Freitag, März 29, 2024

Physikalische Medizin und Therapie bei Gelenkschmerzen

Die Physikalische Medizin ist integraler Bestandteil bei der Therapie von Gelenkschmerzen. Dabei gibt es viele wirksame Methoden, aber auch Limitationen.

Die Physikalische Medizin bietet eine individuelle und Symptom orientierte Behandlung. Beispielsweise soll die physikalische Therapie bei Gelenkschmerzen durch den planmäßigen Einsatz manueller, mechanischer, thermischer sowie elektrischer Methoden einen oft bestehenden Teufelskreis unterbrechen.



 

Die physikalische Therapie soll bei Gelenkschmerzen vor allem auch die Mobilisation unterstützen!

Grund für den erwähnten Teufelskreis sind die durch Schmerzen assoziierte Bewegungsarmut. Weiter eine herabgesetzte Belastbarkeit, Muskeldysbalancen sowie zu wenig Bewegung. Hinzu kommt, dass Schmerzpatienten oft Angst haben, ihre Selbständigkeit zu verlieren. Denn das geht wiederum mit einer immensen Verschlechterung der Lebensqualität einher. Vor allem hier kann die physikalische Medizin mit ihren Methoden entgegenwirken.

 

Physikalische Medizin kann limitiert sein

Die Physikalische Medizin mit ihren Methoden kann aber durch Faktoren wie eingeschränkte Belastbarkeit –durch Alter und Multimorbidität –, Begleiterkrankungen oder Unverträglichkeiten gegenüber einzelnen Behandlungsformen begrenzt sein. In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass Schmerzen auch zu einer Verschlechterung von Begleiterkrankungen wie Diabetes oder kardio-pulmonalen Erkrankungen führen können.

Dementsprechend gelten auch spezifische Indikationen und Kontraindikationen für die physikalische Medizin. Da physiotherapeutische Maßnahmen zumeist für den Organismus belastend sind, muss die Auswahl und Dosierung immer individuell abgestimmt sein. Allgemein gilt, dass die Anwendungsintensität der gewählten Verfahren umso vorsichtiger, schonender und milder vorzunehmen ist, je akuter ein Krankheitsprozess ist.

 

Verschiedene Methoden für individuelle Bedürfnisse

Die Physikalische Medizin zielt zu Beginn der Schmerztherapie auf Abklärung der Strukturen, die den Schmerz verursachen und welche Funktionen gestört sind. Dabei werden die Ansatzpunkte für sinnvolle physikalische Methoden festgelegt.

Die Physikalische Medizin verfolgt folgende allgemeine Ziele:

  • Schmerzlinderung,
  • Entzündungsdämpfung,
  • Wiederherstellung und Verbesserung der gestörten Beweglichkeit und Muskelfunktion (Kraft, Beweglichkeit, Koordination),
  • Regulierung der Muskelspannung,
  • Verbesserung der Durchblutung und Gewebetrophik,
  • Verhütung bzw. Korrektur von Fehlstellungen,
  • Einsparung symptomatischer Medikation (wie Analgetika) sowie
  • Krankengymnastik.

 

Heilgymnastische Methoden

Nahezu unverzichtbar ist bei Gelenkschmerzen die heilgymnastische Therapie. Dabei sollen durch gezielte Bewegungsübungen die Schmerzen gelindert, die Funktion der Bewegungsorgane erhalten und funktionelle Defizite ausgeglichen werden. Erreicht werden soll das durch Kräftigung und Entspannung der Muskulatur, Koordinations- und Ausdauertraining, Gelenkschutz und Haltungsschulung.



Bewährte Methoden zur Schmerzlinderung sind beispielsweise

  • Traktionen – Behandlung mit dosierter Zugkraft auf Gelenke, Extremitäten oder Wirbelsäule,
  • passive und aktiv-assistive Bewegung,
  • Massagen zur Lockerung der Muskulatur,
  • Mobilisation mithilfe des Schlingentisches – schwereloses Aufhängung einer Extremität, des Rumpfes oder des ganzen Körpers mit Hilfe von speziellen Seilzügen und Schlingen – oder
  • Bewegungsbäder.

Die Physikalische Therapie bei Gelenkschmerzen will man vor allem eine Kräftigung der Muskulatur erreichen. Das spielt eine zentrale Rolle, denn eine kräftige gelenkübergreifende Muskulatur die Gelenke stabilisiert und damit schützt. Bei all diesen Methoden muss jedoch immer die Schmerzgrenze des Patienten beachtet werden.

