Montag, März 18, 2024

Strategien in der Behandlung von chronischen Rückenschmerzen

Therapeuten und Patienten suchen nach einfachen Lösungen in der Behandlung von chronischen Rückenschmerzen, doch es ist ein Kreuz mit den Kreuzschmerzen.

Unter dem Strich sind Rückenschmerzen, auch Kreuzschmerzen, selten banal. Häufig muss der Therapeut für die Behandlung der chronischen Rückenschmerzen einen Stufenplan erstellen. Das soll adäquate Strategien ermöglichen. Und zwar um für die Beschwerden eine diagnostisch-therapeutische, mittel- beziehungsweise auch langfristige Problemlösung anzustreben.

 

Die Behandlung von chronischen Rückenschmerzen ist voller Tücken

Rückenschmerzen können verschiedene Gesichter haben und sind nicht immer eindeutig zu definieren. Oftmals ist der Arzt bereits vor Beginn der Rückenschmerzen-Behandlung mit einer beträchtlichen Anzahl von Schmerzen konfrontiert, die sich auch durch moderne diagnostische Verfahren nicht eindeutig abklären lassen.

Bei Patienten mit akuten Rückenschmerzen können die Schmerzen innerhalb von sechs Wochen bis drei Monaten von selbst wieder verschwinden. In den meisten Fällen handelt es sich um gutartige und selbstlimitierende Rückenschmerzen. Allerdings treten sie oft wieder auf und werden zwischen dem 30. und 55. Lebensjahr zunehmend häufiger.

  • Statt zweimal im Jahr etwa vier- bis fünfmal im Jahr;
  • auch die Dauer nimmt zu: statt zwei Wochen Dauer vier Wochen Dauer;
  • auch werden die Rückenschmerzen intensiver: von anfangs recht erträglich bis zu sehr heftigen Schmerzen nach Jahren.

Gesundheitliche Schwachstellen: Neigung zu Rückenschmerzen

Es ist richtig, dass manche Menschen dazu neigen, Rückenschmerzen zu entwickeln. Es handelt sich dabei um eine genetisch bedingte Schwachstelle des Körpers. Die Ausprägung dieser Neigung kann durch verschiedene Faktoren wie Beruf, sportliche Aktivitäten, Familienleben und andere positive oder negative Einflüsse beeinflusst werden. Dabei kann der Schmerz zeitweise ruhig bleiben und dann plötzlich wieder auftreten.

Jeder Mensch hat eine oder mehrere gesundheitliche Schwachstellen. Einige Menschen entwickeln beispielsweise Hautausschläge bei Überlastung oder Überforderung, andere leiden unter chronischer Verstopfung, immer wiederkehrenden Nasennebenhöhleninfektionen oder unklarem Herzklopfen. Bei vielen Rückenschmerzpatienten stellt der Rücken das Organ dar, über das Härten und Schönheiten des Lebens zum Ausdruck gebracht werden.

 

Behandlung der chronischen Rückenschmerzen nach striktem ­standardisiertem Stufenplan

In den letzten Jahrzehnten wurden in verschiedenen internationalen Spitzenzentren für die Behandlung von Rückenschmerzen Strategien entwickelt, die besonders hinsichtlich mittel- und langfristiger Erfolge vielversprechend sind. Dabei wird ein präzise festgelegter Stufenplan angewendet:


Schritt 1 – Erstkontakt. Klarstellung des prognostisch-vielversprechendsten Therapieansatzes. Gleichberechtigte Arzt-Patientenbeziehung.

Bereits beim ersten Kontakt mit dem Patienten sollte der Therapeut deutlich machen, dass es sich bei chronischen Rückenschmerzen in den meisten Fällen um eine chronische Erkrankung handelt. Dabei ist eine gleichberechtigte Therapeuten-Patienten-Beziehung für den Erfolg unerlässlich. Die Beibehaltung des traditionellen hierarchischen Verhältnisses zwischen Arzt und Patient hat sich als weniger effektiv erwiesen.

