Montag, März 18, 2024

Moderne Therapie kann bei Schizophrenie Gewaltausbrüche und Suizid verhindern

Eine wirksame Therapie gegen Psychosen kann Gewaltausbrüche und Suizid bei Schizophrenie vorbeugen, heilbar ist die Erkrankung aber meistens nicht.

Für Menschen, die an Schizophrenie leiden, verschwimmen Realität und Fiktion. Alltägliches wird als Verschwörung und Bedrohung empfunden. Wahnideen, Verfolgungsängste, Halluzinationen, Angst und Stimmen, die unablässig auf sie einreden, und der tägliche Kampf dagegen bestimmen das Leben der Betroffenen. Das Ich attackiert sich quasi selbst. Und dies kann lebensbedrohliche Ausmaße annehmen und zum Suizid führen. 5 bis 12% der an Schizophrenie Erkrankten begehen Selbstmord. Die Rate der Suizidversuche wird auf zwei- bis fünfmal so hoch geschätzt. Unter dem Strich hat die Thematik Schizophrenie, Gewalt, Gewaltausbrüche und Suizid sowie eine effektive vorbeugende Therapie jedenfalls viele Aspekte. Einerseits Gewalt gegen sich selbst in Form von Suizid oder exzessivem selbstschädigendem Lebensstil. Andererseits Gewalt gegen andere, verursacht durch Wahnvorstellungen.

 

Schizophrenie ist ein komplexes Krankheitsgeschehen

Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO leidet weltweit rund 1% der Menschen an Schizophrenie. Im Grunde genommen ist die Schizophrenie jedenfalls eine schwere psychische Erkrankung, die zumeist im Jugendlichen- oder jungen Erwachsenenalter ausbricht.



Dabei hat Schizophrenie vielfältige Erscheinungsbilder, verläuft weiter in Schüben und zudem nimmt sie häufig einen chronischen Verlauf. Sie kommt übrigens in allen Kulturkreisen der Welt vor.

Grob zusammengefasst kommt es bei Schizophrenie zu Veränderungen im Denken, der Wahrnehmung, der Ich-Funktionen, der Affektivität sowie des Antriebs und der Psychomotorik.

 

Wie  sich Schizophrenie „anfühlt“

Unter dem Strich erleben Patienten mit Schizophrenie im Rahmen der Psychose eine umfassende Veränderung der sie umgebenden Realität. Dabei ist die Wahrnehmung der Außenwelt verändert und die Sinne täuschen sie. Die Betroffenen hören Stimmen und können Farben und Gerüche verändert wahrnehmen.

Alltägliche Vorgänge erhalten eine tiefere Bedeutung, Zusammenhänge mit der eigenen Person werden vermutet oder wahnhaft interpretiert. Aber auch die Wahrnehmung der eigenen Person ist verändert, die eigenen Gedanken werden als fremd erlebt, die Logik setzt aus.

Reizüberflutung, Wahnideen, Verfolgungsängste, Halluzinationen, Stimmen, die unablässig auf sie einreden, sie beschimpfen, sich über sie unterhalten, ihnen Dinge befehlen – dies führt zu Einsamkeit, Verwirrung, Angst. Und im schlimmsten Fall zum Suizid, als radikaler Befreiungsversuch, um den quälenden psychotischen Erlebnissen ein Ende zu setzen, oder aus Selbsthass aufgrund der verlorenen Fähigkeit, das Leben zu meistern.

 

5 bis 12 % der Schizophrenie Erkrankten begehen Suizid

„Neben dem bilanzierten Suizid, der aufgrund der scheinbaren Ausweglosigkeit aus der Krankheit oder aufgrund der Lebensumstände oder der aktuellen Situation begangen wird, kommt es immer wieder zum Suizid als ‚Unfall der Psychose‘. Denn die während einer psychotischen Phase veränderte Realität kann zu einer veränderten Risikoeinschätzung führen: Das heißt, die Stimmen befehlen den Suizid, man glaubt fliegen zu können oder ähnliches“, so Mersch.



 

Suizidalität und psychische Erkrankungen

Im Grunde genommen sind 70 bis 90% aller Suizid-Fälle Folge einer psychischen Erkrankung, wobei Schizophrenie-Patienten hier besonders gefährdet sind. Dementsprechend versterben 5 bis 12% der an Schizophrenie Erkrankten durch Suizid. Allerdings schätzt man die Rate der Suizidversuche zwei- bis fünfmal so hoch ein. Junge Patienten mit Schizophrenie sind übrigens überproportional stärker von Suizidalität betroffen.

