Sonntag, März 17, 2024

Rückenschmerzen: Wirkung der Opioide gegen Schmerzen des Bewegungsapparates

Heute setzt man Opioide mit ihrer starken Wirkung auch gegen Schmerzen des Bewegungsapparates ein, besonders bei chronischen Rückenschmerzen.

Vor der Entscheidung, die starke Wirkung der Opioide in der Behandlung gegen Schmerzen des Bewegungsapparates wie vor allem chronische Rückenschmerzen einzusetzen, ist eine ausführliche Anamnese und eine fundierte orthopädisch-neurologische Untersuchung unumgänglich. Der Nervenwurzelschmerz, der durch die Bandscheiben bedingt ist, gilt hierzu als wichtigste Differentialdiagnose zu den stark dominierenden funktionsstörenden Schmerzen des Bewegungsapparates.

 

Chronische Rückenschmerzen behandeln

Die Behandlung von chronischen Rückenschmerzen kann eine Herausforderung sein. Welche medikamentöse Behandlung zur Schmerzlinderung und zur Verbesserung der Behinderung bei chronischen Rückenschmerzen-Patienten am wirksamsten ist, ist auch unter Experten umstritten. Wichtige Wirkstoffe beziehungsweise Medikamente sind Paracetamol, Amoxicillin, Flupirtin, Baclofen, Tryciclic-Antidepressiva, Duloxetin, Topiramat, Gabapentinoide, nichtsteroidale entzündungshemmende Arzneimittel (NSAR) sowie Opioide.

Wenn betroffene Menschen akut unter starken bis stärksten Schmerzen leiden, dann hat jedenfalls sofort eine ausreichende medikamentöse Behandlung zu erfolgen. Wobei das Vorhandensein von Dauer-, Nacht- beziehungsweise Ruheschmerz eigentlich für den Einstieg gleich auf der Schmerzskala WHO-II-Stufe und die Anwendung der Opioide spricht. Die Patienten haben zumeist außerdem schon frustrierende eigene Versuchen mit der Selbstmedikation mit herkömmlichen Schmerzmitteln, den NSAR, hinter sich.

 

Opioide in der Kombinationstherapie auch gegen sehr starke Schmerzen wie chronische Rückenschmerzen

Die Kombinationsanalgetikagabe hat im Akutstadium die Rolle einer systemischen Basistherapie, die die notwendigen Begleittherapien wie gezielte Infiltrationen, Manuelle Medizin, Akupunktur oder Ähnliches schneller und effektiver wirken lässt.

Es empfiehlt sich ein schnellanflutendes und stark antiinflammatorisch wirkendes NSAR gegebenenfalls mit Magenschutz kombiniert mit einem Myotonolytikum und Tramadol. Der Einstieg sollte mit 2x100mg eines Retardtramadols kombiniert mit bis zu maximal 4x100mg/Tag Tramadol in Tropfenform bei einem Durchbruchsschmerz >VAS 5-6 erfolgen. Um eine allfällige durch Tramadol induzierte Übelkeit sofort kontrollieren zu können, sollte man Metoclopramidtropfen als Adjuvans zur Einnahme ca. 15 min vor Tramadol-Einnahme empfehlen.

 

Schmerztagebuch führen

Bis zum zweiten Kontakt füllt der Patient ein Schmerztagebuch aus, um das Einnahmeverhalten und den Schmerzverlauf transparenter zu machen. In dieser Zeit kann der Patient auch eventuell notwendige weiterführende Untersuchungen absolvieren, sodass dem Behandler beim Zweitbesuch des Patienten eine fundierte Aussage über die »Malignität« des Schmerzes durch das Ansprechen auf die Medikation und die erhaltene Zusatzinformation aus der angeordneten Diagnostik vorliegt.

 

Opioide gegen Rückenschmerzen

Gegen akute Rückenschmerzen ist der Einsatz starker Opioide nur selten, und wenn dann augenblicklich notwendig. Denn die Medikamente haben nur eine Teilrolle in einem konservativen Gesamttherapieplan. Dieser sollte in den meisten Fällen zielstrebig auf die Beseitigung der Schmerzursache hinarbeiten.

Gegen chronische Rückenschmerzen haben starke Opioide hingegen einen wesentlich größeren Stellenwert. Die Frage nach dem optimalen Zeitpunkt für einen Einsatz beantwortet sich durch das unzureichende Ansprechen auf Analgetika der zweiten WHO-Stufe sowie durch das Vorliegen einer nicht kausal zu behebenden Pathologie. Dies ist beispielsweise bei ausgeprägtem, chronischen Postdiskotomiesyndrom sowie ausgeprägter Skoliose mit schweren Strukturpathologien im Bereich der Konkavität der Fall.

