Donnerstag, April 25, 2024

Palliativmedizin in der Neurologie

Die Palliativmedizin bringt viele Notwendigkeiten mit sich und geht dabei weit über die Behandlung von Patienten mit onkologischen Erkrankungen hinaus.

Vor etwa einem jahrzehnt hat noch kaum jemand in der Bevölkerung gewusst, was Palliativmedizin überhaupt ist. Heute verbinden die meisten Menschen damit eine symptomlindernde und Lebensqualität-erhaltende Behandlung. Doch noch immer denken die meisten Menschen im Zusammenhang mit dem Begiff Palliativmedizin ausschließlich an Krebspatienten im Endstadium. Das ist bei Weitem zu kurz gegriffen.

Palliativmedizin ist weit mehr als die Behandlung von Kranken am Lebensende

Palliativmedizin bedeutet wörtlich übersetzt „ummantelnden Behandlung“. Doch beim Begriff geht es um weit mehr, als um ein „end of life treatment“. Die WHO definitiert Palliativbetreuung generell im Zusammenhang mit einer „lebensbedrohlichen Erkrankung“ und nicht nur von einer bestimmten Diagnosegruppe wie zum Beispiel Krebserkrankungen.
Bei neurologische Erkrankungen – die sehr oft mit den genannten beeinträchtigenden Symptomen einhergehen – ist der Bedarf an palliativer Betreuung besonders groß. Während die Vorstellungen darüber, welchen Bedürfnissen onkologische Patientinnen und Patienten in diesem Zusammenhang unterliegen sowohl unter Medizinern wie auch in der Allgemeinbevölkerung oft sehr konkret sind, ist das Bewusstsein der Bedürfnisse von Patienten mit neurologischen Krankheitsbildern weit weniger ausgeprägt. Bei einer Vielzahl dieser neurologischer Krankheitsbilder bestehen hohe Anforderungen, die weit über die rein kurative Therapie hinausgehen. Das gilt für Demenzen, M. Parkinson und andere degenerative Erkrankungen des Zentralnervensystems ebenso wie für die Folgezustände schwerer Schlaganfälle oder Gehirnentzündungen, Hirntumore, Neurotraumen oder genetische Erkrankungen wie die Huntington’sche Erkrankung.

Palliativmedizin erfordert individuelle Lösungsansätze

Für eine optimale, lebensbegleitende Behandlung der zitierten neurologischen Krankheitsbilder gibt es kein Patentrezept. Mehr als jede kurative Therapie ist eine qualitätsvolle Palliativmedizin neben der Krankheit und ihrer individuellen Ausprägung immer auch von persönlichen Vorstellungen und Präferenzen den besonderen Lebensumständen der Patienten abhängig. So sind etwa ALS-Patienten durch die nicht heilbare, degenerative Schädigung des motorischen Nervensystems schon frühzeitig in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt. Hier gilt es, Lebensumstände zu schaffen, die den – geistig völlig intakten – Patienten so lange wie möglich ein weitgehend selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden ermöglichen. Dazu ist eine Betreuungssituation notwendig,  die eine adäquate Nahrungsaufnahme ebenso sicherstellt wie eine rechtzeitige und fachgerechte Absaugung des Speichels.

Demenzpatienten stellen die Palliativmedizin vor andere Herausforderungen: Hier bestehen erhebliche kognitive Einschränkungen, die besondere Fähigkeiten in der Arzt-Patienten-Kommunikation erfordern. Anders als etwa Krebspatienten sterben solche Menschen in der Regel nicht an ihren Defizitsymptomen, leiden dafür aber altersbedingt an einer Reihe anderer Krankheiten, auf die man eingehen und zu einem Gesamt-Therapieplan verarbeiten muss, der die Lebensqualität möglichst lange zu erhalten hilft.

Neurologische Palliativbetreuung ist langfristig und personalintensiv

In der Palliativmedizin in der Neurologie zeigen sich wesentliche Unterschiede zur Palliativbetreuung in der Onkologie. Während die Palliativmedizin bei Krebspatienten meist erst knapp vor dem Ende des Lebens notwendig wird, können palliative Situationen in der Neurologie auch von langer Dauer sein. Das stellt besondere Anforderungen an die personellen Ressourcen von Versorgungseinrichtungen. Es ist deshalb – gerade vor dem Hintergrund einer immer älter werdenden Bevölkerung – wichtig, dass trotz Sparbemühungen genügend qualifiziertes Personal zur Verfügung steht.

Neue Spezialausbildung soll Behandlungsqualität heben

Zwar ist die Versorgung der neurologischen Krankheitsbilder und ihrer Folgezustände seit jeher integraler Bestandteil neurologischen Arbeitens – dennoch ist es notwendig, das Bewusstsein über die Versorgung und Therapie von Menschen mit Lebensqualität beeinträchtigenden Symptomen weiter zu schärfen. Deshalb arbeiten verschiedene Fachrichtungen an der Entstehung einer neuen, interdisziplinären Ausbildung. Diese Spezialisierung in Palliativmedizin soll das Fachwissen vertiefen und zu einer noch qualitätsvolleren Gesamtversorgung beitragen. Da die Probleme betroffener Patienten immer vielfältig sind und die Versorgung durch mehrere Fachbereiche notwendig ist, ist von einer interdisziplinären Herausforderung auszugehen. Das Curriculum für eine interdisziplinäre Ausbildung wird von Vertretern der Neurologie, Anästhesie, Inneren Medizin, Pädiatrie und Hämato-Onkologie gemeinsam erarbeitet. Mit einer derartigen fächerübergreifenden Zusammenarbeit kann für die Palliativmedizin eine einheitliche Basisqualität, gepaart mit dem Spezialwissen all dieser Fächer, sichergestellt werden und es sollte gelingen, Behandlungsansätze und Strukturen zu schaffen, mit denen die Qualität palliativer Behandlungen noch einmal deutlich gehoben wird.

Quellen:

Statement » Palliativmedizin hat viele Notwendigkeiten und geht dabei weit über die Behandlung von Patienten mit onkologischen Erkrankungen hinaus – Neue Spezialisierung soll die Betreuung von Patienten mit unheilbaren neurologischen Erkrankungen verbessern « von Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Kapeller, Vorstand der Neurologischen Abteilung, LKH Villach

Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN)

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