Montag, März 18, 2024

Therapieresistenz bei Epilepsien durch Multiresistenz­proteine

Forscher konnten zeigen, dass Multiresistenz­proteine zum Teil für die medikamentöse Therapieresistenz bei Epilepsie verantwortlich sind.

Bei den für die medikamentöse Therapieresistenz bei Epilepsie teilweise verantwortlichen Multiresistenzproteinen handelt es sich um große zelluläre Pumpen an der Bluthirnschranke, die die meisten ZNS-gängigen Medikamente aus dem Hirn-Parenchym entfernen, bevor diese im Gewebe eine therapeutische Konzentration erreichen können.

Genetische Variabilitäten in diesen Multiresistenzproteinen könnten für das individuell unterschiedliche Ansprechen auf Medikamente verantwortlich sein. Ähnliche Mechanismen könnten auch als Erklärung für das Therapieversagen bei anderen ZNS-Erkrankungen dienen.

 

Therapieresistenz – eines der Hauptprobleme in der Behandlung von Epilepsien

Eines der Hauptprobleme in der Behandlung von Epilepsien ist das Phänomen der Therapieresistenz. Während zwei Drittel der Patienten gut auf antikonvulsive Medikamente ansprechen und damit ein unbeeinträchtigtes Leben führen können, entwickelt sich bei einem Drittel der Patienten ein therapieresistenter Krankheitsverlauf.

Dieser Umstand ist mit einem enormen Leidensdruck bei den Patienten verbunden und zieht oft katastrophale Folgen in der Lebensführung der Betroffenen nach sich. In den allermeisten Fällen erstreckt sich diese Therapieresistenz auf alle gängigen antikonvulsiven Medikamente, obwohl deren Wirkungsmechanismen höchst unterschiedlich sind. Aus dieser Beobachtung wurde schon früh geschlossen, dass diesem Phänomen ein unspezifischer Mechanismus zugrunde liegen müsste.

Ausgehend von Erkenntnissen aus der Krebsforschung, wo für eine ähnliche unspezifische Therapieresistenz die Familie der Multiresistenzproteine verantwortlich gemacht werden konnte, ergab sich der Verdacht, dass diese Proteinfamilie auch an der Therapieresistenz bei den Epilepsien beteiligt sein könnte. Nachdem das Interesse an diesem Thema Anfang der neunziger Jahre erweckt war, sammelten sich zahlreiche wissenschaftlichen Publikationen, die mittlerweile ein kohärentes und glaubwürdiges Gesamtbild ergeben.

 

ABC-Transporterproteine

Das Parenchym des Gehirns ist durch die Bluthirnschranke vor potentiell toxischen Substanzen aus dem Blutkreislauf geschützt. Lediglich lipophile Moleküle können diese Barriere überwinden. Aus diesem Grund sind – von Ausnahmen abgesehen – fast alle antikonvulsiven Medikamente sowie andere ZNS Therapeutika lipophil. Trotzdem erreichen diese Medikamente in der Regel nicht die Konzentrationen im Gehirnparenchym, die man aus rein pharmakokinetischen Berechnungen erwarten würde.

Der Grund dafür ist die Präsenz der so genannten ABC-Transporterproteine. Hierbei handelt es sich um eine sehr große »Drug-transporter« Proteinsuperfamilie, deren Mitglieder auch als Multiresistenzproteine bezeichnet werden. Diese Transmembranproteine sitzen vor allem an der luminalen Seite der Endothelzellen, zum Teil aber auch mit geeigneter Orientierung an Astrozyten und Nervenzellen, um ihre Substrate aus dem Gehirnparenchym zu entfernen oder deren Penetration ins Parenchym von vornherein zu verhindern.

Die physiologische Bedeutung dieser Transporterbarriere dürfte es sein, das Gehirn vor natürlich vorkommenden toxischen Xenobiotika (z.B. Planzenalkaloide) zu schützen. Knock-out Mäuse, denen P-glycoprotein – der am besten untersuchte Vertreter aus der ABC-Familie – fehlt, sind extrem anfällig für ZNS Intoxikationen. Zu den Substraten für P-glycoprotein zählen die meisten antikonvulsiven Medikamente und darüber hinaus auch eine äußerst breites Spektrum anderer ZNS Therapeutika.

 

Überexpression des P-glycoproteins

Im Anfallsfokus, also jener Stelle im Gehirn von der epileptische Anfälle ausgehen, kommt es zu einer Aufregulierung oder Überexpression des P-glycoproteins im Vergleich zum angrenzenden Normalgewebe. Das hat zur Folge, dass gerade im Anfallsfokus keine adäquaten Wirkspiegel erzielt werden.

