Donnerstag, April 25, 2024

Welche Haftmechanismen die Pollen beim Pollenflug einsetzen

Für die Vermehrung von Pflanzen sind Pollen entscheidend, für Allergiker sind sie ein Greuel: Haftmechanismen beim Pollenflug unter der Lupe.

Der Pollenflug bringt für Personen mit Allergien schwere Zeiten. Jedoch ist der Pollenflug für die Pflanzen eine der wichtigsten Möglichkeiten der Vermehrung, wobei neben dem Wind vor allem Insekten die Pollen von einer Blüte zur anderen tragen, um sie zu bestäuben. Hierbei müssen sich die Pollen immer wieder auf unterschiedlichen Oberflächen anhaften und sich ablösen.

Die dafür nötigen Haftmechanismen beim Pollenflug waren bisher allerdings wenig erforscht. Das haben Wissenschaftler des Zoologischen Instituts der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) unlängst geändert. Die Forscher haben herausgefunden, dass die Haftmechanismen weitaus komplexer als bisher angenommen.

 

Mikrostruktur der Pflanzenoberflächen und der Dauer des Pollen-Kontakts

Die Haftmechanismen unterscheiden sich je nach Mikrostruktur der Pflanzenoberflächen und der Dauer ihres Kontakts mit den Pollen. In der Studie hat das Kieler Forschungsteam erstmals die dabei wirkenden Haftkräfte gemessen. Die Ergebnisse könnten wichtige Erkenntnisse für den Transport medizinischer Wirkstoffe liefern. Allerdings auch – angesichts eines steigenden Insektensterbens – für die Entwicklung alternativer Strategien in der Landwirtschaft.

 

Pollen zeigen sich beim Pollenlug als Allroundtalent der Haftung

Juckende Nase, gerötete Augen, ständiges Niesen: viele Menschen leiden unter einer starken Pollenallergie. Deswegen wollten Wissenschaftler mehr und den Prozess beim Pollenflug erfahren, wozu man auch die Hafteigenschaften von Pollen erforschen muss. In der Arbeitsgruppe „Funktionelle Morphologie und Biomechanik“ an der CAU untersuchten Forscher die besonderen Fähigkeiten von Pflanzen und Tieren und wie sich diese künstlich nachbilden lassen.

Unter dem Strich bewältigen Pollen, die von Insekten transportiert werden, drei verschiedene Haftuntergründe. Wenn sie sich von ihrer Startblume lösen, auf dem Insekt anhaften und von dort schließlich auf der Zielblume abgesetzt werden.

Die Forscher wollten herausfinden, welche Haftmechanismen das ermöglichen. Deswegen untersuchte man diese Mechanismen anhand von Modellpflanzen der Art Hypochaeris radicata. Diese krautartigen Pflanzen aus der Familie der Korbblütler blühen bis in den Spätherbst auf der gesamten Nordhalbkugel. Die Pollen auf ihren gelben Blüten sind wie die vieler anderer Pflanzen mit einer öligen Substanz umgeben, dem sogenannten Pollenkitt.

Bislang war die Forschung davon ausgegangen, dass Pollenkitt eine zentrale Funktion für das Anhaften der Pollen hat. Doch wir haben festgestellt, dass er sich unter bestimmten Bedingungen genau gegensätzlich verhält, also nicht haftet. Jedenfalls muss man die Haftmechanismen von Pollen beim Pollenflug viel differenzierter betrachten. Demnach wird die Haftung von Pollen von einem komplexen Wechselspiel aus dem Alter der Pollen, der Luftfeuchtigkeit und den jeweiligen Haftuntergründen beeinflusst.

 

Pollenflug: welchen Start- und Zielpunkt Pollen haben

In einer rezenten Studie konzentrierten sich Wissenschaftler auf die Haftmechanismen der beiden Pflanzenteile, die für den Pollentransport am wichtigsten sind: Auf dem Griffel, einem männlichen Teil des Blütenstempels, auch Stylus genannt, haften die Pollen, bevor sie von einem Insekt abgelöst werden. Darüber befindet sich bei den untersuchten Korbblütern die Narbe. Das weibliche Organ, auch als Stigma bezeichnet, nimmt die ankommenden Pollen von anderen Blüten auf.

Mit einem Rasterkraftmikroskop haben die Wissenschaftler gemessen, wie stark die Pollen auf dem Griffel und der Narbe der Hypochaeris radicata jeweils haften. Sie fanden heraus, dass beide Pflanzenteile sehr unterschiedliche Hafteigenschaften besitzen, die sich im Verlauf des Bestäubungsprozesses ändern. So erhöht sich die Haftwirkung auf der Narbe drastisch um den Faktor 11,9, während sie auf dem Griffel mit dem Faktor 2,7 nahezu unverändert bleibt.

 

Optimale Anpassung im Laufe der Evolution

Es wird vermutet, dass die beiden Pflanzenteile im Laufe der Evolution unterschiedliche Funktionen herausgebildet haben, um den Prozess der Bestäubung zu optimieren. Die Narbe erhöhe ihre Haftung, um die neuen Pollen aufzunehmen und festzuhalten. Würde sich die Haftung allerdings auch auf dem Griffel als Startpunkt des Pollentransports intensivieren, könnten sich die Pollen dort nicht mehr ablösen. Mit diesem Haftsystem tragen die Pollen vermutlich entscheidend dazu bei, die Reproduktion von Pflanzen zu sichern.

Verantwortlich für die verschiedenen Hafteigenschaften der beiden Pflanzenteile, so vermuten die Wissenschaftler, ist ihre unterschiedliche Oberflächenstruktur auf Mikroebene und eine spezielle Flüssigkeit, die von der Narbe abgesondert wird. Hierfür untersuchten sie mit einem speziellen Kryorasterelektronenmikroskop schockgefrorene Proben der Pflanzen. In diesem Zustand bleibt ihre ursprüngliche Struktur erhalten und es lassen sich auch flüssige oder ölige Substanzen betrachten.

 

Mögliche Erkenntnisse für Beschichtungsprozesse und den Transport medizinischer Wirkstoffe

Wenn herausfinden könnte, mit welchen Mechanismen sich solche Interaktionen von Mikropartikeln und Oberflächen steuern lassen, ließen sich daraus möglicherweise Schlüsse ziehen für Beschichtungs- und Druckprozesse, den Transport von medizinischen Wirkstoffen oder die Behandlung von Atemwegserkrankungen. In Form spezieller Filter könnten sie vielleicht auch eines Tages Pollenallergikern und -allergikerinnen Abhilfe schaffen.


Literatur:

Ito S, Gorb SN. 2019, Attachment-based mechanisms underlying capture and release of pollen grains. J. R. Soc. Interface 20190269. http://dx.doi.org/10.1098/rsif.2019.0269

Ito S, Gorb SN. 2019, Fresh “Pollen Adhesive” weakens humidity-dependent pollen adhesion. ACS Applied Materials & Interfaces 11 (27), 24691-24698
DOI 10.1021/acsami.9b04817 https://pubs.acs.org/doi/10.1021/acsami.9b04817


Quelle: Zoologisches Institut der Universität Kiel

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