Donnerstag, April 25, 2024

Orthopädie: Infektionen zunehmendes Problem

„Low-grade“-Infektionen stellen bei Schulter- und Ellbogenoperationen zunehmendes Problem dar, so Experten beim 16. EFORT Kongress für Orthopädie in Prag.

Sogenannte „low-grade“-Infektionen werden zu einem zunehmenden Problem nach Schulter- und Ellenbogenoperationen, das durch Standardtechniken der Desinfektion ebenso wenig gelöst werden kann wie durch die arthroskopische Chirurgie, berichteten Experten beim 16. EFORT Kongress in Prag.

Postoperative Infektionen – Herausforderung in der Orthopädie

Postoperative Infektionen sind in der orthopädischen Chirurgie nach wie vor eine große Herausforderung – insbesondere auch nach Schulter- und Ellbogenoperationen. „Daten der vergangenen 30 Jahre zeigen eine postoperative Infektrate von 0,4 bis 3,8 Prozent für das gesamte Spektrum der Eingriffe in der Schulter- und Ellbogenchirurgie. Bei Schulter-Endoprothesenoperationen zum Beispiel liegt die Häufigkeit von Infektionen bei 1,1 für anatomische und 3,8 Prozent für reverse Implantate. Bei der Versorgung von Rotatorenmanschettenrupturen bei 0,4 bis 1,9 Prozent und bei Ellbogenprothesen im Durchschnitt bei 3,3 Prozent, berichtete Dr. Robert Hudek (Rhön-Klinikum AG, Bad Neustadt an der Saale) auf dem 16. EFORT Kongress in Prag.

Die sozioökonomischen Auswirkungen sind beträchtlich. Allein in England belaufen sich die zusätzlichen Kosten aller krankenhausassoziierten Infekte auf 1,4 Milliarden Euro bzw. 1 Milliarde Pfund pro Jahr[1]“, so der Experte.

Wichtigste Tagung für Orthopädie und Unfallchirurgie

Der EFORT Kongress ist die wichtigste Tagung für Orthopäden und Unfallchirurgen auf europäischer Ebene und wird von der European Federation of National Assiciations of Orthopaedics and Traumatology (EFORT) organisiert. „Infektionen in der Orthopädie“ ist das Hauptthema des wissenschaftlichen Großereignisses, zu dem mehr als 7.000 Teilnehmer aus aller Welt in der tschechischen Hauptstadt zusammenkommen.

Eine Besonderheit in der Schulter- und Ellbogenchirurgie in diesem Zusammenhang, so Dr. Hudek: „Vor allem die sogenannten ‚low-grade‘-Infektionen entwickeln sich bei Schulter- und Ellenbogenoperationen zunehmend zur zentralen Herausforderung. Deren Vermeidung, Erkennung und Behandlung beschäftigt die Schulter- und Ellbogenchirurgen ebenso wie klassische Infekte mit typischen Erregern wie Staphylococcus aureus oder das Problem der zunehmenden Resistenzen bei breitem Antibiotikaeinsatz“, so der Experte für Schulterchirurgie.

‚Low-grade‘-Infektionen, die zuletzt verstärkt im Fokus der Wissenschaft stehen, entwickeln sich sehr langsam, weisen nicht die typischen klinischen Symptome auf und führen im Schulterbereich zu Steife und hohem Schmerz. Wegen dieser Besonderheiten ist die Zahl der unerkannten Fälle möglicherweise hoch, so Dr. Hudek: „Solche ‚low-grade‘-Infektionen sind möglicherweise bisher in der Endoprothetik häufig als ‚aseptische Lockerung‘ deklariert worden, in Wirklichkeit stellen sie aber eine chronische Infektion dar.“

Herkömmliche Desinfektionsverfahren versagen bei „low-grade“-Infekten, Arthroskopie reduziert Risiko nicht

Da die für ‚low grade‘-Infektionen verantwortlichen Keime, insbesondere Propionibacterium acnes (P. acnes) einer herkömmlichen Hautdesinfektion nicht zugänglich sind, müssen hier neue Konzepte und Techniken entwickelt werden. Dabei wäre insbesondere eine präoperative Reduktion der Talgdrüsen im Zugangsbereich zum Schultergelenk oder eine effektive Keimreduktion während der Operation, beispielsweise durch häufige antiseptische Spülungen, denkbar. Beide Verfahren haben aber Nachteile und müssen in randomisierten Studien kritisch geprüft werden.

Die arthroskopische Chirurgie an der Schulter und am Ellbogen gilt generell wegen der kleineren Zugangswege als weniger infektionsanfällig. Diese grundsätzliche Regel sei jedoch bei ‚low-grade‘-Infekten aller Wahrscheinlichkeit nach nicht anwendbar, so Dr. Hudek: „Bei der offenen Chirurgie im Rahmen eines schulterchirurgischen Ersteingriffs konnten wir in 36 Prozent der Fälle trotz aller Vorsichtsmaßnahmen P. acnes intraoperativ nachweisen[2]. Bei einem arthroskopischen Zugang war dies in 56 Prozent der Fälle gegeben“, fasst Dr. Hudek aktuelle Ergebnisse zusammen. Die Arthroskopie sei also keine hinreichende Lösung für die Vermeidung von Infektionen, da „hier ebenfalls häufig Keime verschleppt werden.“