 

Ergotherapie

Ziel der Ergotherapie ist die Förderung der Selbständigkeit durch Schmerzreduktion, Funktions- und Krafterhalt, Vermeidung von Gelenkfehlstellungen und Verzögerung von Gelenkdestruktion. Die dabei angewendeten Verfahren sind beispielsweise Funktions-, Selbsthilfetraining und Versorgung mit Hilfsmitteln (Rheumamesser, Griffverdickung, Anziehhilfe), Schienenanpassung (Orthesen), aber auch die Vermittlung von Gelenkschutzmaßnahmen (Gelenke körpernahe einsetzen, Gewicht verteilen, Hebelgesetze anwenden, Einsetzen elektrischer Geräte) und die Unterstützung bei einer ergonomischen  Arbeitsplatzgestaltung.

 

Massagen

Die Verordnung von Massagen ist bei Gelenkschmerzen vor allem dann sinnvoll, wenn es infolge einer schmerzbedingten Schonhaltung zu Muskelverspannungen kommt. Beeinflusst die klassische Massage primär den Muskeltonus, so fördert die Lymphdrainage den Lymphabfluss. Das ist beispielsweise bei Ödemen der Extremitäten der Fall. Durch die sanften Grifftechniken kommt es zu einer Dämpfung des vegetativen Nervensystems und damit ebenfalls zu einer Schmerzlinderung.

 

Thermotherapie

Kältetherapie oder Wärmeanwendungen können entzündungsbedingte Gelenkschmerzen lindern, wobei Kälte eher im akuten Schub empfohlen wird, um Entzündungsprozesse zu stoppen. Bei chronischen Beschwerden und insbesondere bei Muskelverspannungen sind jedoch Wärmebehandlungen indiziert. Für die Kältetherapie (Kryotherapie) stehen Eisanwendungen in Form von Packungen oder Abreibungen, Kältemanschetten, Kaltluft oder Kältekammern zur Verfügung. Wärmeanwendungen können in Form von warmen Bädern, Güssen, Wickeln oder Packungen (Fango, Moor, Torf, Paraffin), Heißluft etc., eingesetzt werden – ebenso kommen Ultraschall, Infrarot oder Rotlicht zur Anwendung.



 

Elektrotherapie

Auch durch Elektrostimulation kann eine Beschwerdelinderung bei Gelenkschmerzen erzielt werden. Bei der Elektrotherapie kommen verschiedene Stromqualitäten zur Anwendung: Gleichstrom, nieder-, mittel- oder hochfrequente Ströme.

Zu den Gleichstromverfahren zählen die Galvanisation, die Iontophorese (Galvanisation mit Medikamentenzusatz) und hydroelektrischen Bäder. Ebenso sind TENS (Transkutane Elektrische Nervenstimulation) und EMS (Elektrische Muskelstimulation) Varianten der Elektrotherapie.

Hierfür stehen verschiedene Kleingeräte zur Verfügung, die auf Leihgerätebasis ärztlich verordnet werden und vom Patienten nach entsprechender Schulung selbstständig angewendet werden können.

 

Weitere physikalische Therapie-Verfahren bei Gelenkschmerzen

Auch der Stellenwert komplementärmedizinischer Therapien – wie der Akupunktur oder Neuraltherapie – hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Entspannungsverfahren wie beispielsweise autogenes Training stellen ebenfalls eine sinnvolle Ergänzung dar. Bei chronischen Gelenkschmerzen ist auch ein psychologisches Schmerzbewältigungstraining in Erwägung zu ziehen.

Allgemein lässt sich sagen, dass

  • im entzündlichen Schub tägliches Durchbewegen der Gelenke im schmerzfreien Bereich, schonende Lagerung, Orthesen, milde Kältetherapie oder Elektrotherapie geeignete Verfahren sind,
  • bei Schwellung sind dies Lymphdrainage und Kompression und
  • Wenn muskulären Überlastungssyndrome bestehen, sind das Massage, Elektrotherapie und Wärme nützlich.
  • Bei chronischen Rückenschmerzen sind es vor allem aktive physiotherapeutische Übungen zur Rumpfstabilisation, zur Verbesserung der Koordination, Kraft und Ausdauer der Rückenmuskulatur, Massagen, Wärme, Elektrotherapie, manuelle Techniken und Alltagstraining.

Entscheidend ist aber immer die Anleitung der Betroffenen zur Eigentherapie, inklusive Hausaufgabenprogramm und regelmäßiger Therapieüberwachung.



