Samstag, April 20, 2024

Tilavonemab zur Antikörper-Therapie der progressiven supranukleären Blickparese

Patienten mit Progressiver Supranukleärer Blickparese (PSP) sollen zukünftig mit einer Antikörper-Therapie behandelt werden, eine rezente Studie mit Tilavonemab zeigte aber keine Vorteile.

Bislang gibt es für Tauopathien wie die chronisch-fortschreitende neurodegenerative Erkrankung Progressive Supranukleäre Blickparese keine ursächliche Therapie. Monoklonale Antikörper gegen das Tau-Protein gelten als vielversprechende Therapiestrategie. Eine aktuell in Lancet Neurology publizierte weltweite Phase-II-Studie mit dem monoklonalen Antikörper Tilavonemab zeigt die Möglichkeiten und Herausforderungen auf: „Wir konnten zeigen, dass der Antikörper sicher ist und er das Tau-Protein im zentralen Nervensystem erreicht. Diese Ergebnisse sind wichtig, um in weiteren Studien mit modifiziertem Antikörper-Design nun die therapeutische Wirkung zu aktivieren“, so Studienleiter Professor Günter Höglinger, Direktor der Klinik für Neurologie an der Medizinschen Hochschule Hannover und erster Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen (DPG).

 

 

Symptome bei Progressiver Supranukleärer Blickparese

Allen Tauopathien gemeinsam ist die Ablagerung eines pathologischen Eiweißes (Tau-Protein) in bestimmten Gehirnregionen (Tau-Aggregate beziehungsweise -Fibrillen); auch im Nervenwasser (Liquor cerebrospinalis) ist das Tau-Protein meist nachweisbar. Tauopathien unterscheiden sich teilweise recht deutlich in Bezug auf biochemische Mechanismen und klinische Symptome; es gibt aber auch Überschneidungen.

Die Klinik der Progressiven Supranukleären Blickparese (PSP) ähnelt teilweise der klassischen Parkinson-Erkrankung, weshalb sie auch als atypisches Parkinson-Syndrom bezeichnet wird. Es kommt zu Störungen der Bewegungsabläufe (Bewegungsverarmung, Gangunsicherheit) oder geistiger Funktionen (kognitive Störung). Bei der Progressiven Supranukleären Blickparese stehen außerdem eine Blicklähmung sowie Sprech- und Schluckstörungen im Vordergrund.

 

Tilavonemab zur Therapie bei progressiver supranukleärer Blickparese

Aktuell besteht die Therapie der Patienten mit Progressiver Supranukleärer Blickparese nur im Symptom-Management. Durch die Erforschung der komplexen genetischen, molekularen beziehungsweise biochemischen Krankheitsmechanismen gibt es aber inzwischen verschiedene kausale Therapieansätze. Bislang konnte man jedoch für kein Medikament eine klinische Wirksamkeit belegen.

Nun haben Forscher in Lancet Neurology erstmals eine internationale Phase-II-Studie publiziert, die bei Patienten mit Progressiver Supranukleärer Blickparese die Therapie mit einem monoklonalen Antikörper (Tilavonemab) gegen das Tau-Protein untersuchte. In acht Ländern (Australien, Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, Spanien, USA) wurden an 66 Kliniken fast 500 Teilnehmer gescreent. Schließlich hat man 378 randomisiert in die Studie eingeschlossen und 120 gemäß den definierten Studienkriterien ausgewertet. Die Randomisierung erfolgte doppelblind in drei gleichgroße Gruppen. Die Patienten erhielten intravenös entweder 2000 mg (n=126) oder 4000 mg (n=125) Tilavonemab oder Placebo (n=126) an den Tagen 1, 15 und 29. Danach alle 28 Tage für insgesamt 52 Wochen. Zu Studienbeginn war der Symptom-Score PSPRS (“Progressive Supranuclear Palsy Rating Scale”) der Patienten in den drei Gruppen ähnlich; die Veränderung des PSPRS-Scores nach 52 Wochen war der primäre Studienendpunkt.