Auch in Hinblick auf die bei starkem Schmerz des Bewegungsapparates unmögliche Eingliederung in gezielte Aktivprogramme zur muskulären Re-Kondi­tionierung ist der frühzeitige Einsatz der Opioide sinnvoll. Dabei ist ein zu zögerliches Vorgehen im Sinne des Patienten entbehrlich, da die ­äußerst geringe Organtoxizität sowie die seltene Entwicklung einer psychischen Abhängigkeit unter Berücksichtigung von Risikogruppen in keinem Verhältnis zu der überwiegend ausgezeichneten Wirksamkeit steht. Zu Beginn einer Therapie mit starken Opiaten sollte ein orales Präparat stehen, um flexibler bei der Dosisfindung zu sein.

 

Unerwünschte Wirkungen der Opioide

Als hauptlimitierende unerwünschte Wirkungen der Opioide gelten übrigens Übelkeit und Erbrechen. Weiter starke zentrale Nebenwirkungen beziehungsweise die Obstipation. Wobei man der Obstipation schon vom Start weg keine Chance geben sollte. Und zwar durch die gleichzeitige Gabe eines Laxans. Zum Einstieg empfiehlt sich jedenfalls nach wie vor das meist gut verträgliche und wirksame Morphinsulfat. Nicht zuletzt die deutlich geringeren Kosten für Medikamente im Vergleich zu anderen Opiaten sind dafür ein starkes Argument. Der Einstieg erfolgt dazu mit 10 bis 30 mg zweimal täglich der retardierten Form (je nach Dosis einer eventueller Vortherapie mit Tramadol) sowie einer schnell verfügbaren Form als Rescue medication.

Dem Patienten sollte immer genau vorgegeben werden, was er wann zusätzlich an Medikamenten nehmen kann. Das erstickt massive Durchbruchsschmerzen im Keim. Sollten fehlende oder unzureichende Wirkung bzw. nicht beherrschbare Nebenwirkungen zum Abbruch zwingen, ist der Umstieg auf andere Opiate sinnvoll. Denn die Reaktion auf diverse Opiat-Präparate kann individuell sehr verschieden sein. Bei der Gabe von Buprenorphin sollten bei längerer Anwendung der mögliche Ceilingeffekt und die bei Überdosierung schlechte Antagonisierbarkeit durch Naloxon im Auge behalten werden.

Transdermale Anwendung

Wenn die Basiseinstellung erfolgreich war, ist auch der Umstieg auf ein transdermales System eine Spektrum erweiternde Möglichkeit zur Behandlung chronischer Rückenschmerzen. Schließlich ist dies besonders bei multimorbiden Patienten mit einer oralen Polymedikation überlegenswert. Die Patienten­akzeptanz ist bei dieser Applikationsform auch deutlich höher. In diesem Fall ist jedoch bis zum ausreichenden Plasmaspiegel überlappend oral in abnehmender Dosis weiter zu therapieren. Denn so bringt man um den Patienten nicht ungewollt in einen körperlichen Entzug.

 

Abhängigkeit von Opioiden

Die körperliche Abhängigkeit ist im Grunde genommen kein Problem. Die Beendigung der Opiat-Gabe sollte jedenfalls je nach vorliegender Dosierung langsam über 1 bis 3 Wochen erfolgen. Ausnahmen machen hierzu sind immer wieder jene Patienten, die plötzlich finden, die ­Medikamente nicht mehr zu benötigen. Dann setzen sie diese von einem Tag auf den anderen ab. Die infolgedessen auftretenden Entzugssymptome umfassen unter anderem eine Hyperagitiertheit, Unruhegefühle, Schlafstörungen, Zittern sowie Diarrhö.

Prinzipiell sollte bei jedem Patienten, auch bei chronischen Rückenschmerzen, auch nach jahrelanger Opiat-Gabe ein Absetzen der Medikation beziehungsweise eine Modifikation überlegt werden. Solche Patienten sollten dann regelmäßig darüber befragt werden, ob der Therapie­effekt noch anhält. Weitere Fragestellungen sind, ob sie die Dosis eventuell selbständig gesteigert haben bzw. wie ausgeprägt die Toleranzentwicklung ausfällt. Bei Notwendigkeit ist eine Änderung des Therapieplanes inklu­sive Opiat-Wechsel zu überlegen.

Laut einer aktuellen US-Studie sollten hierzu vor allem auch Apotheker die Patienten, denen Opioide verschrieben wurden, bestmöglich beraten und betreuen. Das ist schließlich bedeutend, um das Risiko einer Abhängigkeit von Opioiden so gering wie möglich zu halten.




Literatur:

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Quelle:

Dr. Bernhard Stengg: Einsatz von Opioiden beim nichtmalignen Schmerz; MEDMIX 11/2005.

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