreterInnen des Gesundheitswesens und pharmazeutische Unternehmen, welche Informationen diese an die Öffentlichkeit geben dürfen. Der Bundesverband Selbsthilfe Österreich (BVSHOE) setzt sich dafür ein, dass Patientenvertretungen per Gesetz nicht länger als Laien, sondern als FachexpertInnen definiert werden. Das ermöglicht den dringend notwendigen, frühzeitigen und erweiterten Zugang zu Informationen über Therapien u.ä., da sie nicht länger unter das Werbeverbot fallen.

Dazu Angelika Widhalm, Vorsitzende des BVSHOE: „Patientenorganisationen werden durch erweiterte und formalisierte Partizipation zunehmend in Entscheidungsprozesse eingebunden. Das ist erfreulich und höchst an der Zeit, stellt uns aber vor neue Aufgaben. Es wäre für uns daher wichtig, verstärkt Zugang zu Fachinformationen zu erhalten, beispielsweise im Zuge von Fachkongressen. Bislang sind wir davon ausgeschlossen und können, wenn überhaupt, nur unter erschwerten Bedingungen teilnehmen.“

Um diese Punkte fundiert diskutieren zu können, wurde im Spätherbst letzten Jahres eine Umfrage unter PatientenvertreterInnen und LeiterInnen von Patientenorganisationen in ganz Österreich vom BVSHOE in Auftrag gegeben. Unterstützt wurde diese – von medupha HealthCareResearch durchgeführte – Erhebung vom Joint Standing Committee „Patient Advocacy“ von FOPI und PHARMIG.

Umfrage: Patientenorganisationen fordern besseren Zugang zu medizinischen Fachinformationen

Die Ergebnisse dieser Umfrage zeichnen ein klares Bild: Patientenorganisationen sehen ausreichende und konkrete medizinische Informationen als unumgängliche Basis für ihre Arbeit. Die Aneignung von medizinischem Wissen – sei es in Form von Kongressteilnahmen oder dem Lesen der relevanten Literatur – empfinden die Funktionäre als absolut notwendig, und das wird schon jetzt soweit möglich praktiziert. Gerade deshalb wird ein besserer Zugang zu fachlichen Informationen breit eingefordert.

„Es fehlt am notwendigen Zugang zu Studiendaten und Fachpublikationen sowie an zielgruppenorientierter Kommunikation dieser Informationen“, betont Mag. (FH) Sabine Röhrenbacher, Leitung Kommunikation und Büro des BVSHOE. „Von Seiten der PatientenvertreterInnen besteht sowohl das Interesse als auch der Wille zur Fort- und Weiterbildung. Das wissen wir aus unserer Arbeit mit und für unsere Mitglieder, und das bestätigt auch die Umfrage. Die Rücksichtnahme auf die mangelnden zeitlichen Ressourcen der ehrenamtlich tätigen und gewählten Funktionäre ist dabei wichtig.“

Drei Themenbereiche kristallisierten sich als zentral heraus:

  • Patientenorganisationen benötigen Zugang zu wissenschaftlichen Informationen – über den Zutritt zu Fachkongressen oder den Zugriff auf Online-Fachliteratur, und zwar in der relevanten Tiefe und auch in verständlicher Form. Ein Großteil wünscht sich dabei dezidiert einen stärkeren Wissensaustausch mit der Pharmaindustrie, um so über die Entwicklung neuer Medikamente und laufende klinische Studien auf dem letzten Stand zu sein.
  • Den meisten Vereinen fehlt es an finanziellen und auch personellen Ressourcen.
  • PatientenvertreterInnen fordern Wertschätzung und Austausch ein. Sie wollen als gleichwertige Partner gesehen und in Entscheidungen einbezogen werden.

„PatientenvertreterInnen sind ExpertInnen in ihrem Erkrankungsgebiet und dessen Umfeld“, appelliert Angelika Widhalm an die politischen Entscheidungsträger. „Sie wissen wie kaum ein anderer über Begleit- und Folgeerkrankungen sowie physische, psychische, soziale und arbeitsrechtliche Auswirkungen der Erkrankung Bescheid. Deshalb ist es falsch, sie nicht als ExpertInnen zu behandeln. Sie sind ‚health care professionals‘ und werden von den PatientInnen und der Gesellschaft seit vielen Jahrzehnten so wahrgenommen. Patientenorganisationen sind die vierte Säule im Gesundheitswesen, leisten einen beträchtlichen Beitrag und sind seit langem Partner auf Augenhöhe von Ärzteschaft, Pharma, Forschung und Politik. Was in vielen Fällen schon selbstverständlich gelebt wird, muss auch endlich gesetzlich geregelt sein.“

Breite Unterstützung für die Forderung beim Round Table

Ob PatientenvertreterInnen Zugang zu medizinischen Informationen als Basis für Vertretung und Mitbestimmung erhalten sollen, wurde bei einem Round Table am 19. März 2021 mit namhaften EntscheidungsträgerInnen diskutiert. Unter der Moderation von Corinna Milborn (Informationsdirektorin bei ProSiebenSat1 PULS 4) tauschten sich Peter Lehner (Vorsitzender der Konferenz der Sozialversicherungsträger), Ao. Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres, PHD (Präsident der Österreichischen Ärztekammer) und Angelika Widhalm (Vorsitzende des BVSHOE) aus.

Markante Aussagen daraus:

„Patientenorganisationen können keine Ärzte ersetzen, haben aber die Aufgabe, aus der Praxis heraus fachlich qualifizierte gesicherte Informationen patientenorientiert aufzubereiten und verständlich zu vermitteln.“
Angelika Widhalm (Vorsitzende des BVSHOE)

„Selbsthilfegruppen sind ohne Frage qualifiziert, Informationen an Patienten weiterzugeben und sich auszutauschen. Dementsprechend gibt die Sozialversicherung ein klares Bekenntnis zu Patientenorganisationen ab und leistet auch einen Beitrag zur Finanzierung. Bei der legistischen Frage der Mitbestimmung braucht es aber den Gesetzgeber.“
Peter Lehner (Vorsitzender der Konferenz der Sozialversicherungsträger)

„Es macht Sinn, Patientenorganisationen möglichst viel Wissen zu vermitteln, über Kongresse, Fachinformationen und ähnliches. Denn PatientenvertreterInnen können als Betroffene die Situation oft viel besser beurteilen und damit viel einbringen. Der einfühlsamste Arzt kann nicht spüren, was der kranke Patient fühlt.“
Thomas Szekeres (Präsident der Österreichischen Ärztekammer)

„Es ist wichtig, dass dieses Miteinander funktioniert.“
Peter Lehner (Vorsitzender der Konferenz der Sozialversicherungsträger)

„Ich halte es für sinnvoll, dass Patienten Zugang zu Studien bekommen und dass es eine Ausbildung für Patientenorganisationen ähnlich wie in Deutschland gibt.“
Thomas Szekeres (Präsident der Österreichischen Ärztekammer)

„Wir brauchen eine Klarstellung, dass Patientenorganisationen Fachexpertinnen sind und daher in die Reihe der ‚health care professionals‘ eingereiht gehören. Und wir benötigen die Anschlussstellen – oder man könnte sagen „Stecker“ – ins Gesundheits- und Sozialwesen. Wie können diese Anschlussstellen aussehen? Ich denke da vor allem an eine stärkere und formalisierte Einbindung in Gremien – ähnlich wie in Deutschland, wo die Selbsthilfe fester Bestandteil des Gesundheitswesens ist.“
Angelika Widhalm (Vorsitzende des BVSHOE)


Quelle:

PHARMIG – Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs: www.pharmig.at

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