Donnerstag, März 28, 2024

Wichtiges Therapie-Ziel bei Krebs: Tumorschmerzen wirksam behandeln

Oft erster Hinweis auf Krebs und häufigstes Symptom: Tumorschmerzen wirksam zu behandeln gehört zu den wichtigsten Zielen der Therapie.

Bereits im Anfangsstadium einer Tumorerkrankung leiden 20 bis 50% der Patienten unter Tumorschmerzen. Der Prozentsatz steigt mit dem Fortschreiten der Erkrankungen auf 75 bis 90%. Wobei die Lokalisation und die Pathophysiologie des Tumors bei der Therapie eine entscheidende Rolle spielen, auch um die Tumorschmerzen effektiv behandeln zu können.



Unter dem Strich muss zur effizienten Schmerzbekämpfung primär zwischen Nozizeptorschmerz und neuropathischem Schmerz differenziert werden. Weiter können sich im Verlauf der Erkrankung dann verschiedene Schmerztypen und auch Kombinationen herausbilden.

 

Schmerzen differenzieren

  • Nozizeptorschmerz wird durch ­Er­regung der Nozizeptoren in ­einem lokalen Geschehen ausgelöst.
  • Knochen- und Periostschmerz ist Hell, lanzinierend und gut lokalisierbar. Er tritt anfänglich nur bei körperlicher Belastung und bei ­bestimmten Bewegungen auf, später auch in Ruhe – in der Folge ist er oft von Schlafstörungen begleitet.
  • Weichteilschmerz: Zeigt sich häufig als bewegungsunabhängiger, diffus lokalisierter, durch Druck verstärkbarer Dauerschmerz, kann aber auch als brennende, bohrende oder plötzlich einschießende, blitzartige Schmerzattacke auftreten.
  • Ischämieschmerz: Entsteht durch den Sauerstoffmangel ­infolge einer Kompression oder Infiltration der Blutgefäße. Häufig fällt eine bläulich-livide Verfärbung der Haut auf.
  • Viszeraler Schmerz: Wird durch die Nozizeptoren des kardio­vaskulären Systems, des Gastrointestinal-, Respirations- und Urogenitaltraktes vermittelt und wird als dumpf, schlecht lokalisierbar, kolikartig beschrieben.
  • Neuropathischer Schmerz entsteht durch Infiltration oder Kompression der peripheren Nerven, des Nervenplexus oder des ZNS. Er ist brennend, lanzinierend, spitz, hell, attackenweise einschießend, oder aber auch ein brennender, schlecht lokalisierbarer Dauerschmerz. Der neuropathische Schmerz ist durch den Tumor selbst bedingt, kann aber auch durch Chemotherapie, Operationen oder Bestrahlung ausgelöst werden.
    In der Folge kommt es zu sensiblen Ausfällen (Hypoästhesie, Hyperästhesie, Allodynie, Hyperalgesie), seltener zu motorischen Ausfällen.
    Objektivierbare neurologische Symptome müssen nicht zwingend auftreten; gelegentlich gibt es Hinweise für eine Beteiligung des sympathischen Nerven­systems (Brennschmerz, gestörte Hauttrophik, Ödembildung, Temperaturunterschiede).

 

Tumorschmerzen und Tumor-assoziierten Schmerz

Neben den Ursachen von Tumorschmerzen (Knochen-/Weichteilinfiltration, Kompression und Infiltration von Nerven-, Blut- und Lymphgefäßen, Tumornekrose an Schleimhäuten mit Ulzeration und Perforation und Hirnödem) gibt es auch den Tumor-assoziierten Schmerz (Paraneoplastisches Syndrom, Zosterneuralgie, Pilzinfektion, Venenthrombose, Dekubitus) sowie den oft erst nach Monaten oder Jahren auftretenden therapiebedingten Schmerz (verursacht durch die Operation: Nervenläsion, Vernarbung, Ödem, Muskelverspannung, Postthorakotomieschmerz, Stumpf- und Phantomschmerzen; durch die Bestrahlung: ­Fibrose, Neuropathie, Strahlen­osteo­mye­litis, Mukositis; durch die Chemotherapie: Entzündung, Paravasat, Mukositis, Neuropathien, aseptische Knochennekrosen, Mukosaentzündungen) und den unter Umständen schon vorher beste­henden tumorunabhängigen Schmerz (Migräne, Spannungskopfschmerz, Arthritis, Rückenschmerz), der sich in der Krisensituation einer ­Tumorerkrankung verstärkt zeigen kann.

