Freitag, April 19, 2024

Interaktive Shutterbrille ersetzt bei Amblyopie das Abkleben des besseren Auges

Zukünftig soll bei Behandlung der Amblyopie (Schwachsichtigkeit) eine interaktive Shutterbrille anstelle eines Klebepflasters das bessere Auge abdecken.

Augenärzte behandeln bislang eine Amblyopie – die sogenannte Schwachsichtigkeit – bei Kindern durch Abkleben des gesunden Auges. Ein Klebepflaster soll helfen, das beeinträchtigte Auge zu trainieren. Jedoch ist diese Art der Behandlung lediglich dann effektiv, wenn die betroffenen Kinder das Klebepflaster konsequent zu den verordneten Tragezeiten benutzen. Jedoch ist dies ist oftmals nicht der Fall, denn viele Kinder lehnen das Klebepflaster aus Scham ab. Deswegen soll zukünftig eine Shutterbrille als elektronische Sehhilfe mit sensorischem Feedback das gesunde Auge situationsbedingt automatisch verdunkeln. Dies unterstützt die Kinder bei der korrekten Anwendung.

 

Interaktive Shutterbrille als elektronische Sehhilfe soll zukünftig besseres Auge abdunkeln

Allgemein gehört Amblyopie – Schwachsichtigkeit beziehungsweise eine funktionale Sehschwäche eines Auges – zu den häufigsten Ursachen für Sehbehinderungen bei Kindern. Standardmäßig wird Amblyopie durch Abdecken des besseren Auges mit einem verdunkelnden Pflaster therapiert. Das geschädigte Auge wird auf diese Weise trainiert.

Schließlich nimmt das Gehirn nimmt dessen Signale an. Je früher die Behandlung erfolgt, desto besser stehen die Heilungschancen. Doch diese Okklusions-Therapie schränkt das räumliche Sehen ein, und das Klebepflaster entstellt das Kind.

Deswegen lehnen Kinder ein solches Pflaster häufig ab und tragen es nicht. Infolge der schlechten Compliance verfehlt die Behandlung oftmals ihr Ziel. Denn der Erfolg hängt von der Okklusions-Tragezeit ab.

Forscher haben nun diese schwierigen Voraussetzungen für eine effektive Behandlung kleiner Kinder entscheidend vorangetrieben und die Therapieadhärenz durch eine interaktive, kontextsensitive Shutterbrille mit sensorischem Feedback verbessert.

 

Multimodale Sensorik im Brillengestell

Dank der neuen Shutterbrille-Technologie lässt sich die Abdeckung des Auges situationsbedingt steuern, bei bewegungsintensiven Aktivitäten kann sie ausgesetzt werden, um Unfälle aufgrund eines fehlenden räumlichen Sehvermögens zu vermeiden.

Für die Steuerung der Brille sorgt eine multimodale Sensorik, die sich in den Brillenbügeln befindet. Forscher des Fraunhofer-Instituts für Biomedizinische Technik IBMT entwickelten diese Brillenelektronik sowie die Smartphone-App, mit der die Eltern des erkrankten Kindes die Therapie überwachen können. Das Forscherteam entwickelt auch eine dazugehörige digitale Patientenakte, die sämtliche Informationen speichert. Der behandelnde Augenarzt kann mit dieser Datenschutz konformen Webanwendung den Therapieverlauf kontrollieren, gegebenenfalls auch anpassen und optimieren.

Der Augenarzt erfährt auch die Tragezeiten der Shutterbrille. Schließlich war auch diese fehlende Transparenz bei der bisherigen Methode problematisch. Die Daten werden nun von der Shutterbrille per Bluetooth drahtlos auf die App und anschließend in die Datenbank übertragen. Einer Cloud dient als Archiv für alle Informationen. So soll eine individualisierte Therapie realisiert werden.

 

Shutterbrille mit Echtzeitdatenverarbeitung

Unterschiedliche Sensoren ermöglichen diese Echtzeitdatenverarbeitung. Schließlich überwachen Temperatur- und Hautkontaktsensoren den Tragezustand, die Trageposition, die Tragedauer sowie die Okklusionszeiten der LCD-Brillengläser. »Die Daten werden in einem elektronischen Speicher protokolliert, der im Gestell untergebracht ist. Die Brille ist also auch ein Datenlogger«, erläutert Dr. Frank Ihmig, Wissenschaftler am Fraunhofer IBMT in St. Ingbert. Die Verdunkelung der LCD-Gläser erfolgt elektronisch – der Verdunkelungseffekt entsteht durch das Ein- und Ausschalten der integrierten Flüssigkristalle.

Der Takt der Okklusion lässt sich steuern und individuell anpassen – ein Vorteil gegenüber der bisherigen Therapie mit Klebepflaster. Die Projektpartner hoffen, die kleinen Patienten auf diese Weise zum permanenten Tragen der Brille zu motivieren. Die Hautkontaktsensoren prüfen den korrekten Sitz des Systems und geben den Betroffenen ein kindgerechtes Feedback. Dass soll die Akzeptanz der Therapie erhöhen.

Ein Beschleunigungssensor erkennt Bewegungsmuster. Er unterscheidet verschiedene Aktivitäten wie das Stehen, Liegen, Sitzen, Gehen, Laufen, Springen, Fahrradfahren und Treppe steigen. »Die Shutterbrille ist kontextsensitiv. Die Ansteuerung der LCD-Gläser schaltet sich bei bewegungsintensiven Aktivitäten wie beim Sport ab. Durch die deaktivierte Verdunkelung haben die Kinder wieder ein vollständiges räumliches Sehvermögen. Dies dient auch der Sicherheit des Kindes. Unfälle und Verletzungen werden so umgangen«, erklärt Ihmig. Erste Tests mit schwachsichtigen Kindern sollen im zweiten Quartal 2019 den erwarteten medizinischen Nutzen belegen.

Ein erstes Funktionsmuster der Brillenelektronik liegt vor, die zukünftig miniaturisiert in ein Kinderbrillengestelle reinpasst. Darüber hinaus arbeiten die Forscher an der Optimierung der Batterielaufzeit, um einen energieeffizienten Betrieb der Elektronik zu realisieren. Die Shutterbrille lädt sich induktiv, also drahtlos, auf.

Quelle:

Fraunhofer-Forscherinnen und -Forscher präsentierten ein Funktionsmuster der Brillenelektronik auf der Messe Medica. Die Shutterbrille ist vom 12. bis 15. November auf der Messe Medica in Düsseldorf am Fraunhofer-Gemeinschaftsstand in Halle 10, Stand G05/H04 zu sehen.


https://www.fraunhofer.de

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