Schließlich sind dies Zahlen auch Ausdruck dafür, welche enorme Belastung diese schwere psychische Erkrankung für die Betroffenen darstellt. Am Beispiel der Schizophrenie wird aber auch die hohe Belastung der Angehörigen deutlich. Angehörige von Menschen mit psychischen Erkrankungen entwickeln nicht selten selbst affektive Störungen und Burnout bis hin zu Suizidgedanken oder identifikatorischen Krisen mit Nachahmungssuiziden. Suizidalität ist somit ein komplexes Phänomen, das nicht nur Betroffene, sondern auch die Umgebung zu Mitbetroffenen machen kann.

 

Schizophrenie und Gewaltausbrüche

Die meisten Menschen haben Angst vor psychisch kranken Menschen. Das ist auch verständlich, denn der Mensch hat Angst vor dem Unvorhersehbaren, und Schizophrenie-Kranke verhalten sich oft unvorhersehbar. Diese Angst vor ihnen kann wiederum ihre Unsicherheit und ihre Wahnvorstellungen befeuern. Nach dem Motto: „Die haben etwas gegen mich, die verschwören sich gegen mich.“ Und es kommt auch immer wieder zu Gewalttaten, die von an Schizophrenie erkrankten Personen begangen werden. Aber das Thema Schizophrenie und Gewalt hat viele Aspekte.

 

Gefährliche Impulsgeber

Tatsache ist, dass beispielsweise Wahnvorstellungen und halluzinierte, imperative, also befehlsgebende Stimmen, gefährliche Impulsgeber sein und zu erhöhter Gewaltbereitschaft – sich selbst und anderen gegenüber – führen können. Oft stellt sich aber die Frage, ob Menschen, die an Schizophrenie erkrankt sind, per se gewalttätig und gefährlich sind.

Dass ein Zusammenhang zwischen Schizophrenie und Gefährlichkeit besteht, ist zumindest in der öffentlichen Meinung eine Tatsache. Diese findet immer wieder durch Meldungen über schwere Gewalttaten, begangen von an Schizophrenie Erkrankten, Bestätigung.

Dem widersprach die bis heute umfassendste epidemiologische Studie über die Gewalttätigkeit psychisch Kranker (Böker, Häfner 1973). In dieser wurde nämlich ein gesamthaft nicht erhöhtes Gewaltrisiko von Psychiatriepatienten festgestellt.

Freilich ist diese Schlussfolgerung unvollständig: Schon Böker & Häfner stellten fest, dass, im Untersuchungszeitraum von Jänner 1955 bis Dezember 1964 in Deutschland 3% der Täter bei schweren Gewalttaten und Tötungsdelikten an Schizophrenie erkrankte Menschen waren.

Als Risiko für Gewaltdelinquenz erwiesen sich damals allerdings nicht unmittelbar erkrankungsbedingte Faktoren wie ein schon vor Erkrankungsausbruch beobachtbares antisoziales Verhalten oder chronischer Substanzmissbrauch.“



 

Gute Prognose bei Schizophrenie durch medikamentöse und sozialtherapeutische Therapie

In weiteren Untersuchungen zeigte sich, dass „Late Starters“, die vor Erkrankungsausbruch und Delinquenz ein weitgehend unauffälliges Leben geführt hatten, eine deutlich bessere Prognose hatten als die sogenannten „Early Starters“, die schon vor Erkrankungsausbruch gewalttätig gewesen waren. Wenn es gelingt, bei „Late Starters“ eine ausreichende medikamentöse und sozialtherapeutische Behandlung zu etablieren, sinke das Risiko eine Gewalttat zu begehen, wieder auf das Niveau des Durchschnittsbürgers.

Um künftige Gewalttaten zu verhindern, sei es jedoch wichtig, Risiken ernst zu nehmen und eine geeignete Behandlung zu forcieren.

Eine andere durchaus effiziente und immer noch nicht ausreichend genutzte Behandlungsstrategie beruht auf der Empfehlung zur Depotbehandlung, die sich sowohl pharmakodynamisch als auch bzgl. Langzeitverlauf der Erkrankung in unzähligen Studien als die bestmögliche Behandlungsform erwiesen hat.

 

Moderne Therapie der Schizophrenie ist die beste Vorbeugung vor Gewalt und Suizid

Die Therapie der Schizophrenie zeigt heutzutage zumeist gute Wirkung, wenn man auch noch allzu häufig die Patienten nicht heilen kann.