 

Tumorschmerzen kausal behandeln

Bei einer bekannten Tumor­diagnose stehen alle kausalen ­Behandlungsmöglichkeiten zur Beseitigung oder Verkleinerung des Tumors und die kurative Be­seitigung des Schmerzes im Vordergrund.



 

Tumorschmerzen symptomatisch behandeln

Eine symptomatische Tumorschmerz-Therapie setzt immer die Kenntnis der exakten Diagnose der umfassenden Anamnese ­sowie eine gründliche körperliche Untersuchung mit neurologischem Status voraus. Jene psychischen Faktoren die das Schmerzempfinden mitbestimmen, werden in den Therapieplan miteinbezogen ebenso der Schmerzverlauf, da bei einer Schmerzverstärkung immer an ein Tumorrezidiv oder Metastasen gedacht werden muss.

Die Orientierung der symptomatischen Tumorschmerz-Therapie erfolgt am WHO­­-Stufenschema zur Schmerztherapie. In Anlehnung an dieses WHO Stufenschema (siehe Einstiegsbild) zur Schmerz-Therapie wurde 1986 von der WHO eine Empfehlung zum Behandeln von Tumorschmerzen herausgegeben. Diese Empfehlungen zeigen bei 80% der Patienten eine zufriedenstellende Schmerzreduktion. Man konnte ihr Effektivität auch in großen Fallserien nachweisen.

  • Demnach werden bei leichteren Schmerzen Nicht-Opioidanal­getika eingesetzt (Stufe 1),
  • bei ­einer nicht ausreichenden analgetischen Wirkung, wird das Nicht-Opioidanalgetikum mit einem schwachen Opioid kombiniert (Stufe 2).
  • Bei weiterhin unzureichender Analgesie wird das Nicht-Opioidanalgetikum mit einem stark wirksamen Opioid kombiniert (Stufe 3).

Es gibt Diskussionen darüber, inwieweit der Einsatz schwach wirksamer Opioide überhaupt notwendig ist: Aktuelle Studien hinterfragen den Einsatz schwach wirksamer Opioide und zeigen, dass eine sofortige Einstellung auf stark wirksame Opioide ­sicher und effektiv möglich ist. Da Opi­oide keine Organtoxizität aufweisen, sind sie unter Umständen auch den Nicht-Opioidanalgetika der Stufe 1 vorzuziehen.

 

Grundregeln bei der ­medikamentösen Therapie von Tumorschmerzen beziehungsweise chronischer Schmerzen

Die Wirkung und Nebenwirkungen einer medikamentösen Schmerztherapie müssen regelmäßig kontrolliert und dokumentiert werden. Retardierte Opioide oder Präparate mit ­einer langen Wirkungsdauer sind zu bevorzugen.

Treten die Schmerzen immer vor Fälligkeit der nächsten Dosis ein (»end of dose failure«), sollte nicht das Zeitintervall verkürzt, sondern die Dosis erhöht werden. Die Einnahmezeiten können dem individuellen Lebensrhythmus des Patienten angepasst werden. Trotz vorgegebener Standarddosierungen sollte immer eine individuelle Titration des einzelnen Opioids erfolgen, die sich an Wirkung und Nebenwirkung des verwendeten Präparates orientiert.



Daher werden für fast alle Opioide keine Höchstdosierungen angegeben (mit Ausnahme des ­limitie­renden Ceiling-Effekts). Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen oder Obstipation müssen behandelt werden (Antieme­tika, Laxantien).

Opioidwechsel. Ein Fortschreiten der Erkrankung und zunehmende Schmerzen bedürfen einer Dosissteigerung der verwendeten Opioide, wobei es unter Umständen zu nicht tolerablen Nebenwirkungen kommen kann.

