Donnerstag, März 28, 2024

Phagen Cocktail: Neue Medikamente gegen multiresistente Keime

Phagen werden immer wichtiger, da die pharmazeutische Industrie kaum noch neue Medikamente gegen multiresistente Keime entwickelt.

Laut Weltgesundheitsorganisation WHO nehmen Antibiotikaresistenzen weltweit alarmierende Ausmaße an. Sie drohten hundert Jahre medizinischen Fortschritts zunichtezumachen, so WHO-Generalsekretär Tedros Adhanom Ghebreyesus. Eine Lösung dafür zu finden, sei eine der dringendsten Herausforderungen im Gesundheitsbereich. Wobei immer weniger neue Medikamente gegen multiresistente Keime entwickelt werden, was die Bedeutung von Phagen in den Fokus der Forschung rückt. Als Phagen bezeichnet man Bakterienviren, die im Kampf gegen resistente Bakterien helfen sollen.

 

Neue Medikamente gegen multiresistente Keime

Resistenzen gegen Antibiotika nehmen weltweit ständig zu. Im Projekt Phage4Cure gehen Fraunhofer-Forscherinnen und -Forscher gemeinsam mit Partnern neue Wege: Ziel ist es, multiresistente Keime mit Viren, sogenannten Bakteriophagen, zu bekämpfen. Insbesondere gegen den gefürchteten Krankenhauskeim Pseudomonas aeruginosa, häufigster bakterieller Verursacher von Lungenentzündungen, sollen Phagen als zugelassenes Arzneimittel etabliert werden.

Hier setzt das Projekt Phage4Cure (siehe Kasten) an: Die Projektpartner, darunter das Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin ITEM in Braunschweig, wollen Bakterienviren, auch als Bakteriophagen oder Phagen bezeichnet, im Kampf gegen bakterielle Infektionen einsetzen. Phagen sind Viren, die in Bakterien eindringen, sich in ihnen vermehren und die Bakterien zum Platzen bringen.

Der Vorteil der Phagen: Sie greifen nur ihr spezielles Wirtsbakterium an, haben keinen Einfluss auf Körperzellen und andere Bakterien. In Deutschland gibt es bislang keine zugelassenen Phagenpräparate, daher wollen die Phage4Cure-Partner Phagen als neues Medikament etablieren.

»Die Phagentherapie an sich ist nicht neu, in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion wurde sie jahrzehntelang erfolgreich eingesetzt. Doch hierzulande konnte sich diese individualspezifische Behandlung nicht durchsetzen. Dies liegt insbesondere an den fehlenden klinischen Studien«, sagt Prof. Holger Ziehr, Projektleiter am Fraunhofer ITEM. Angesichts der Antibiotikaresistenzen rücken die Phagen jedoch immer mehr in den Fokus der Forschung, zumal die pharmazeutische Industrie kaum noch neue Medikamente beziehungsweise Antibiotika gegen multiresistente Keime entwickelt.

 

Phagen als ergänzende Therapie

Die Projektpartner erarbeiten eine neue Phagentherapie, die die Auswahl erfolgversprechender Phagen, den Herstellungsprozess, die pharmazeutische Herstellung, die präklinischen Studien sowie die klinischen Prüfungen umfasst.

Zunächst will man einen inhalierbaren Wirkstoffcocktail aus drei Bakteriophagen gegen das multiresistente Bakterium Pseudomonas aeruginosa entwickeln. Das ist bekanntlich weltweit die häufigste bakterielle Ursache von Lungenentzündungen bei Mukoviszidose-Patienten. Der Erreger verursacht aber auch Harnwegsinfekte und kann sogar zur Blutvergiftung führen.

Der neue Wirkstoff soll europäischen Richtlinien für Arzneimittel genügen. Davon profitieren würden erst einmal Mukoviszidose-Patienten. Aber das ist erst der Anfang: »Unser Ziel ist es, Phagen als zusätzliche Therapie für verschiedene Infektionskrankheiten zu entwickeln – vor allem dort, wo Antibiotika nicht mehr wirken«, so der Forscher.

Für den Herstellungsprozess ist das Fraunhofer ITEM verantwortlich. Hierbei entwickelt man Bakterien, in diesem Fall Pseudomonas aeruginosa, in Bioreaktoren. »Wenn diese eine bestimmte Zelldichte erreicht haben, geben wir Phagen dazu, die den Vermehrungszyklus solange durchlaufen, bis alle Bakterien zerstört sind und eine klare Brühe mit Phagen übrigbleibt, aus der wir im nächsten Schritt pharmazeutisch aufreinigen«, erklärt der Biochemiker.

Der Herstellungsprozess ist plattformartig aufgebaut, das heißt er ist mit nur geringen Veränderungen auch auf andere Phagen übertragbar. Das Fraunhofer ITEM bekommt die Phagen von der DSMZ (siehe Kasten) zur Verfügung gestellt.

 

Wirksamer Phagen-Cocktail indentifiziert

Die Phagen werden als Cocktail für den Patienten zusammengestellt. Im Projekt sammelte man zunächst klinische Bakterienisolate von Mukoviszidose-Patienten. Die DSMZ ermittelte anschließend Phagen, die in der Lage sind, die Isolate aufzulösen.

»Beim Screening konnten drei Phagen mit einem möglichst breiten Wirtsspektrum identifiziert werden, die zusammen 70 Prozent der 150 Isolate zerstören. Von hundert Patienten könnten wir also etwa 70 mit unserem Phagen-Cocktail heilen«, so der Forscher.

Der Phagen-Herstellungsprozess ist mittlerweile am Fraunhofer ITEM etabliert. Im nächsten Schritt wird eine Erweiterung der seit mehr als 20 Jahren bestehenden Herstellungserlaubnis beantragt, um die drei Phagen und aus diesen anschließend den Cocktail als pharmazeutisch einsetzbaren Klinikprüfstoff produzieren zu können. Schließlich soll im Frühjahr im Hannoveraner Institutsteil des Fraunhofer ITEM die präklinische Forschung starten.

»Mittlerweile sind zwei weitere Phagenprojekte dazugekommen. Im Projekt PhagoFlow forschen wir an Bakteriophagen zur schnellen Behandlung von Wundsepsis. Wir entwickeln im Projekt Phage2Go Phagen für die inhalative MRSA-Therapie«, erläutert Ziehr die weiteren Forschungsvorhaben zur Behandlung bakterieller Infektionen.


Quelle: Fraunhofer-Gesellschaft

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