Freitag, April 19, 2024

Polio bis zum Jahr 2019 ausrotten – the Endgame Plan

Am 24. Oktober – dem „World Polio Day“ – feierte die Global Polio Eradication Initiative (GPEI) gegen Poliomyelitis ihr 30-jähriges Bestehen.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO, die UNICEF, Rotary International und die US Centers for Disease Control haben die Global Polio Eradication Initiative (GPEI) als gemeinsames Projekt gegründet. Ziel war es, die Poliomyelitis weltweit auszurotten.

Diese Poliomyelitis-Eradikation sollte ursprünglich bis zum Jahr 2000 gelingen, inzwischen wurde die derzeitige Phase des GPEI „Polio Eradication & Endgame Strategic Plans 2013-2018“ (kurz „The Endgame Plan“) bis zum Jahr 2019 ausgeweitet.

Obwohl das ursprünglich angestrebte Ziel bis dato trotz größter strategischer und finanzieller Anstrengungen noch immer nicht ganz erreicht werden konnte, sind mehr als beachtliche Erfolge zu verzeichnen. Im Gründungsjahr 1988 war Polio noch in mehr als 125 Ländern endemisch. Schließlich erlitten damals geschätzte 350.000 Kinder alljährlich Lähmungen als Folge der Infektion.

 

Poliofreie Regionen

Durch das konsequente Durchimpfen der Bevölkerung gilt nunmehr der amerikanische Kontinent seit 1994, der westpazifische Raum seit 2000 und seit 2002 auch die WHO-Region Europa als poliofrei. Zudem ist Polio (Wild-) Virus Typ 2 nach 1999 verschwunden und wurde im September 2015 schließlich als ausgerottet erklärt.

Insgesamt ging die Gesamtzahl der Polio-Wildvirus-Fälle seit 1988 weltweit um 99,9% zurück. Dementsprechend haben weltweit im Jahr 2017 nur noch Afghanistan und Pakistan 22 Fälle von Polio-Wildvirus (WPV) Infektionen gemeldet. Dies ist die niedrigste Zahl in der Geschichte der Polio-Radikation!

Heute kommt das Polio Virus nur mehr in drei Ländern, nämlich in Afghanistan und Pakistan sowie Nigeria, endemisch vor. Leider wurden im Jahr 2018 bis Oktober bereits wieder 25 WPV-Infektionen gemeldet (19 aus Afghanistan, 6 aus Pakistan). Im gleichen Zeitraum 2017 waren das 13 Fälle. In der Endphase der Polio-Ausrottung gibt somit immer noch Probleme. Zusammenfassend sind es politische Konflikte und Instabilität, eine logistisch schwer zu erreichende Bevölkerung und eine schlechte medizinische Infrastruktur in den verbleibenden Endemiegebieten, die es extrem schwierig machen, die komplette Ausrottung von WPV zu erzielen.

 

Ein Wildvirus-Problem

Ein weiteres Problem liegt in der Natur des in Risikogebieten im Rahmen des Ausrottungsprogramms eingesetzten Lebendimpfstoffes. Die oral aufgenommenen Impfviren können nämlich in sehr seltenen Fällen während ihrer Vermehrung im Darm durch eine Serie von (Rück-)Mutationen bzw. Rekombinationen wieder ähnliche Virulenz-Eigenschaften und Übertragungsfähigkeit erlangen wie das Wildvirus, und in Folge können sie dann selbst wiederum Ausgangspunkt von Polio-Ausbrüchen werden. Die Gefahr solcher Mutationen besteht generell dann, wenn die Impfviren in einer empfänglichen Population über längere Zeit (mindestens ein Jahr) zirkulieren.

Deshalb finden sich solche „zirkulierenden Polio-Impfviren“ (circulating vaccine-derived poliovirus – cVDPV) vor allem in Populationen mit unzureichenden Durchimpfungsraten, wo sie zu kleineren Ausbrüchen führen können. Ausreichend hohe Durchimpfungsraten können dagegen jedoch erfolgreich vorbeugen. Wenn allerdings solcher Ausbrüche auftreten, müssen zwei bis drei Runden an Immunisierungskampagnen sie rasch stoppen.

Seit April 2016 wurde außerdem bei Routineimpfprogrammen in Risikogebieten ein Switch zu bivalentem oralen Polio-Impfstoff vollzogen (keine Typ 2 Komponente mehr enthalten), was das Risiko des Auftretens von cVDPV-2-Fällen reduziert. Die Länder meldeten im Jahr 2018 bisher 74 cVDPV-Fälle:

  • 16 aus der Demokratischen Republik Kongo,
  • 19 aus Nigeria,
  • 12 aus Somalia,
  • 21 aus Papua Neu Guinea und
  • 6 aus Niger.

 

Durchimpfungsraten gegen mögliche Poliomyelitis-Fällen dringend erforderlich

Eine unabhängige Zertifizierungskommission reevaluiert seit 2002 jährlich den bestehenden Polio-freie Status Europas. Die sogenannte »European Regional Commission for the Certification of Poliomyelitis Eradication« (RCC) macht das anhand von Berichten der Mitgliedsstaaten. Dabei überprüft RCC beispielsweise auch, ob die jeweiligen Durchimpfungsraten ausreichend hoch sind.

Im Report vom Mai 2018 zeigte sich RCC besorgt, weil die Durchimpfungsraten in manchen Ländern zurückgegangen sind. Sie stuften Bosnien-Herzegowina, Rumänien und die Ukraine als Hochrisikoländer für eine mögliche Ausbreitung des Poliovirus – bei einer Einschleppung – ein. Weitere 21 Länder haben ein mittleres Risiko. Auch Österreich zählt leider auf Grund einer zu niedriger Durchimpfungsrate zu diesen Risikoländern.

Die routinemäßigen Durchimpfungsraten müssen in diesen Ländern dringend erhöht werden. Ebenso ist eine gut funktionierende epidemiologische Überwachung (Surveillance) notwendig, um möglichen Poliomyelitis-Fällen sofort und wirksam begegnen zu können.

Nichtsdestotrotz könnte bald ein weiteres humanes Pathogen mit schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen weltweit ausgerottet werden. Zum zweiten Mal in der Geschichte seit der Ausrottung der Pocken im Jahr 1977. Die Polio-Eradikationsstrategien – vor allem die Immunisierung jedes Kindes („every last child“) – des „Endgame-Plans“ sind jedenfalls umgesetzt. Schließlich sind diese auch bereits finanziert und müssen nun konsequent weiterverfolgt werden.

Für die Zeit nach der “Zertifizierung“ der globalen Eradikation von Polio-Wildvirus hat die GPEI bereits eine Übergangsplanung und eine „Post-Certification Strategy“ entwickelt. Diese wird im Mai 2018 vor dem World Health Assembly präsentiert. Darin sind die nötigen Aktivitäten festgelegt, die für eine Polio-freie Welt implementiert beziehungsweise aufrechterhaltet werden müssen.

Weitere Infos zur Kampagne „EVERY LAST CHILD“: www.polioeradication.org

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Quelle:

VIRUSEPIDEMIOLOGISCHE INFORMATION NR. 22 / 18-6.

Eva Geringer. Department für Virologie der Med. Universität Wien.

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