Für das klassische Antiepileptikum Phenytoin konnte dies in sehr eleganten Microdialysemessungen im Tierexperiment gezeigt werden. Gleichzeitig kann die Dosis des Medikamentes nicht einfach erhöht werden, weil es sonst im angrenzenden Gewebe, das keine Aufregulation von P-glycoprotein zeigt, zu einer Intoxikation käme. Anders ausgedrückt besteht also die paradoxe Situation, dass durch unzureichende Wirkspiegel im Anfallsfokus die epileptische Aktivität des Herdes nicht unterdrückt werden kann und im übrigen Gehirngewebe bereits maximal tolerierbare Medikamentenspiegel vorliegen.

Die Überexpression in der epileptogenen Zone ist wahrscheinlich eine direkte Folge der fokalen Anfallsaktivität. Dies würde bedeuten, dass eine hohe Anfallsaktivität zu einer stärkeren Expression von P-glycoprotein und damit eher zu ­einer Therapieresistenz führen könnte. Diese Hypothese passt sehr gut zur klinischen Beo­bachtung, dass Patienten mit einer hohen Anfallsfrequenz am Beginn der ­Epilepsieerkrankung mit größerer Wahrscheinlichkeit zu einem therapieresistenten Verlauf neigen.

 

Warum nicht alle Patienten therapieresistent werden

Wieso werden aber nicht alle Patienten therapieresistent? Eine Erklärung für diese interindividuellen Unterschiede im Ansprechen auf die medikamentösen Therapien könnte in geringen, aber funktionell relevanten genetischen Unterschieden – so genannte Allelpolymorphismen – in den ABC-Transportern liegen. Am besten untersucht ist ein Allelpolymorphismus im Exon 26 des P-glycoprotein kodierenden Gens (ABCB1 oder MDR1 Gen).

Dieser Polymorphismus geht mit einer unterschiedlichen Expression und damit einem variablen Aktivitätsniveau im P-glycoprotein einher. Patienten, die homozygot für das C-Allel sind und damit eine (vermutlich) höhere »Pumpaktivität« im P-glycoprotein aufweisen, scheinen schlechter auf antikonvulsive Medikamente anzusprechen als Patienten mit dem T-Allel, das mit einer geringeren P-glycoprotein Aktivität einhergeht. Diese Assoziation konnte bereits in drei Studien bestätigt werden (eine davon aus unserer Arbeitsgruppe).

Der Zusammenhang zwischen diesem Exon 26 Polymorphis­mus und Therapieresistenz kann somit als sehr wahrscheinlich erachten werden, allerdings gibt es dazu auch negative Assoziationsstudien, sodass der Zusammenhang als noch nicht endgültig gesichert gelten kann. Die nächsten Jahre werden uns sicher eine Klärung dieser Frage bringen.

 

Forderungen an zukünftige Therapiestrategien

Aus der Hypothese, dass die Therapieresistenz bei Epilepsien durch ABC-Transporter mit­ver­ursacht sein könnte, lassen sich zwei Forderungen an zukünf­tige Therapiestrategien erheben. Einer­seits wäre es von Vorteil, wenn antikonvulsive Medikamente keine Substrate für ABC-Transporter wären, um damit auch im Anfallsfokus relevante Wirkspiegel erreichen zu können.

Eine zweite Möglichkeit, eine Pgp-vermittelte Therapieresistenz zu überwinden, wäre es, diese zellulären Pumpen durch spezifische Blocker zu hemmen. Mehrere P-glycoprotein-Inhibitoren befinden sich derzeit in klinischer Entwicklung, vor allem im Bereich der Onkologie, und erscheinen vielversprechend. Für die Epilepsie gibt es Fallberichte, dass mit dem ­Kalziumkanalantagonisten Verapamil, der auch ein klassischer P-glycoprotein-Blocker ist, eine massive Anfallsreduktion bei einzelnen therapieresistenten Patienten erreicht werden konnte.

Eine klinische multizentrische Studie zur Wirksamkeit von Verapamil bei therapieresistenter Epilepsie ist derzeit im Planungsstadium. Ähnliche Mechanismen der Therapieresistenz könnten auch bei anderen Erkrankungen des ZNS vorliegen. Insbesondere bei ZNS-Tumoren scheinen ABC-Transporter relevant zur Therapieresistenz beizutragen.