Durch das Umsteigen auf ein anderes Opioid kann möglicherweise eine verbesserte Schmerzlinderung mit reduzierten Nebenwirkungen erzielt werden, wobei zuvor zu überprüfen ist, ob die Nebenwirkungen nicht auf andere Ursachen zurückzuführen sind. Ebenso kann durch eine andere Applikationsform eine Verringerung der Nebenwirkungen erreicht werden.

 

Applikationswege

  • Oral: Um die Selbstständigkeit der Patienten zu erhalten, ­erfolgt primär eine orale Applikation, wobei sich die Dosis­intervalle nach der Wirkungsdauer des verwendeten Präparates richten (z.B. Morphin retard alle acht bis zwölf Stunden). Die Zufuhr mittels Ernährungssonde ist mit den meisten verfügbaren Präparaten möglich.
  • Transdermal: Dem Vorteil der ­geringen Belastung durch die transdermale Applikation (Fen­tanyl, Buprenorphin) und der langen Wirkungsdauer der ­Pflaster (Fentanyl 48–72 Stunden, Buprenorphin 96 Stunden) ist die schwierigere Dosisfindung und -anpassung (voller Wirkungseintritt erst nach 12–24 Stunden) gegenüber zu stellen.
  • Rektal: Morphin-Suppositorien müssen alle vier Stunden appliziert werden.
  • Subkutane oder intravenöse ­Gabe: Es sollten möglichst keine wiederholten Injektionen durchgeführt werden, sondern eine Dauerinfusion über eine Pumpe erfolgen, wobei eine ­patienten­kontrollierte Pumpe mit Bolusfunktion nur in einzelnen Fällen sinnvoll ist (z.B. um ein schnelles Anfluten des ­Analgetikums bei Durchbruchsschmerzen zu ermöglichen). Grundsätzlich besteht keine Indikation für die intramuskuläre Gabe von Opioiden bei Tumorschmerzen.
  • Rückenmarknahe Applikation: Die Indikation für eine rückenmarknahe Applikation von Opioiden sollte nur in Ausnahmefällen und von erfahrenen Schmerztherapeuten gestellt werden (Terminalstadium der Erkrankung; stärkste Schmerzen, die mit anderen Applikationsformen nicht beherrschbar sind; gravierende, nicht behandelbare Nebenwirkungen bei anderen Applikationswegen).

 

Nebenwirkungen bei der Behandlung von Tumorschmerzen

Die häufigste Nebenwirkung beim Behandeln von Tumorschmerzen ist die Obstipation. Weitere häufige Nebenwirkungen sind Erbrechen (prophylaktische Gabe von Antiemetika), Konzentrationsstörungen, Müdigkeit, Übelkeit, Verwirrtheit.

Seltener kommt es zu neurotoxischen Nebenwirkungen wie Alpträumen, Halluzinationen, Hyperalgesien und Myoklonien. Im Therapieverlauf kommt es häufig zur Reduzierung einiger Nebenwirkungen (= selektive Toleranz), wohingegen die Obstipation zunimmt und eine forcierte Behandlung derselben erforderlich ist.

Prinzipiell können Antihistaminika, Neuroleptika, Anticholinergika, prokinetische Substanzen, 5-HT3-Antagonisten und eventuell Glucocorticoide eingesetzt werden.



 

Co-Analgetika

Co-Analgetika ergänzen eine Monotherapie mit Opioiden, wenn diese nicht ausreicht, und können auf allen Stufen zur Behandlung verschiedener Symptome der ­Tumorerkrankung kombiniert werden.

  • Antidepressiva ergänzen sinnvoll die Behandlung neuropathischer, brennender Dauerschmerzen und schmerzhafter Dysästhesien, sie werden deutlich niedriger dosiert eingesetzt als bei der psychiatrischen ­Behandlung. Die analgetische Wirkung von Antidepressiva lässt sich auf die Steigerung der Funktion inhibitorischer Transmitter durch Hemmung ihrer Wiederfreisetzung in Neurone zurückführen.
  • Antikonvulsiva werden bei neuropathischen, einschießenden, elektrisierenden Schmerzen angewandt. Sie unterdrücken eine erhöhte synaptische Impulsübertragung und steigern hemmende Einflüsse auf die Neuronenaktivität in verschiedenen Bereichen des ZNS. Pregabalin wird bei peripheren Neuropathien verwendet.
  • Bisphosphonate kommen bei osteolytischen Knochenmetastasen zum Einsatz. Sie hemmen die Aktivität der Osteoklasten und das Wachstum osteolytischer Metastasen, wodurch eine Schmerzreduktion erreicht wird.
  • Corticosteroide führen durch eine Verminderung des perineuralen Ödems zur Schmerzlinderung. Die steroidalen Nebenwirkungen (Appetitsteigerung, Gewichtszunahme und Stimmungsaufhellung) werden von Tumorpatienten häufig als positiv empfunden.
  • Benzodiazepine sind ungeeignet für die Schmerztherapie.

