Die Anwendung von Opioiden als Schmerzmittel bei Arthrose-Patienten mit chronischen Schmerzen verdreifachte sich nahezu innerhalb von 10 Jahren.
Opioide reine Schmerzmittel, die entsprechend der Leitlinien aufgrund der vielfältigen Nebenwirkungen nur für schwere, chronische Schmerzen bei Verschleisserkrankungen am muskuloskeletalen System (zum Beispiel Wirbelbrüche) eingesetzt werden sollten. Im Gegensatz zu Medikamenten, die gezielt die Entzündung als eigentliche Ursache der Schmerzen bei den verschiedenen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen bekämpfen. In jüngerer Zeit werden Opioide als Schmerzmittel aber aufgrund der zunehmend freien Verfügbarkeit routinemässig bei Arthrose-Patienten mit chronischen Schmerzen (= Osteoarthritis/OA) eingesetzt.
10-Jahresdaten zur Anwendnung von Opioiden als Schmerzmittel gegen chronische Schmerzen bei Arthrose untersucht
Dieser Problematik widmeten sich nun Xie und Kollegen in einer Kohortenstudie über zehn Jahre. Ziel war die Untersuchung der Entwicklung der Anwendung von Opioide als Schmerzmittel für Arthrose-Patienten mit chronischen Schmerzen. Und zwar im Zeitraum von 2007 bis 2016 in Spanien. Die Forscher untersuchten weiter den Einfluss von Patientencharakteristika auf den Konsum von Opioide.
Die Daten für die Studie kamen aus der Datenbank SIDIAP (The System for the Development of Research in Primary Care). Die Datenbank enthält für 80 Prozent der Bevölkerung Kataloniens (circa 6 Millionen Menschen) die Daten zur Primärversorgung und Apothekenabgabe.
Einbezogen wurden alle Personen, die zu Beginn eines jeden Kalenderjahres 18 Jahre oder älter waren und im Studienzeitraum die Diagnose einer OA bekommen hatten (einschließlich der Wirbelsäulen- und peripherer Gelenke). Der Beobachtungszeitraum des Opioidkonsums betrug 1 Jahr nach Diagnosestellung.
Zu den erfassten Opioiden gehörten Codein, Tramadol, Fentanyl und Morphin, wobei anzumerken ist, dass die drei letztgenannten als starke Opioide normalerweise nur für schwere Tumorschmerzen eingesetzt werden. Das Profil des Opioidkonsums wurde für die Gesamtbevölkerung und die Subpopulation, geordnet nach Geschlecht, Alter, sozioökonomischem Status und Wohngebiet (ländlich/urban), analysiert.
Ergebnisse
Die 1-Jahres-Prävalenz jeglichen Konsums von Opioiden unter Patienten mit Arthrose lag von 2007 bis 2012 bei etwa 15 Prozent. Danach stieg diese Zahl um zehn Prozent und näherte sich 2016 25 Prozent.
Der starke Opioidkonsum stieg weiter kontinuierlich an und verdreifachte sich fast. Und zwar von 8 Prozent im Jahr 2007 auf 20 Prozent im Jahr 2016. Die verschiedenen Untergruppen folgten im Laufe der Zeit ähnlichen Trends.
Wobei die Frauen vier Prozent mehr Opioide als die Männer erhielten. Außerdem die älteren Patienten zehn Prozent mehr als die jüngsten Patienten. Weiter die ärmeren sechs Prozent mehr als die weniger armen und in den ländlichen Gebieten mehr als in städtischen.
Schlussfolgerung der Autoren
Der Einsatz von Opioiden (und insbesondere von starken Opioiden) hat in den letzten Jahren bei neu diagnostizierten Patienten mit Arthrose in Katalonien erheblich zugenommen.
Aufgrund der erheblichen Nebenwirkungen, der potenziellen Abhängigkeit und einer gesteigerten Mortalität fordern die Autoren daher dringende Maßnahmen für eine sicherere Verschreibung von Opioiden, um den Opioidmissbrauch bei Patienten mit Arthrose zu vermeiden. Insbesondere bei älteren Frauen, die in ländlichen Gebieten leben.
Risiko durch Opioide bei Arthrose
Eine weitere Studie (DOI: 10.1136/annrheumdis-2020-eular.1725) von Jani et al. mit zwei Millionen englischen Schmerzpatienten (keine Tumorpatienten) fand zusätzlich heraus, dass circa 30 Prozent Verschreiber bei der überstarken Zunahme des Opioidgebrauchs eine gewichtige Rolle spielen. Das Risiko, ein Langzeit-Opioid-Patient zu werden, lag für die Patienten, die bei den Vielverschreibern in Behandlung waren, mehr als 3.5 Mal höher als im Durchschnitt.
Eine weitere Studie (4017) unterscuhte fast 150.000 Patienten (ebenfalls keine Tumorpatienten) über 65 Jahre aus den USA. Dabei stellte man fest, dass mindestens 16% der Patienten nach ihrer Knieprothesenoperation über ein Jahr hochdosiert Opioide bekamen. Ein Hauptrisikofaktor für diese hohen Opioiddosierungen war die Gewöhnung daran. Das heißt, insbesondere die Patienten, die (unnötigerweise) vorher schon Opioide bekommen hatten, steigerten diese nach der Operation nochmals.
Darüber hinaus zeigt eine aktuelle Studie aus Island (DOI: 10.1136/annrheumdis-2020-eular.2587), dass Opiode auch nach Behebung der Schmerzursachen häufig nicht abgesetzt, sondern ihr Verbrauch eher noch gesteigert werde. So ist bei Patienten mit entzündlichen Gelenkerkrankungen die Dosis ihrer Opiode selbst nach der Behandlung mit präzise wirksamen Entzündungshemmern wie TNF-Inhibitoren eher gesteigert worden, anstatt sie abzusetzen.