In einer umfassenden Sitzung, die mindestens eine Stunde dauert, sollten alle bisher durchgeführten diagnostischen und therapeutischen Schritte ausführlich besprochen werden. Dabei werden offene diagnostische oder passive therapeutische Interventionen erarbeitet und dabei auch offensichtliche psycho-soziale Faktoren berücksichtigt. Es ist wichtig, schwerwiegende somatische Ursachen der Schmerzen professionell auszuschließen.

Es gibt spezifische Algorithmen, die helfen, das Übersehen von Tumoren, Frakturen, Entzündungen, schweren neurologischen Symptomen, Spinalkanalstenosen, Wirbelgleiten usw. in einem hohen Prozentsatz zu vermeiden.


Schritt 2: Schmerzen effektiv bekämpfen

Im zweiten Schritt, dem Therapiealgorithmus, geht es darum, den Schmerz effektiv zu bekämpfen. Das Ziel ist es, sowohl die Intensität als auch die Häufigkeit der Schmerzen deutlich zu verringern. Hierbei sollten alle verfügbaren Maßnahmen genutzt werden, um dieses Ziel zu erreichen.

  • Ein wichtiger Bestandteil des Therapiealgorithmus ist die angemessene und ausreichende Schmerzmedikation gemäß dem WHO-Schema. Leider wird dies oft vernachlässigt, besonders bei langjährigen Patienten.
  • begleitende eventuell rückenmarksnahe oder an betroffene Strukturen erfolgende Infiltrationen mit Lokalanästhetikum und Spuren eines Depotkortikoids.
  • Zusätzlich können begleitend rückenmarksnahe oder an betroffenen Strukturen durchgeführte Infiltrationen mit Lokalanästhetikum und geringen Mengen eines Depotkortikoids erfolgen. Dabei reichen in der Regel 5-10 mg aus, um die lokalen Rezeptoren zu sättigen.
  • Eine weitere Maßnahme im Therapiealgorithmus ist die Neuraltherapie. Dabei werden verdächtige Narben identifiziert und unter Umständen unterspritzt. Zudem werden chronische Infektionen im Bereich der Zähne, Mandeln und der Nasennebenhöhlen abgeklärt.

Es ist wichtig, dass der Arzt den Patienten mit Rückenschmerzen das Gefühl vermittelt, dass er in die Behandlung stark eingebunden und ernst genommen wird. Dazu gehört auch die Vermittlung entsprechender Informationen über das Krankheitsbild.

Denn es ist bekannt aus der Verhaltensmedizin, dass die therapeutischen Erwartungen eine bedeutende Rolle spielen. Jede Aussage, die sich bewahrheitet, stärkt die Bindung und das Vertrauen des Patienten gegenüber dem Therapeuten. Umgekehrt kann eine nicht eingetroffene Prognose dazu führen, dass der Patient das Vertrauen verliert und sich vom Therapeuten abwendet.


Schritt 3 – Ausführliche Aufklärung über die medikamentöse Behandlung von chronischen Rückenschmerzen als Mittel zum Zweck

Es kommt häufig vor, dass Patienten sagen: „Eigentlich möchte ich keine Medikamente einnehmen.“ In solchen Fällen sollte der Arzt umgehend eine Erklärung für eine aggressivere medikamentöse Behandlung der chronischen Rückenschmerzen bereithalten.

Seit einigen Jahren ist bekannt, dass bereits nach wenigen Wochen anhaltender Schmerzen strukturelle Veränderungen im Bereich des Rückenmarks auftreten können. Dabei entsteht definitiv (auch sichtbar unter dem Mikroskop) eine „Schmerzfabrik“ – eine zentrale Sensibilisierung.

