Mittwoch, April 24, 2024

Schwerste Depression mit Tiefer Hirnstimulation effektiv therapieren

Die Tiefe Hirnstimulation mittels hauchdünner Elektroden kann eine therapieresistente, schwerste Depression bereits in der ersten Therapiewoche lindern helfen.

Unter dem Strich kann man heute eine behandlungsresistente, schwerste Depression mittels Tiefer Hirnstimulation effektiv therapieren. Dabei können die Patienten nicht nur akut, sondern auch langfristig von der Hirnstimulation profitieren. Und zwar konnten das Forscher des Universitätsklinikums Freiburg gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Bonn in einer rezenten Studie zeigen. Bei ihrem 16 Patientinnen und Patienten stimulierten die Wissenschaftler mittels hauchdünner Elektroden ein Teil des Belohnungssystems im Gehirn.

 

Schwerste Depression bereits mit Beginn der Hirnstimulation wirksam behandeln

Schließlich brachte die Hirnstimulation brachte allen Patienten eine deutliche Besserung der Beschwerden. Im Schnitt halbierte sich die Schwere einer Depression und die Hälfte der Probanden lag sogar unterhalb des Werts, ab dem man von einer behandlungsbedürftigen Depression spricht. Dabei reagierten die meisten Patienten bereits in der ersten Woche auf die Stimulation. Außerdem hielten die positiven Effekte während der einjährigen Studie an.

„Die Studie ist in Patientenzahl und erzielter Wirkung weltweit einmalig. Wir konnten erstmals in einer großen Studie zeigen, dass die Tiefe Hirnstimulation eine ernsthafte Option für Patienten mit schwerster Depression ist“, sagt Studienleiter Prof. Dr. Thomas Schläpfer, Leiter der Abteilung für Interventionelle Biologische Psychiatrie an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg.

 

Erfolg nach Dutzenden gescheiterter Therapien

Im Grunde genommen vermutet man, dass zehn bis 30 Prozent aller Menschen mit wiederkehrender Depression nicht auf zugelassene Therapien ansprechen. Nicht zuletzt deswegen könnte für einige Menschen, die eine schwere Depression erdulden müssen, die Tiefe Hirnstimulation eine effektive Therapieoption darstellen. Die 16 Studienteilnehmer der FORSEE-II-Studie litten zwischen 8 und 22 Jahren an einer schwersten Depression und hatten zuvor im Schnitt 18 medikamentöse Therapien, 20 Elektrokrampftherapien und 70 Stunden Psychotherapie durchlitten – ohne Erfolg.

Prof. Dr. Volker A. Coenen, Erstautor der Studie und Leiter der Abteilung Stereotaktische und Funktionelle Neurochirurgie an der Klinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums Freiburg, implantierte mit seinem Team den Patienten die hauchdünnen Elektroden und stimulierten damit das mediale Vorderhirnbündel. Dieser Hirnbereich ist an der Regulation der Wahrnehmung von Freude und Belohnung beteiligt und damit auch für Motivation und Lebensqualität von Bedeutung.

 

Innerhalb von Tagen schwerste Depression deutlich lindern

Die Wirkung der Therapie bewerteten die Ärzte monatlich mit Hilfe der etablierten Montgomery-Asberg Depression Rating Scale (MADRS). Bereits in der ersten Woche fiel der MADRS-Wert bei zehn Probanden deutlich ab und hielt sich auf niedrigem Niveau. Im Laufe der Studie reagierten alle Probanden auf die Stimulation. Acht der 16 Patienten hatten zu Studienende einen MADRS-Wert von unter 10 Punkten und galten damit als nicht depressiv.

 

Anhaltender Effekt der Behandlung

„Unsere Patienten haben jahrelang mit schwersten Depressionen gekämpft und nichts hat Besserung gebracht. Die Tiefe Hirnstimulation führte bei den meisten innerhalb von Tagen zu einer deutlichen Linderung, die dann auch durchgehend anhielt. Andere Therapieformen wie Medikamente oder Psychotherapie verlieren oft im Laufe der Zeit ihre Wirksamkeit. Das absolut Sensationelle an den Daten ist, dass der Effekt der Therapie anhaltend zu sein scheint, die positiven Effekte halten über Jahre an“, sagt Prof. Schläpfer. „Wir wissen aus einer Pilotstudie, dass die Stimulation dieses Gehirnbereichs sehr vielversprechend ist und sind froh über die auch hier wieder in gleicher Form gezeigten deutlichen Effekte“, sagt Prof. Coenen.

 

Hoffnung auf europäische Zulassung des Verfahrens

Aufbauend auf den Ergebnissen diese publizierte Studie haben die Freiburger Forscher bereits im Oktober 2018 mit ihrer dritten Studie (FORESEE-III) begonnen. Darin sollen 50 schwerstdepressive Patienten behandelt werden. Schließlich haben sie bereits 15 Patienten operiert. „Wenn die Folgestudie genauso erfolgreich ist wie die aktuelle, besteht große Hoffnung auf eine europäische Zulassung des Verfahrens“, sagt Prof. Schläpfer.


Literatur:

Volker A. Coenen, Bettina H. Bewernick, Sarah Kayser, Hannah Kilian, Jan Boström, Susanne Greschus, René Hurlemann, Margaretha Eva Klein, Susanne Spanier, Bastian Sajonz, Horst Urbach & Thomas E. Schlaepfer. Superolateral Medial Forebrain Bundle Deep Brain Stimulation in Major Depression – A Gateway Trial. Neuropsychopharmacology (2019). DOI: 10.1038/s41386-019-0369-9


Quelle: Abteilung für Interventionelle Biologische Psychiatrie, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie,
Universitätsklinikum Freiburg. www.uniklinik-freiburg.de

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