Donnerstag, April 25, 2024

Physiotherapie in der Psychiatrie

Physiotherapie in der Psychiatrie: Im Grenzbereich zwischen körperlichen und psychischen Störungen

Psychische Störungen können sich auf körperlicher Ebene niederschlagen. In solchen Fällen ist nach einiger Zeit oft nicht mehr klar, was Ursache und was Auswirkung ist. Als Spezialistin für Psychosomatik in der Physiotherapie arbeitet Zagorka Pavles im Grenzbereich zwischen körperlichen und psychischen Störungen. In der Fachzeitschrift „physiopraxis“ (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2015) macht die im schweizerischen Liestal praktizierende Physiotherapeutin an einem Fallbeispiel deutlich, wie schwer Ursache und Wirkung oft zu trennen sind.

Pavles berichtet von einer depressiven Patientin, die versucht hatte, sich das Leben zu nehmen. Nachdem ihre Verletzungen – ein Schädel-Hirn-Trauma, Rippenfrakturen und eine Knieverletzung – gut abgeheilt sind, bescheinigen ihr die behandelnden Ärzte, nun wieder körperlich gesund und arbeitsfähig zu sein. Die Patientin fühlt sich jedoch noch immer schwer krank, schon ein kurzer Spaziergang erschöpft sie völlig, sie klagt über Nacken-, Rücken- und Knieschmerzen. Daher kommt sie für einen stationären Aufenthalt in die psychiatrische Klinik Baselland, wo Zagorka Pavles sie physiotherapeutisch betreut.

Die Diskrepanz zwischen dem messbaren körperlichen Befund – wonach die Patientin gesund ist – und der eigenen Körperwahrnehmung, deutet für Zagorka Pavles auf ein gestörtes Körperschema hin. Dass die junge Patientin sich permanent müde fühlt und über mangelnde Vitalität klagt, führt die erfahrene Therapeutin unter anderem darauf zurück, dass sie nur flach und nicht rhythmisch atmet. „Ihr Brustkorb wirkt unbeweglich, als würde sie nicht regelmäßig ein- und ausatmen oder unbewusst die Luft anhalten“, sagt sie.

Auch dem Gang der Patientin ist deutlich anzumerken, dass sie sich nicht gesund fühlt: Sie geht langsam und ohne Rhythmus, und die Arme pendeln nicht mit. „Sie erweckt den Eindruck, als würde sie Körperteile ohne innere Beteiligung passiv mitschleppen“, schildert Zagorka Pavles ihren Eindruck. „Ich nenne das ‚Niederlage gegen die Schwerkraft‘.“

Tatsächlich berichtet die Patientin, das ehemals verletzte Kniegelenk nur als ‚schmerzhaftes Loch‘ wahrzunehmen, das nicht zu ihrem Körper gehört. Auch ihre dysfunktionalen Haltungs- und Bewegungsmuster kann sie nicht bewusst wahrnehmen. Über Berührungen – etwa bei der Massage mit Igelbällen – versucht die Therapeutin daher, der Patientin ihre Körpergrenze erfahrbar zu machen und ihren Körper als Ganzes wahrzunehmen. Andere Übungen sollen ihr Halt und Stabilität vermitteln: Sie spürt, wie der Fuß beim Gehen und Stehen auf den Boden drückt und dieser ihr Halt gibt. Und unter Anleitung der Therapeutin lernt sie auch zu spüren, wie ihr Körper auf diesen Halt mit einer Aufrichtung gegen die Schwerkraft reagiert.

Nicht zuletzt geht es Pavles darum, die Patientin eigene, gesunde Bewegungsabläufe finden zu lassen, besonders beim Gehen und Atmen. Dies gelingt ihr, indem sie den Fokus von problematischen Bewegungen weglenkt und Bewegungs„aufträge“ gibt, die die betroffenen Regionen unbewusst mit aktivieren. Bereits nach fünf Einzelsitzungen ist die Patientin deutlich aktiver und entspannter und hat die Resignation ein gutes Stück hinter sich gelassen.


Quellen:

Z. Pavles: Weg vom Schmerz, hin zur Lebendigkeit; physiopraxis 2015; 13 (4); S.44–47.

Georg Thieme Verlag KG, www.thieme.de

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