 

Physikalische Methoden zur selbstständigen Therapie bei Gelenkschmerzen

Primärpräventive physikalische Therapie bei Gelenkschmerzen: Erkrankung vermeiden

Zielgruppe der Primärprävention sind gesunde Personen. Im Fokus stehen ausgewogene Ernährung und regelmäßige körperliche Bewegung (Ausdauer- Koordination- und Krafttraining), wobei Überbelastungen (Extremsport) vermieden werden sollten.

Wichtig ist auch das Einhalten ausreichender Ruhepausen, denn dadurch reduziert sich auch das Verletzungsrisiko. Ebenso sollten auch einseitige Belastungen wie das Tragen schwerer Schultertaschen vermieden werden.

Ein wesentlicher Faktor in der primärpräventiven Therapie bei Gelenkschmerzen ist auch die Gewichtskontrolle. Denn Übergewicht steigert beispielsweise das Gonarthroserisiko. Ein weiterer präventiver Faktor ist die Reduktion von psychischen Belastungen und ausreichender Stressausgleich.

 

Physikalische Therapie zur Sekundärprävention bei Gelenkschmerzen: Erkrankungsrisiko frühzeitig erkennen und gegensteuern

Zielgruppe der Sekundärprävention sind Personen mit Risikofaktoren für Gelenksschmerzen. Beispielsweise mit bestehenden Verletzungen (Meniskusriss, Frakturen), instabile Gelenke, Achsenfehlstellungen sowie Stoffwechselerkrankungen wie Gicht,, etc.

Bei diesen „Risikopersonen“ steht die Erhaltung der Mobilität bei gleichzeitigem Gelenkschutz im Vordergrund, durch Anpassung des Lebensstils und der Bewegung an die Prädisponierung.

Bei der Wahl der Sportarten sollte jenen der Vorzug gegeben werden, bei denen große Impulsbelastung und Extrembewegungen der Gelenke vermieden werden. Wenn eine Kniegelenkarthrose droht, sollte auf Sportarten wie Tennis oder Squash- verzichtet werden.

Gelenkschonend sind beispielsweise gleichmäßige rhythmische Sportaren mit geringer Bewegungsenergie wie Schwimmen, Aquajogging und Radfahren, Walking, Skilanglauf oder Rudern.



 

Tertiärpräventive Therapie bei Gelenkschmerzen: Rückfälle vermeiden

Sobald die akuten Gelenkschmerzen einschließlich Rötung und Schwellung abklingen, gilt es einer erneuten Aktivierung der Gelenkbeschwerden vorzubeugen.

Regelmäßiger, gelenkschonender Sport verbessert die Beweglichkeit, der Aufbau der Muskulatur stabilisiert die Gelenke. Auch die Rückenschule hilft für die Wirbelsäule schädliche Haltungen abzubauen, alltägliche Tätigkeiten rückenschonend zu verrichten, Entlastungspositionen zu erlernen und die Rückenmuskulatur zu stabilisieren.

Auch eine Gewichtsreduktion bewirkt eine Verbesserung hinsichtlich Schmerzen und Funktion bei symptomatischer Arthrose, wie das Australische „Health Weight for Life“-Programm zeigte. Die Gruppe mit dem größten Gewichtsverlust – über 10 Prozent – zeigte dabei die stärkste Verbesserung.


Literatur:

Bennell KL, Egerton T, Martin J, Abbott JH, Metcalf B, McManus F, Sims K, Pua YH, Wrigley TV, Forbes A, Smith C, Harris A, Buchbinder R. Effect of physical therapy on pain and function in patients with hip osteoarthritis: a randomized clinical trial. JAMA. 2014 May 21;311(19):1987-97. doi: 10.1001/jama.2014.4591.

Engelhardt M: Epidemiologie der Arthrose in Westeuropa. Dt. Zeitschrift für Sportmedizin, 54, Nr. 6, 171-175, 2003

Höfer J, Enneper J: Prophylaxe Gonarthrose. Dt. Zeitschrift für Sportmedizin, 54, Nr. 6, 184-187, 2003

Atukorala I et al, Osteoarthrits Cartilage 2014; Supplement (22): S50

Bier JD, Scholten-Peeters WGM, Staal JB, Pool J, van Tulder MW, Beekman E, Knoop J, Meerhoff G, Verhagen AP. Clinical Practice Guideline for Physical Therapy Assessment and Treatment in Patients With Nonspecific Neck Pain. Phys Ther. 2018 Mar 1;98(3):162-171. doi: 10.1093/ptj/pzx118.


Quelle:

Statement Prim. Dr. Daniela Gattringer, MSc, Leiterin des Instituts für Physikalische Medizin und Rehabilitation des Krankenhauses der Barmherzigen Schwestern Linz; Vorstandsmitglied der Österreichischen Schmerzgesellschaft

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