 

Behandeln der Tumorschmerz-Attacken: Breakthrough pain

Die Auslöser für Schmerzattacken können neben einer unzureichenden Behandlung der Dauerschmerzen Bewegungen, körperliche Belastungen, Nahrungsaufnahme, Stress etc. sein. Auch bei Schmerzattacken muss zwischen nozizeptiven und neuropathischen Schmerzen differenziert werden.

Bei nozizeptiven Schmerzattacken empfiehlt sich ein nicht-retardiertes, schnell wirksames Opioid der gleichen Wirkungsgruppe, wie bei der ­Behandlung des Dauerschmerzes. Der Richtwert der Dosis für die Attackenmedikation ­beträgt ein Sechstel der ­Tagesdosis der Dauermedi­kation, wobei große individuelle Schwankungen bei der verträglichen und benötigten ­Dosierung bestehen.

Neuro­pa­thi­sche Schmerzattacken werden in erster Linie mit Antikonvulsiva, gegebenenfalls in Kombination mit Antidepressiva, behandelt.

 

Invasive Verfahren

In Abhängigkeit von der Prognose und dem allgemeinen Gesundheitszustand des Patienten, kann die Möglichkeit von Nerven­blockaden oder Neurolysen in Betracht gezogen werden. Als klassische Indikationen gelten viszeraler Abdominalschmerz und neuropathischer Schmerz.

Eine Plexus-coeliacus-Blockade oder eine Neurolyse kann beim Pankreaskopfkarzinom für Wochen bis Monate eine Schmerzfreiheit bringen. Opioidapplikationen am Ganglion cervicale superius oder Stellatumblockaden sind bei neuro­pathischen Schmerzen an den oberen Extremitäten und am Kopf zielführend.

Eine Grenz­strang­blockade beziehungsweise eine Neurolyse kann bei neuropathischen Schmerzen der unteren Extremitäten durchgeführt werden. Eine S4/S5-Neurolyse führt zu ­einer deutlichen Schmerz­reduk­tion bis eventuellen Schmerzfreiheit bei perianal ­begrenzten Schmerzen.




Quellen:

http://annonc.oxfordjournals.org/content/22/suppl_6/vi69.full

Tumorschmerzen behandeln. Dr. Peter Traxler, OA Dr. Raimund Waldner. MEDMIX 1-2/2007

Related Articles

Aktuell

Steviosid: Eine revolutionäre Alternative zu Zucker

Mit seiner Süßkraft, die deutlich stärker ist als die von Zucker, hat Steviosid (ohne jegliche Kalorien) die Welt der Süßstoffe revolutioniert. Mit einer Süßkraft, die...
- Advertisement -

Latest Articles

Digital Detox: Der Weg zu einer besseren Männergesundheit

Die Entscheidung für einen Digital Detox ist ein Schritt hin zu bewussterem Leben und Arbeiten. In unserer heutigen, digital dominierten Welt ist es kaum noch...

Gartenmelde und seine Heilwirkung

Die Gartenmelde kommt in der Volksmedizin mit seiner diuretischen (harntreibenden) Heilwirkung als Brechmittel und als Abführmittel zum Einsatz. Gartenmelde ist ein vielseitiges Kraut in Küche...

Biosimilars in der Therapie der Psoriasis

Vergleich der Wirksamkeit und Sicherheit von Biosimilars mit Original-Biologika für die Behandlung von Psoriasis lässt Fragen offen. Bei der Behandlung von mittelschwerer bis schwerer Psoriasis...