Freitag, April 26, 2024

Test: Wie barrierefrei eine digitale App zur Gesundheit sein sollte

Leider muss man davon ausgehen, dass eine App oft Mängel hat, wobei auch viele andere digitale Gesundheitsanwendungen nicht barrierefrei sind.

Die Nutzung von digitalen Apps rund um das Thema „Gesundheit“ ist auch für Menschen mit Handicap sehr interessant. Voraussetzung ist aber, dass man eine App barrierefrei, sicher und vollständig nutzen kann. Exemplarische Tests durch das Zentrum für Barrierefreiheit der Deutschen Blindenstudienanstalt
(blista) im Auftrag des DBSV zeigen aber, dass beides leider bei digitalen Gesundheitsanwendungen keineswegs selbstverständlich ist.

 

Vorab ein Crash-Kurs: Was bedeutet eigentlich Barrierefrei bei Apps?

App-Kriterien, die für eine barrierefreie Nutzung erfüllt sein müssen, sind vielfältig. Dies gilt für sämtliche Apps für Smartphones und PCs und auch für Webseiten und die dort angebotenen therapeutischen Programme. Sind zentrale Eigenschaften nicht erfüllt, werden Barrieren schnell zu K.-o.-Kriterien für den Einsatz bei Menschen mit einer Behinderung und schließen diese von einem möglichen Therapie-Erfolg aus. Es folgen die wichtigsten Kriterien.

Personen mit einer hochgradigen Sehbehinderung benötigen Vergrößerungsmöglichkeiten, blinde Menschen verwenden einen sogenannten Screenreader, der den Bildschirm vorliest. Menschen mit einer körperlichen Einschränkung brauchen eventuell eine Maus, die mit dem Mund bedienbar ist, oder spezielle Tastaturen, die ihnen das Schreiben erleichtern.

Apps für den PC und für Smartphones müssen so programmiert sein, dass alle zur Bedienung notwendigen Elemente von Hilfstechnologien vorgelesen und genutzt werden können. Somit müssen alle graphischen Bedienelemente, wie zum Beispiel Schalter oder auch Punkte in Ausklapp-Menüs, eine Beschriftung erhalten. Auch Formularfelder müssen korrekt beschriftet sein. Wenn nicht eindeutig ist, in welches Feld die persönlichen Daten eingetragen werden müssen, oder nicht kontrolliert werden kann, ob sensible Daten korrekt eingetragen sind, darf eine solche Anwendung schon aus datenschutzrechtlichen Gründen eigentlich nicht verwendet werden und sie ist mit Handicap nicht nutzbar. Oft fehlen bei Abbildungen innerhalb der App kurze, möglichst neutrale aussagekräftige Bildbeschreibungen, sogenannte Alternativtexte.

 

Werden Videos verwendet, müssen sie eine Audiodeskription, also zusätzliche Bildbeschreibungen, beziehungsweise Untertitel haben, damit sie sowohl von blinden und hochgradig sehbehinderten Menschen als auch von Menschen mit einer Hörbehinderung ohne Einschränkung genutzt werden können.

Für hochgradig sehbehinderte Personen sind ein ausreichender Kontrast und eine Vergrößerungsmöglichkeit notwendig. Zudem sollte die App es zulassen, dass individuell festgelegte Systemeinstellungen in Bezug auf Schriftfarbe oder auch Schriftgröße nicht blockiert werden, sondern einbindbar sind.

Zeitliche Begrenzungen muss man entweder automatisch abschalten oder verlängern können. Sowohl für körperlich als auch für sinnesbeeinträchtigte Menschen ist eine schnelle Eingabe beispielsweise von Passwörtern und/oder sonstigen Nutzerdaten oft nicht möglich. Es ist auch darauf zu achten, dass Inhalte ohne den Bezug zu Farben zugänglich sind. Wird beispielsweise innerhalb einer App mit Fragebögen gearbeitet, die man ausfüllen muss, sind Pflichtfelder nicht nur über Farbe, sondern immer auch mit einem Stern zu versehen. Wären sie nur durch Farbmarkierungen erkennbar, könnte ein blinder Mensch nicht wissen, welche Felder verpflichtend auszufüllen sind.

Bei Apps für den PC muss eine Tastaturbedienbarkeit gegeben sein. Sie müssen also mit sämtlichen Funktionen ohne Maus nutzbar sein. Dokumentationen zu Apps müssen in einer barrierefreien Form zur Verfügung gestellt werden. Um sicherzustellen, dass digitale Gesundheitsanwendungen barrierefrei sind, muss jede App für Android, IOS oder den PC einzeln und systematisch getestet werden, da alle unterschiedlich programmiert sind. Nutzertests alleine reichen in der Regel nicht aus, da sie meist nicht die Gesamtheit der Bedarfe von Menschen mit Behinderung berücksichtigen.

 

Gravierende Mängel

Im Auftrag des DBSV haben Forscher exemplarisch zwei digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) auf Barrierefreiheit getestet: die „Elevida Web-App“, die Menschen mit einer speziellen Form der Multiple Sklerose unterstützen soll, und die „Kalmeda-Apps“, die Menschen mit Tinnitus helfen sollen und für IOS wie auch Android verfügbar sind. Dabei weisen Barrierefreie App s gravierende Mängel feststellen.

So verfügen bei „Elevida“ Bedienelemente (z. B. Schalter) häufig nicht über aussagekräftige Alternativtexte, Status- und Fehlermeldungen sind nicht zugänglich, so dass die Nutzung mit Screenreadern auf relevante Weise erschwert ist. Die statistischen Grafiken zu den Befragungen von Patienten über deren Symptome sind für Screenreader-Nutzende gänzlich unzugänglich. Eine Grundfunktionalität der Anwendung ist damit ausschließlich für sehende Menschen nutzbar.
Positiv ist festzuhalten, dass die Grundstruktur der App durchaus gut ist und bei entsprechenden Nachbesserungen zu Barrierefrei erreicht werden kann.

 

Auch bei „Kalmeda-App“ für Android und IOS ist barrierefrei nicht gegeben.

Einige Mängel sorgen dafür, dass die Android-App mit der Sprachausgabe „TalkBack“ eigentlich nicht sinnvoll genutzt werden kann: Es fehlen Audiodeskriptionen, also Bildbeschreibungen, bei den in der App vorhandenen Videos. Somit kann z. B. das Video, das in die Nutzung der App einführt, von blinden und sehbehinderten Menschen nicht genutzt werden. Viele Schaltflächen haben keinen Alternativtext. Es wurde viel mit Fenstern gearbeitet, die sich über die Anwendung legen, ohne dass hierbei die Lesereihenfolge bedacht wurde. Einige Bereiche sind bei Nutzung einer Tastatur gar nicht bedienbar. Weitere Mängel gibt es beispielsweise beim Kontrast.

Auch unter IOS schneidet die App schlecht ab. Auch hier gibt es bei den Videos keine Audiodeskriptionen oder Untertitel für Menschen mit einer Hörbehinderung. Alternativtexte der Grafiken und Bedienelemente bestehen in den meisten Fällen nur aus dem Dateinamen und sind damit nicht aussagekräftig. Der Kontrast auf dem hellblauen Hintergrund ist nicht ausreichend. Abschließend noch mal der Hinweis, dass wir exemplarisch zwei Apps herausgepickt haben. Leider ist davon auszugehen, dass sie mit ihren Mängeln nicht allein stehen, sondern dass es um die Barrierefreiheit anderer digitaler Gesundheitsanwendungen ähnlich bestellt ist.


Quelle:

Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV): www.dbsv.org

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