Einordnung in die aktuelle Situation in Deutschland und Europa
Grundlage sind die AWMF Leitlinien Gonarthrose 2018 und Coxarthrose 2019, bei der die Opioide quasi als ultima ratio nach physikalischer Therapie, lokalen Injektionen, Metamizol/Paracetamol und NSAR eingeordnet sind. Dies auch nur in niedriger Dosis und mit niedrig potenten Opioiden vor einer operativen Intervention. Hierzu lauten die Empfehlungen u. a.:
Empfehlung 4.12
Der kurzfristige Einsatz von schwachen Opioiden kann bei nicht operablen Patienten oder bei Patienten, die für kurze Zeit bis zu einer Operation begleitet werden, in Erwägung gezogen werden. Opioide der Stufe 2 WHO, wie zum Beispiel Tramadol sollten primär dann eingesetzt werden, wenn Stufe 1 Medikation unwirksam oder aus anderen Gründen kontraindiziert sind.
Empfehlung 4.13
Opioide sollten dann für den kurzfristigen Einsatz in der niedrigsten wirksamen Dosis verwendet werden. Denn: ”Hierbei gilt jedoch zu bedenken, dass die unerwünschten Wirkungen deutlich höher sind als bei einem Placebo und somit bei vielen Patienten diese Therapie nicht fortgeführt werden kann. Opioide haben bei der Behandlung von Arthrosepatienten eine signifikante Komorbidität und sollten nur in Extremsituationen Anwendung finden.”
Empfehlung 4.8
Der kurzfristige Einsatz von schwachen Opioiden kann bei nicht operablen Patienten oder bei Patienten, die für kurze Zeit bis zu einer Operation begleitet werden, sinnvoll sein. …”Opioide sollten dann für den kurzfristigen Einsatz in der niedrigsten wirksamen Dosis verwendet werden. Hierbei gilt jedoch zu bedenken, dass die unerwünschten Wirkungen deutlich höher sind als bei einem Placebo und somit bei vielen Patienten diese Therapie nicht fortgeführt werden kann.”
EULAR: keine Empfehlung für Oipoide bei Arthrose
Auch bei den aktuellen Empfehlungen der EULAR findet sich keine Empfehlung für Oipoide. Die entsprechende Aussage hierzu lautet: “… tramadol (with or without paracetamol), was also regarded by the task force as an alternative oral analgesic, although currently no evidence in patients with hand OA is available to support its use…”
Eine aktuelle Nebenwirkungs-Analyse bei über 25 000 Patienten schlussfolgert… “…tramadol use was associated with increased risk of multiple emergency room utilizations, falls/fractures, CVD hospitalizations, safety event hospitalizations, and mortality (new users only) compared to nonuse. Thus, although tramadol use may be appropriately recommended within a pain management strategy for older adults with osteoarthritis, careful monitoring for adverse safety events is warranted.”
Und Arthrose-Experten sehen in dem zunehmenden Verbrauch von Opioiden eine ähnliche Situation wie bei der aktuellen Covid-Krise: “…an endemic increase in the number of deaths attributable to prescribed opioids is found in all developed countries. In 2016 in the USA, more than 46 people died each day from overdoses involving prescription opioids. European data show that the number of patients receiving strong opioids is increasing. In addition, there is an upsurge in hospitalisations for opioid intoxication, opioid abuse and deaths in some European countries.”
Literatur:
AWMF S2k-Leitlinie Gonarthrose, Federführende Fachgesellschaft DGOOC, AWMF Registernummer: 033-004. 2018
AWMF S2k-Leitlinie Coxarthrose, Federführende Fachgesellschaft DGOOC, AWMF Registernummer: 033-001. 2019
Kloppenburg M, Kroon FP, Blanco FJ, et al. 2018 update of the EULAR recommendations for the management of hand osteoarthritis. Ann Rheum Dis. 2019;78(1):16‐24. doi:10.1136/annrheumdis-2018-213826
Musich S, Wang SS, Schaeffer JA, Slindee L, Kraemer S, Yeh CS. Safety Events Associated with Tramadol Use Among Older Adults with Osteoarthritis [published online ahead of print, 2020 Mar 2]. Popul Health Manag. 2020;10.1089/pop.2019.0220. doi:10.1089/pop.2019.0220
Trouvin AP, Berenbaum F, Perrot S. The opioid epidemic: helping rheumatologists prevent a crisis. RMD Open. 2019;5(2):e001029. Published 2019 Aug 6. doi:10.1136/rmdopen-2019-001029
EULAR Abstract No. 3070: Temporal trends of opioid use among incident osteoarthritis patients in Catalonia, 2007-2016: a population-based cohort study, Xie et al., DOI 10.1136/annrheumdis-2020-eular.3070
EULAR Abstract No.: 2587: Initiating TNF inhibitors in inflammatory arthritis does not decrease the average opioid analgesic consumption. Olafur Palsson et al. DOI: 10.1136/annrheumdis-2020-eular.2587
Quelle:
European E-Congress of Rheumatology 2020 (EULAR 2020)
Statement »Verschreibung von Opioiden bei Arthrose – mehr als ein “Trend”?«. Professor Dr. med. Ulf Müller-Ladner, EULAR Standing Committee for Clinical Affairs Past-Chair. Ärztlicher Direktor der Abteilung für Rheumatologie und Klinische Immunologie Kerckhoff-Klinik GmbH, Bad Nauheim.
EULAR Abstract No. 3070: Temporal trends of opioid use among incident osteoarthritis patients in Catalonia, 2007–2016. A population-based cohort study, Xie et al., DOI 10.1136/annrheumdis-2020-eular.3070