Donnerstag, April 25, 2024

Schizophrenie-Früherkennung: Frühe Diagnose verbessert die Therapie

Die Früherkennung einer Schizophrenie mittels früher Diagnose ermöglicht einen raschen Behandlungsbeginn und eine wirksamere Therapie im weiteren Verlauf.

Je früher Diagnose und Behandlungsbeginn erfolgen, desto größer ist die Chance, das wichtigste Ziel der Therapie bei Menschen mit Schizophrenie zu erreichen. Das ist die Rückkehr der Betroffenen in ein weitgehend normales Alltagsleben sowie eine dauerhafte Recovery zu ermöglichen. Auch in der S3-Leitlinie wird ein möglichst frühzeitiger Therapiebeginn mit Antipsychotika empfohlen. Doch die Früherkennung der Schizophrenie ist nicht ideal, häufig werden beginnende Psychosen nicht als solche erkannt. Dann erhalten die Betroffenen erst verspätet oder nach einer weiteren psychotischen Episode eine adäquate Therapie und die Chancen auf einen positiven Verlauf der Schizophrenie sinken.

 

Schizophrenie – häufiger als bisher angenommen

Die Prävalenz pro 1.000 Einwohner ist mit 4,6 größer als oftmals angenommen. Die Lebensqualität der Betroffenen kann einerseits durch die Krankheit selbst, andererseits durch die sozialen und funktionellen Beeinträchtigungen stark reduziert werden. Da die Erstmanifestation zumeist im jungen Erwachsenenalter auftritt, zwei Drittel der Betroffenen erkranken noch vor dem 30. Lebensjahr , und der Verlauf häufig chronisch wird, stellt diese schwere psychische Erkrankung eine enorme Belastung für Betroffene und Angehörige dar.

 

Je früher die Diagnose, desto besser: Schizophrenie-Früherkennung als wichtiger Parameter für eine wirksame Therapie

Der Therapieerfolg ist maßgeblich von der Dauer der unbehandelten Psychose abhängig (DUP – Duration of Untreated Psychosis) . Je früher nach der Erstmanifestation der Psychose mit einer geeigneten Therapie begonnen wird, desto besser ist die RecoveryRate. Eine frühe Diagnose und rasche, suffiziente Behandlung sind aber nicht nur mit einem besseren klinischen Verlauf assoziiert – auch von pathophysiologischer Seite gibt es Hinweise dafür, dass eine frühzeitige Intervention zum Teil irreversible zerebrale Schäden verringern oder gar verhindern kann. Dabei ist das Zeitfenster, in dem weitere psychotische Rezidive und in der Folge irreversible Schäden reduziert werden können, eng: Es beträgt nur drei bis fünf Jahre nach Auftreten der ersten psychotischen Episode.

 

Erste Anzeichen ernst nehmen – Rezidive verschlechtern Outcome

Bereits Jahre vor der Erstmanifestation können erste Krankheitszeichen auftreten. Oft sind es Störungen der Kognition, des Affektes oder auch des sozialen Verhaltens, die als Frühsymptome einer beginnenden Psychose auftreten. Mit jeder weiteren Episode verschlechtert sich die Prognose progredient, eine fortschreitende Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten wirkt sich auf Funktionalität und Lebensqualität aus; persistierende Symptome sowie eine Abnahme des therapeutischen Ansprechens können als langfristige Folgen auftreten. Während Ersterkrankte meist zu den „Super-Respondern“ zählen, verschlechtern Rückfälle das Ansprechen auf Medikamente und steigern das Risiko für eine sekundäre Therapieresistenz.

 

Rückfälle führen zu immer mehr Rückfällen

Das Rezidiv stellt also einen wichtigen Prädiktor für ein schlechtes Outcome dar. Je mehr psychotische Phasen der Patient* erleidet, desto schneller entwickelt er eine weitere psychotische Episode. Rezidive stellen nicht nur eine enorme psychische Belastung für Patienten und Angehörige dar, sie sind auch mit einer längeren Zeitspanne bis zur erneuten Remission verbunden. Oder anders gesagt: Rückfälle produzieren mehr Symptome und Symptome produzieren wiederum mehr Rückfälle.