 

Nach 52 Wochen wegen geringem beziehungsweise keinem Behandlungseffekt vorzeitig beendet

Die Studie hat man nach 52 Wochen (mit 120 Auswertungen) entsprechend den vordefinierten „Futility-Kriterien“ (zu geringer bzw. kein Behandlungseffekt) vorzeitig beendet. Im Ergebnis waren zwischen Verum und Placebo keine signifikanten Gruppenunterschiede beim PSPRS-Score festzustellen. Die meisten Teilnehmer berichteten von mindestens einem unerwünschten Ereignis während der Studiendauer: jeweils 111 Patienten in der 2000-mg-Gruppe (88%) sowie in der 4000-mg-Gruppe (89%), aber auch 108 Probanden der Placebogruppe (86%). Dabei waren Stürze (als typisches Ereignis bei PSP) am häufigsten (42 in der 2000-mg-Gruppe; 54 in der 4000-mg-Gruppe und 49 in der Placebogruppe). Substanz-assoziierte Nebenwirkungen waren in den Behandlungsgruppen ähnlich. Es verstarben jeweils neun Patienten in der 2000-mg- und in der 4000-mg-Gruppe und acht in der Placebogruppe – die Todesfälle standen nicht im Zusammenhang mit der Studienmedikation.

In beiden Tilavonemab-Gruppen sank gegenüber der Placebobehandlung die Konzentration des freien Tau-Proteins im Nervenwasser signifikant ab (-38% mit 2000 mg und -46,3% mit 4000 mg). „Obwohl über die Studiendauer von 52 Wochen kein klinischer Therapieeffekt gezeigt werden konnte, zeigte sich eine biologische Wirksamkeit; das heißt der Antikörper erreichte offensichtlich sein molekulares Ziel“, erklärt Professor Dr. Günter Höglinger. Er ist Direktor der Klinik für Neurologie an der Medizinischen Hochschule Hannover, Erster Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen e.V. (DPG) und Autor der Studie.

 

Ursachen für die fehlende klinische Wirkung von Tilavonemab

Für die fehlende klinische Wirkung von Tilavonemab in dieser Studie diskutieren Experten verschiedene Gründe. Den Antikörper hat man zunächst im Tauopathie-Mausmodell erforscht. Möglicherweise gelangt er aber nicht in ausreichender Menge in das humane Gehirn, um die Übertragung des extrazellulären Tau Proteins zwischen den Nervenzellen ausreichend zu unterbinden. Möglicherweise muss man den Antikörper-Angriff bei der PSP auf andere Molekülstrukturen (Epitope) der Tau-Fibrillen ausrichten als es bei Tilavonemab der Fall ist, der an das N-terminale Ende des Tau-Proteins bindet. „Auf jeden Fall sollte der immunologische Therapieansatz trotz fehlender klinischer Wirksamkeit nicht als gescheitert ansehen“, konstatiert Prof. Höglinger.

„Die PSP-Patienten der Studie waren möglicherweise schon in zu weit fortgeschrittenen Erkrankungsstadien, die Behandlungsdauer war möglicherweise zu kurz, die Tau-Reduktion möglicherweise zu niedrig, um klinisch relevante therapeutische Effekte zu erzielen. Bei früherem Therapiebeginn und längerer Behandlungsdauer mit höherer Dosis und geeigneterem Epitop könnte man womöglich eine klinische Wirkung erzielen.“ Zusammenfassend ließen sich somit wichtige Erkenntnisse für die weitere Forschung ableiten. Zudem haben die Studienergebnisse das Sicherheitsprofil bestätigt.

Weitere Studien mit Tilavonemab laufen bereits mit Patienten in Frühstadien der Alzheimer Krankheit. Bei PSP wird der Antikörper Bepranemab, der am mittleren Molekülbereiche des Tau-Proteins bindet, derzeit in einer Phase I Studie getestet. Das „Target Tau“ für die Entwicklung von Therapien für PSP und andere Tauopathien bliebe unverändert relevant und attraktiv, betont Prof. Höglinger abschließend; so ist nun beispielsweise in Deutschland eine Studie mit einem sogenannten Tau-Antisense-Oligonucleotid bei PSP gestartet.


Quelle:

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN): www.dgn.org

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