Auch bei der HIV-Infektion des Gehirns scheint die Therapie durch einen P-glycoprotein vermittelten Abtransport von Proteaseinhibitoren beeinträchtigt zu sein. Forschende diskutieren eine Rolle von ABC-Transportern auch bei der Therapieresistenz von Depressionen und der Schizophrenie.

 

Cannabidiol (CBD) bei Kindern mit Epilepsie gegen die Therapieresistenz

Eine aktuelle Studie untersuchte die Langzeitwirksamkeit und Sicherheit von hochreinem Cannabidiol bei Epilepsie erkrankte Kinder mit Therapieresistenz. Die Kinder hatten mit anderen Behandlungsoptionen keine Anfallsfreiheit erreicht und waren nicht berechtigt, an randomisierten kontrollierten Studien teilzunehmen, an denen nur Patienten mit Lennox-Gastaut- und Dravet-Syndrom teilnahmen. Die Ergebnisse zeigen, dass Cannabidiol eine wirksame als Zusatzbehandlung bei Epilepsie erkrankte Kinder mit Therapieresistenz ist. Die Behandlung wurde in Dosen von bis zu 50 mg / kg / Tag gut vertragen. Patienten, die bei einer Dosis von ≤ 25,0 mg / kg / Tag nicht die gewünschten Ergebnisse erzielten, berichteten über mehr Nebenwirkungen, wenn die CBD-Dosis auf > 25,0 mg / kg / Tag anstieg. Während der Behandlung wurde über eine Abnahme der Häufigkeit schwerer Anfälle und eine Zunahme der Tage ohne Anfälle im Vergleich zum Ausgangswert berichtet. Dies unterstützt die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Cannabidiol bei gemischten Anfallsursachen.

 

Weitere Mechanismen, die zu Therapieresistenz bei der Behandlung von Epilepsie führen

Es ist als sehr wahrscheinlich ­anzunehmen, dass auch andere Mechanismen zur Therapieresistenz bei ZNS-Erkrankungen beitragen. So könnten etwa genetische Variationen an den Ziel­orten der Medikamentenwirkung relevant sein. Für die Epilepsie wurde erst vor kurzem berichtet, dass ein Polymorphismus in einem Gen für spannunsabhängige ­Natriumkanäle das Ansprechen auf die medikamentöse Therapie beeinflusst.

 

Fazit

Zusammenfassend steht die Forschung zu den Gründen für die Therapieresistenz bei Epilepsie nach wie vor am Beginn. Die spannende Entwicklung sollte schließlich die medikamentöse Behandlung von Epilepsie und anderer ZNS-Erkrankungen dramatisch verbessern.


Literatur:

Park YD, Linder DF, Pope J, Flamini JR, Moretz K, Diamond MP, Long SA. Long-term efficacy and safety of cannabidiol (CBD) in children with treatment-resistant epilepsy: Results from a state-based expanded access program. Epilepsy Behav. 2020 Nov;112:107474. doi: 10.1016/j.yebeh.2020.107474. Epub 2020 Sep 28. PMID: 33181893.

Kanner AM, Ashman E, Gloss D, Harden C, Bourgeois B, Bautista JF, Abou-Khalil B, Burakgazi-Dalkilic E, Park EL, Stern J, Hirtz D, Nespeca M, Gidal B, Faught E, French J. Practice guideline update summary: Efficacy and tolerability of the new antiepileptic drugs II: Treatment-resistant epilepsy. Report of the American Epilepsy Society and the Guideline Development, Dissemination, and Implementation Subcommittee of the American Academy of Neurology. Epilepsy Curr. 2018 Jul-Aug;18(4):269-278. doi: 10.5698/1535-7597.18.4.269. PMID: 30254528; PMCID: PMC6145395.

Das A, Balan S, Banerjee M, Radhakrishnan K. Drug resistance in epilepsy and the ABCB1 gene: The clinical perspective. Indian J Hum Genet. 2011 May;17 Suppl 1(Suppl 1):S12-21. doi: 10.4103/0971-6866.80353. PMID: 21747582; PMCID: PMC3125047.

Zimprich F, Sunder-Plassmann R, Stogmann E, Gleiss A, Dal-Bianco A, Zimprich A, Plumer S, Baumgartner C, Mannhalter C. Association of an ABCB1 gene haplotype with pharmacoresistance in temporal lobe epilepsy. Neurology. 2004 Sep 28;63(6):1087-9. doi: 10.1212/01.wnl.0000141021.42763.f6. PMID: 15452305.


Quelle:

Therapieresistenz bei Epilepsien. Univ.-Prof. Dr. Fritz Zimprich. MEDMIX 3/2006

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