 

Nach früher Diagnose: Leitlinie empfiehlt frühe Therapie der Patienten mit Schizophrenie

Die S3-Leitlinie1 spricht sich bei Früherkennung und früher Diagnose ausdrücklich für eine möglichst frühzeitige antipsychotische Behandlung der Patienten mit Schizophrenie aus. Denn obwohl schon lange bekannt ist, welch enorme prognostische Relevanz die DUP hat, vergeht in Deutschland z.B. selbst im städtischen Bereich durchschnittlich ein Jahr bis zum Beginn einer geeigneten antipsychotischen Behandlung. Maßnahmen zur Früherkennung einer Schizophrenie sollen darauf abzielen, Patienten mit einer beginnenden Psychose oder mit einem bisher unerkannten hohen Risiko so früh wie nur möglich zu finden und sie umgehend einer adäquaten Behandlung zuzuführen. Somit sollen die DUP verkürzt und das langfristige klinische und funktionelle Outcome nachhaltig verbessert werden.

 

Behandlungsziele heute weiter gesteckt

Seltenere Rückfälle sowie weniger und kürzere Krankenhausaufenthalte sollen dazu beitragen, dass der Patient weniger aus seinem Alltag herausgerissen wird und Lebensqualität sowie persönliches Funktionsniveau erhalten bleiben. Aber die Behandlungsziele gehen heute über eine symptomatische Remission, Rezidivprophylaxe und Vermeidung von Hospitalisierung noch hinaus. Denn Ziel ist heute eine vollständige Recovery, eine vollständige Wiederherstellung des sozialen Funktionsniveaus, wie es vor der Erkrankung war. Der Patient soll in die Lage versetzt werden, ein eigenständige(re)s Leben zu führen.

Um dies zu verwirklichen, ist neben der Früherkennung auch eine kontinuierlichen Behandlung der Patienten mit Schizophrenie mittels maßgeschneiderter multimodaler Therapie erforderlich. Dazu gehören neben der medikamentösen Therapie eine Reihe von Maßnahmen wie eine spezialisierte kognitive Verhaltenstherapie, Familienintervention und gegebenenfalls auch psychosoziale Interventionen, um eine berufliche (Re)Integration zu unterstützen.

 

Kontinuierliche Langzeittherapie von entscheidender Bedeutung

Die Prognose von Patienten, die an Schizophrenie erkrankt sind, wird, neben einem möglichst frühzeitigen Behandlungsbeginn, ganz wesentlich durch die Kontinuität der Langzeittherapie bestimmt. Antipsychotika in Depotform sind hier das Mittel der Wahl. Die Sicherung gleichmäßiger Wirkspiegel, eine verbesserte Adhärenz und die anhaltende Wirkung sind nur einige der Vorteile dieser Applikationsform. Experten plädieren dafür, Depot-Antipsychotika nicht nur unter dem Aspekt der Adhärenz bei einer bereits chronisch gewordenen Schizophrenie bevorzugt gegenüber oralen Antipsychotika einzusetzen, sondern sie auch schon Ersterkrankten anzubieten.

Denn verschiedene Studien zeigen, dass schon in der frühen Erkrankungsphase eine Therapie mit Depot-Antipsychotika im Vergleich zur oralen Antipsychotika-Gabe erheblich zu einem langfristigeren Therapieerfolg beitragen kann. Die Therapieentscheidung sollte gemeinsam mit dem Patienten in Form eines Shared Decision Making getroffen werden.

Allgemein hat die Behandlung der Schizophrenie mit antipsychotischen Depot-Präparaten die Aussicht auf nachhaltige Therapieerfolge entscheidend verbessert. Zudem sind Depot-Präparate die beste Rezidiv-Prophylaxe. Die Datenlage ist eindeutig, die Empfehlungen der Fachgesellschaften folgen dieser Evidenz. Dennoch hinkt der tatsächliche Einsatz von Depot-Antipsychotika im klinischen Alltag hinterher.

Schließlich ist noch die hohe Akzeptanz der Depot-Therapie seitens der Patienten zu erwähnen. Acht von 10 Patienten (82,6%) gaben nach einer sechsmonatigen Studie an, die Behandlung mit Depot-Antipsychotika fortführen zu wollen.


Literatur:

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Quelle:

World Federation for Mental Health

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