Donnerstag, April 18, 2024

Sprechstörungen beim Schlaganfall

Grazer ForscherInnen arbeiten an automatisierter Sprechanalyse, um Sprechstörungen beim Schlaganfall richtig deuten zu können.

Bei neurologischen Erkrankungen wie dem Schlaganfall ist die Früherkennung sehr wichtig, um Spätfolgen bestmöglich vorbeugen zu können. Sprach- und Sprechstörungen sind ernstzunehmende Warnsignale, die auf einen Schlaganfall hindeuten können. Im Rahmen der interuniversitären Forschungskooperation BioTechMed-Graz beschäftigen sich WissenschafterInnen aller drei Grazer Partneruniversitäten unter der Leitung der Med Uni Graz in einem interdisziplinären Forschungsprojekt mit der automatisierten Sprechanalyse und Mustererkennung von Menschen, die Schlaganfall-Symptome aufweisen. Etwaige Sprechauffälligkeiten sollen so zur aussagekräftigen Diagnose herangezogen werden.

Diagnose Schlaganfall: Rund 24.000 ÖsterreicherInnen jährlich betroffen

Plötzliche Durchblutungsstörungen oder Blutungen im Gehirn können einen Schlaganfall verursachen. Dabei werden die Nervenzellen im Gehirn nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt, was wiederum zum dauerhaften Ausfall von wichtigen Funktionen des Zentralnervensystems führen kann. Jährlich erleiden weltweit rund 15 Millionen Menschen einen Schlaganfall, in Österreich sind es etwa 24.000. Das heißt, dass in Österreich alle 20 Minuten jemand von einem Schlaganfall betroffen ist. Die Symptome sind vielseitig und reichen von Übelkeit, Schwindel und Kopfschmerzen, Lähmungs- und Empfindungsstörungen, bis hin zu Seh- und Sprechstörungen. WissenschafterInnen der Karl-Franzens-Universität Graz, der Technischen Universität Graz und der Medizinischen Universität Graz beschäftigen sich unter der Leitung von Univ.-Ass. Dipl.-Ing. Florian Pokorny, Institut für Physiologie der Med Uni Graz, aktuell gemeinsam mit der Analyse von Sprechstörungen bei SchlaganfallpatientInnen, um diese mittels automatisierter Sprechanalyse und Mustererkennung zu objektivieren.

Sprach- und Sprechstörungen: Symptome rasch und richtig deuten

Sprach- und Sprechstörungen sind sehr häufige Symptome, die vielfach eine diagnostische Herausforderung darstellen. Hier setzt das Forschungsprojekt der Grazer WissenschafterInnen an: „In einer milden Erscheinungsform kann sich eine Sprechstörung bei PatientInnen als Eindruck einer erhöhten Sprechanstrengung bzw. einer seltsamen Empfindung im Mund- und Gesichtsbereich äußern. Solche Beeinträchtigungen sind klinisch oft kaum oder nur schwer objektivierbar“, so Assoz.-Prof. PD Dr. Christian Enzinger, Univ.-Klinik für Neurologie, Med Uni Graz. Die innovative Idee einer akustischen Erkennung von Sprechstörungen soll zukünftig eine verlässlichere Diagnose des Schlaganfalls in diesen Situationen ermöglichen. Im Rahmen der Ideenwerkstatt Future Space 2015 von BioTechMed-Graz präsentierten Florian Pokorny, spezialisiert in den Bereichen Sprachsignalverarbeitung und Maschinelles Lernen in der Forschungseinheit iDN – interdisciplinary Developmental Neuroscience (Leitung: Assoz.-Prof. Mag. DDr. Peter Marschik) und Ass.-Prof.in Mag.a Dr.in Daniela T. Pinter, Neuropsychologin in der Forschungseinheit Neuronale Plastizität und Reparatur (Leitung: Assoz.-Prof. PD Dr. Christian Enzinger), beide Med Uni Graz, ihre gemeinsame, interdisziplinäre Idee zur Erkennung von Sprechstörungen bei Schlaganfall-PatientInnen. Aus der geförderten Idee entstand gemeinsam mit dem Institut für Psychologie der Uni Graz und dem Institut für Signalverarbeitung und Sprachkommunikation der TU Graz ein innovativer disziplinenübergreifender Ansatz zur automatisierten Sprechanalyse und Mustererkennung bei der Untersuchung von Sprechstörungen in der klinischen Routine.

Eingebettet in das interdisziplinäre Forschungsnetzwerk von WissenschafterInnen und KlinikerInnen “Brain, Ears & Eyes – Pattern Recognition Initiative” (BEE-PRI), das sich die Früherkennung neurologischer Erkrankungen zum Ziel gesetzt hat, führten Daniela Pinter und Florian Pokorny eine Pilotstudie durch, in der kurze Sprachaufzeichnungen von PatientInnen mit Schlaganfall und gesunden KontrollsprecherInnen durchgeführt wurden. Im Anschluss wurden diese Aufzeichnungen zur detaillierten Analyse in mehrere tausend akustische Merkmale zerlegt. Dabei lieferten zahlreiche dieser Merkmale Hinweise für die objektive Beschreibung Schlaganfall-bedingter Sprechauffälligkeiten.

Zukunftsszenario: Medizinische Nachkontrolle via Smartphone

Erste Experimente zur automatischen Unterscheidung von PatientInnen und KontrollsprecherInnen ergaben Erkennungsraten von bis zu 86,1%. „Ausgehend von diesem Ergebnis soll die Studie in einem nächsten Schritt um PatientInnen mit subjektiven, also selbstbemerkten, Sprechstörungen erweitert werden. Das Ziel dabei ist es, die Möglichkeit einer objektiven Erkennung unmittelbar in der Notaufnahme oder sogar schon vorab in Echtzeit via Telefon zu testen“, blickt das Forschungsteam zuversichtlich in die Zukunft. Die erfolgreiche Kooperation zwischen Biomedizinischer Technik, Neurophysiologie, Neuropsychologie und Neurologie denkt bereits an Anschlussprojekte. „Weitere Forschungsideen, die auf diesen Pilot-Ergebnissen aufbauen, umfassen eine automatisierte, Smartphone-basierte Nachkontrolle bei Schlaganfall-PatientInnen nach Entlassung“, planen die WissenschafterInnen die nächsten Schritte. Ein solcher Ansatz könnte in adaptierter Form auch zur Verlaufskontrolle bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson, oder Multipler Sklerose eingesetzt werden.

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