Darüber hinaus wird dem Schmerz im Gehirn eine größere Repräsentationsfläche zugewiesen. Im Extremfall kann dies bedeuten, dass die ursprüngliche Ursache des Schmerzes längst behoben ist, der Patient jedoch trotzdem unter starken Schmerzen leidet.

 

Die gute Nachricht: dieser Prozess ist reversibel. Dafür muss man aber den ­peripheren Schmerzeinstrom drastisch reduzieren. Dies stellt die ­erste Begründung für eine ausreichende und aggressive Therapie mit Schmerzmitteln dar.

Ein weiterer wichtiger Punkt betrifft das erlernte Schonverhalten mit schonenden Bewegungen sowie das Vermeiden von Angst. Bei fast 100% der Patienten mit chronischen Schmerzen ersetzen diese Verhaltensweisen nach längerer Schmerzperiode das natürliche Bewegungsprogramm.

Dies hat einen maßgeblichen Einfluss auf das Aufrechterhalten der Rückenschmerzen, da Fehlbelastungen und Überlastungen von normalerweise nicht belasteten passiven und aktiven Strukturen des Bewegungsapparates neue Schmerzrezeptoren stimulieren, die wiederum zu weiterer Schonung führen. Dadurch wird die einzige schützende und schmerzhemmende Struktur, nämlich die Muskulatur, kontinuierlich geschwächt und auch die Koordination stark beeinträchtigt.

Auf diese Weise wird das körpereigene „Korsett“ unaufhaltsam immer weiter geschwächt, das uns ermöglicht, die dreidimensionalen Bewegungen des Alltags, die statischen Anforderungen des längeren Sitzens und Stehens sowie auch leichtere sportliche Aktivitäten angst- und vor allem schmerzfrei durchzuführen.

Eine angemessene Schmerztherapie ermöglicht es, schnellstmöglich in einen reaktivierenden, kräftigenden und koordinationsverbessernden Aktivitätsprozess einzusteigen. Die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson kann dabei helfen, die Einschlafdauer zu verkürzen. Die Wiederherstellung von normaler Kraft, Kraftausdauer, Koordination sowie einer sensibilisierten Körperwahrnehmungsfähigkeit sind von großer Bedeutung. Dies gilt als unumstrittener Schlüssel für mittel- und langfristigen Erfolg bei der Bewältigung und Behandlung von chronischen Rückenschmerzen.


Hilfsmittel für die Behandlung von chronischen Rückenschmerzen

Als unterstützende moderne Hilfsmittel haben sich spezielle computergestützte Systeme zur Analyse und Training in Kombination mit 3D-Koordinationstraining, wie zum Beispiel am Spacecurl, und therapeutisches Klettern sowohl auf internationaler als auch nationaler Ebene bewährt. Mit ihrer Hilfe kann der oben beschriebene Kreislauf bei über 90% der Patienten mit chronischen Rückenschmerzen sicher und effektiv durchbrochen werden.

Zudem sind häufig psychosoziale Faktoren vorhanden, die bereits bei der Erstuntersuchung erkannt wurden. In Fällen, in denen diese Faktoren besonders präsent sind, hat sich die Kombination aus schmerzlindernden Methoden, intensiven Aktivierungsprogrammen sowie Entspannungsmethoden wie der Muskelentspannung nach Jacobson, Hypnose oder Biofeedback sehr gut bewährt.

Darüber hinaus gibt es verschiedene alternative Methoden. Eine sichere Behandlung mit positiver Wirkung auf die Kontrolle chronischer Rückenschmerzen ist beispielsweise die Sauerstoff-Ozon-Therapie. Zudem können Injektionen von Botulinumtoxin A vorteilhafte Effekte bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen erzielen.


Literatur:

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Quellen:

Rainer Muller. Strategien in der Behandlung von chronischen Rückenschmerzen. Medmix online 2019

Erfolg versprechende Strategien zur Behandlung von chronischen Rückenschmerzen. Dr. Bernhard Stengg, MEDMIX 4/2004.

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