Jedoch entwickeln nicht alle Patientinnen und Patienten, bei denen der Keim nachweisbar ist, auch tatsächlich eine Infektion. Dr. Hudek: „Es scheinen spezielle Subtypen zu sein, die eine Infektion in einem Fall aufkeimen lassen und im anderen nicht.“ So wird vermutet, dass P. acnes auch für chronische Rückenschmerzen verantwortlich sein kann. In einer dopplet verblindeten, placebokontrollierten und ranomisierten Studie hatten Patienten mit bestimmten Wirbelsäulenveränderungen in der MRT und chronischem Rückenschmerz für 100 Tage ein Antibiotikum erhalten. Die Ergebnisse waren erstaunlich: Das Antibiotikum hatte die Testgruppe im Vergleich zu Placebogruppe praktisch geheilt. In Gewebeproben der Bandscheiben wurde P. acnes gefunden. Der Subtyp der in der Wirbelsäule gefunden wurde, war in anderen Geweben nicht zu finden. Somit scheint es aggressivere Varianten zu geben über deren Pathomechanik wir aber erst noch sehr wenig wissen.

Bewährte Prophylaxe-Maßnahmen

Die Verwendung bestimmter Desinfektionsmittel oder das präoperative Baden des Patienten scheinen zwar keinen relevanten Einfluss auf die Infektionsrate allgemein bei Operationen zu haben. Neuere Erkenntnisse im Bereich der Infektionsprophylaxe bei der Schulter- und Ellbogenchirurgie zeigen aber einen Trend zur akribischen Reinigung der Haut, der zurückhaltenden Anwendung einer präoperativen Rasur und einer zeitgerechten prophylaktischen Antibiotikagabe. Die Compliance der Spitäler sei gerade in diesem Bereich stark gestiegen.

Der Einsatz Iod-imprägnierter OP-Folien, die Verwendung eines Laminar Air Flow Systems in ausreichender Größe sowie der mehrfache Wechsel der Handschuhe und der OP-Abdeckungen können die Infektionsraten in der Schulter- und Ellbogenchirurgie um rund 50 Prozent reduzieren, wie der Schulterchirurg anhand eigener Daten zeigt. „In einem umfassenden Review, das alle Operationen umfasst, wurde bisher kein Effekt von Inzisionsfolien auf die Infektionsrate gefunden“, so Dr. Hudek. „Der Einsatz von nicht-resorbierbarem Material, vor allem von Fadenankern, in der Versorgung von Rotatorenmanschetten-Verletzungen kann möglicherweise zu der relativ hohen Infektionsrate von bis zu 1,9 Prozent bei diesen Eingriffen führen.“ Deshalb müsse der bedenkenlose Einsatz von multiplen Fadenankersystemen kritisch hinterfragt werden.

Junge und Männer mit höherem Infektionsrisiko, Raucher sollten vor der OP auf Zigaretten verzichten

„Männliches Geschlecht und ein jüngeres Alter sind nachgewiesene Risikofaktoren für postoperative Infekte bei Schulterprothetik “, berichtet der Experte. Auch ein überhöhter Glucosespiegel, der präoperativ stets unter 180 mg/dl liegen sollte, ist ein klassischer Risikofaktor für eine postoperative Infektion.

Einem extrem erhöhten Risiko sind Raucher ausgesetzt. „Darüber muss der Patient unbedingt aufgeklärt werden, zudem sollte bei elektiven Eingriffen unbedingt das Rauchen für mindestens vier Wochen präoperativ unterlassen werden“, so Dr. Hudek. „Auch Rheumatiker zeigen wegen der Einnahme immunsupprimierender Medikamente und oft schlechter Gewebequalität eine erhöhte Infektionsrate.“ Hier müsse in Abstimmung mit Rheumatologen und Infektiologen eine indivudelle Therapie, etwa mit verlängertem Antibiotikumeinsatz und einer Reduktion bzw. Absetzung der immunsupprimierenden Medikamente, geplant werden.

Hintergrund EFORT

Die European Federation of National Associations of Orthopaedics and Traumatology (EFORT) ist die Dachorganisation nationaler orthopädischer Fachgesellschaften in Europa. EFORT wurde 1991 im italienischen Marentino gegründet. Heute gehören ihr 45 nationale Mitgliedsgesellschaften aus 42 Ländern und elf assoziierte wissenschaftliche Organisationen an.

EFORT ist eine Non-Profit Organisation. Das Ziel der Mitgliedsgesellschaften ist es, den Austausch von wissenschaftlichem Fachwissen und von Erfahrungen in der Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten und Verletzungen des muskuloskelettalen Systems zu fördern. EFORT organisiert einen jährlichen Kongress, Seminare, Kurse, Foren und Konferenzen in ganz Europa. Ferner werden Grundlagenforschung und klinische Forschung initiiert und unterstützt.

Quelle: 16th EFORT Congress. Session „Infections in Shoulder and Elbow Surgery.“ 27. Mai 2015

[1] Plowman R. The socioeconomic burden of hospital acquired infection. Euro surveillance : Bulletin Europeen sur les maladies transmissibles = European communicable disease bulletin 2000; 5:49-50.
[2] Hudek R, Sommer F, Kerwat M, Abdelkawi AF, Loos F, Gohlke F. Propionibacterium acnes in shoulder surgery: true infection, contamination, or commensal of the deep tissue? J Shoulder Elbow Surg 2014. 10.1016/j.jse.2014.05.024.

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