Mittwoch, April 17, 2024

Regelmässige Impfung gegen Grippe könnte sich zur Prävention von Demenz eignen

Eine aktuelle Studie stellt eine neue Hypothese auf, nämlich dass sich die regelmäßige Impfung gegen Grippe zur Prävention von Demenz eignet.

Eine an 120.000 US-Veteranen durchgeführte retrospektive Studie konnte zeigen, dass die regelmäßige Impfung gegen Grippe (mehr als 6 Influenza-Impfungen binnen 80 Monaten) das Risiko für eine Demenz signifikant um 12 Prozent reduzierte und sich zur Prävention eignen könnte. Auch gibt es dazu einen plausiblen pathophysiologischen Erklärungsversuch, den frühere Forschungen bereits tierexperimentell nachweisen konnte. Dennoch sind die Experten in ihrer Interpretation der Daten vorsichtig und verweisen darauf, dass Assoziationsstudien keinen Beweischarakter haben.

 

Zusammenhang geringeres Risiko für Demenz und Impfung gegen Grippe

Die eingangs zitierte rezente Studie zur Prävention von Demenz unterstützt eine spannende Hypothese. Demnach könnte die regelmäßige Impfung gegen Grippe zu einem geringeren Risiko für Demenz führen. Dazu untersuchten die Forscher eine große Population bestehend aus über 120.000 US-Veteranen (ehemalige Militärangehörige) im Alter von durchschnittlich 75,5 Jahren (±7,3). Wobei nur 3,8% weiblich waren und 91,6% hatten eine weiße Hautfarbe. Man analysierte die Krankenakten der Studienteilnehmenden zwischen dem 1. September 2009 und dem 31. August 2019.

Dazu galt das Einschlusskriterium, dass bei den Patientinnen und Patienten, die in die Auswertung eingingen, zwei Jahre vor Studienbeginn sowie zum Zeitpunkt des Einschlusses in die Studie keine Diagnose Demenz vorlag. Die Studienteilnehmenden wurden dann in Gruppen klassifiziert. Je nachdem, ob und wie viele Grippeimpfungen sie im Studienzeitraum erhalten hatten.

Im Anschluss analysierten die Wissenschaftler, bei wie vielen Personen eine Demenz neu auftrat. Und zwar definiert nach Vorhandensein entsprechender ICD-9/ICD-10-Codes in den Krankenakten im Verlauf.

Der Effekt von Kovariablen wie Alter, ethnische Zugehörigkeit, Geschlecht, Familienstatus sowie Versicherungsstatus – alles Faktoren, die auf das Demenzrisiko Einfluss nehmen – haben die Forscher herausgerechnet. Zudem analysierte man auch die Häufigkeit der Arztbesuche mit, um einen möglichen „Früherkennungsbias“ zu verringern.

 

Mehr als sechs Grippe-Impfungen hatten in der Studie als Prävention positive Effekte auf das Demenz-Risiko

Insgesamt betrug die mediane Beobachtungsdauer 80 Monate bei den geimpften Personen und 81 Monate bei den Ungeimpften. 15.933 Studienteilnehmende erkrankten während dieser Phase neu an einer Demenz. Die Analyse ergab, dass die Inanspruchnahme von Grippe-Impfungen mit einem geringeren Risiko für Demenz einherging. Allerdings kam der Effekt nur dann zum Tragen, wenn die Probanden insgesamt mehr als sechs Grippeimpfungen innerhalb des Beobachtungszeitraums erhielten. Damit konnte in dieser Studie die Grippe-Impfung das Demenz-Risiko durch signifikant um 12 Prozent gesenkt (HR: 0,88).

„Dieser Effekt ist nicht unerheblich. Bei jährlich etwa 330.000 Demenz-Neuerkrankungen in Deutschland könnten somit durch regelmäßige Impfungen gegen Grippe fast 40.000 Menschen jährlich vor der Diagnose Demenz bewahrt werden. Allerdings muss man hervorheben, dass es sich hier um eine retrospektive Auswertung handelt. Zwar eine mit einer hohen Zahl an Studienteilnehmenden und sorgfältiger Durchführung, die aber dennoch keinen Beweischarakter hat, sondern nur eine Assoziation aufzeigen kann. Es liegen schon mehrere solcher Assoziationsstudien vor, nicht nur zu Grippeimpfungen, sondern auch zu Impfungen gegen Diphtherie oder Tetanus. Auch experimentelle Studien haben auf einen Zusammenhang zwischen Impfungen gegen Grippe und einem geringeren Risiko für Demenz hingedeutet. Die Hypothese, die die aktuelle Studie generiert, lässt sich also auch pathophysiologisch begründen. Flankiert durch tierexperimentelle Daten“, erklärt DGN-Demenzexperte Professor Dr. Richard Dodel, Essen.

 

Immunzellen des Gehirns im Fokus

Vereinfacht ausgedrückt erklären die Autoren dies so: Die Impfungen führen zu einem Anstieg der Aktivität von Mikroglia, quasi den „Immunzellen des Gehirns“. Sie erkennen krankheitsauslösende Stoffe und Abfallprodukte und bauen sie ab. Tierexperimentell konnte man bereits schon früher zeigen, dass die erhöhte Mikroglia-Aktivität nach Impfung dazu führt, dass der Körper vermehrt Beta-Amyloid abbaut. Bei der Alzheimer-Erkrankung sammelt sich Beta-Amyloid an, lagert sich dort zwischen den Nervenzellen wie ein Belag ab und schädigt die Nervenzellen.

„Die grundlegende Idee vieler Alzheimertherapien ist es, Beta-Amyloid aus dem Körper zu schleusen. Bevor das Protein Schaden im Gehirn anrichten kann. Wenn prospektive Studien nun zeigen, dass wiederholte Grippeimpfungen genau diesen Effekt haben und Beta-Amyloid abbauen, wäre das ein Durchbruch für die Demenztherapie. Die vorliegenden Daten deuten darauf, haben aber noch keine Beweiskraft. Der beobachtete positive Effekt von Impfungen auf das Demenzrisiko könnte letztlich auch daran liegen, dass Menschen, die sich regelmäßig impfen lassen, auch sonst gesünder leben und somit ein geringeres Krankheitsrisiko haben. Daher brauchen wir nun weiterführende, prospektive Studien, um den Zusammenhang eindeutig zu klären“, lautet das Fazit von Prof. Dodel.

„Derzeit wird viel über potenzielle Risiken von Impfungen diskutiert. Allgemein, aber vor allem im Hinblick auf die Impfung gegen SARS-CoV-2. Aber es gibt nicht nur potenzielle Risiken, sondern auch potenzielle Zusatznutzen der Impfung, die bislang in den Diskussionen gar nicht angeführt werden. Für eine informierte Entscheidung sollte nach Möglichkeit aber alles bedacht werden“, betont DGN-Generalsekretär Prof. Dr. Peter Berlit.


Literatur:

Wiemken TL, Salas J, Hoft DF, Jacobs C, Morley JE, Scherrer JF. Dementia risk following influenza vaccination in a large veteran cohort running head. Influenza vaccination and dementia. Vaccine. 2021 Aug 19:S0264-410X(21)01079-3. doi: 10.1016/j.vaccine.2021.08.046. Epub ahead of print. PMID: 34420785.

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