Die Therapie setzt sich im Idealfall aus einer individuell abgestimmten Kombination von medikamentöser Behandlung, Psychotherapie und anderen therapeutischen Verfahren zusammen. Letztere sind beispielsweise Ergotherapie und Soziotherapie etc..

Als Medikamente kommen Antipsychotika zum Einsatz, die die Botenstoffe in bestimmten Gehirnregionen dahingehend beeinflussen, dass ihre Wirkung vor allem die psychotischen Positiv-Symptome hemmt. Solche Symptome sind beispielsweise Halluzinationen, Wahnvorstellungen sowie Zerfahrenheit der Gedanken.

 

Je schneller die Therapie der Schizophrenie erfolgt, desto besser sind die Ergebnisse, Rückfälle sind zu vermeiden.

Der Therapieerfolg ist maßgeblich von der Dauer der unbehandelten Psychose abhängig. Je schneller nach Auftreten der ersten psychotischen Phase mit einer geeigneten Therapie begonnen wird, desto besser wirkt sich dies auf den weiteren Verlauf aus.

Jedenfalls müssen Rückfälle in psychotische Phasen unbedingt zu verhindern. Denn das Gehirn lernt nicht nur Schi zu fahren, sondern es ‚lernt‘ auch Psychosen.

Daher Je mehr Rückfälle der Patient erleidet, desto schneller entwickelt er eine weitere psychotische Episode und desto schwerer komme er wieder daraus heraus.



Rückfälle verschlechtern auch das Ansprechen auf die medikamentöse Therapie enorm. Es steigt auch das Risiko für eine sekundären Therapieresistenz als auch für eine Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten. Dadurch verschlechtern sich auch Funktionalität und Lebensqualität. Und all dies bedeutet mehr Leiden für die Patienten und deren Familien. Die stärkste ‚Nebenwirkung‘ aber ist der Tod. Denn mit der Anzahl der Rezidive steigt auch die Wahrscheinlichkeit von Suizidversuchen. Das ist durch mehrere Studien belegt.

 

Die Rückfallprophylaxe, um Suizid vorzubeugen, ist für Schizophrenie-Patienten von essentieller Bedeutung!

Der beste Weg, um Rückfälle zu vermeiden, ist eine kontinuierliche Langzeittherapie; dies belegen diverse Daten. Ähnlich verhält es sich mit der Mortalität (Sterblichkeit). Eine finnische Datenbankstudie aus über 20 Jahren zeigt, dass sich eine kontinuierliche Langzeittherapie positiv auf die Mortalität auswirkt. Doch leider ist die Therapietreue bei Schizophrenie-Patienten oft unzureichend. Ähnliche Ergebnisse brachte eine schwedische Datenbankstudie an rund 30.000 Patienten.

 

Depot-Formulierungen – Mittel der Wahl

Dies sei jedoch mithilfe von Depot-Formulierungen gut in Griff zu bekommen. Studien belegen, dass die geringste Gesamtmortalität jene Patienten hatten, die Antipsychotika der zweiten Generation als Depot-Formulierung erhielten. Es zeigte sich im Vergleich zur oralen Gabe derselben Wirkstoffe eine um 33% geringere Mortalität.

Jedenfalls sind für viele Experten Depot-Präparate, die beispielsweise monatlich injiziert werden, heute das Mittel der Wahl. Denn diese Medikamente bieten zahlreiche Vorteile, die eine langfristige Therapieadhärenz und somit die bestmöglichen Outcomes in der Langzeit-Therapie der Schizophrenie ermöglichen.

Schließlich bestehen viele Daten, dass Depot-Präparate in der Schizophrenie-Therapie die Symptomatik der Erkrankung und das Rückfallrisiko sowie Gewaltausbrüche, Suizid und auch die Mortalität verringern. Weiter verbessern sie das Funktionsniveau und erhöhen die Unabhängigkeit der Patienten bei der Bewältigung des Alltags. Damit können die Patienten auch ihre Lebensqualität steigern.

Wenn Patienten langfristig gut eingestellt sind, wirkt sich das natürlich auch positiv auf das Thema Gewalt aus. Sei es Gewalt gegen sich selbst in Form eines ungesunden Lebensstils oder gar eines Suizids oder, aufgrund von Wahnvorstellungen, eventuell Gewalt, die sich gegen andere richtet, auch wenn die meiste Gewalt in der Gesellschaft ja nicht von psychotischen Patienten ausgeht.




Literatur:

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