Dienstag, April 16, 2024

Oligometastasierung – was geht noch, wenn Hirnmetastasen dazukommen?

Statement von Professor Dr. med. Gabriele Schackert, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH), zu Behandlungsoptionen bei Hirnmetastasen.

 

Die Therapie von Metastasen ist eines der zentralen klinischen Themen des DGCH-Kongresses. Welches ist die richtige Behandlung bei Oligometastasen der malignen Tumoren des oberen und unteren Gastrointestinaltrakts mit Befall von Lymphknoten, Leber oder Lunge? Was macht man bei Knochenmetastasen, was bei Hirnmetastasen?

In interdisziplinären Sitzungen werden die kontroversen Standpunkte der Therapie auf unserem Kongress von chirurgischer, strahlentherapeutischer und internistischer Seite diskutiert. Das kolorektale Karzinom (KRK) stellt in Deutschland die zweithäufigste krebsbedingte Todesursache dar. Jährlich sterben etwa 30 000 Menschen an den Folgen dieser Erkrankung. Etwa 50 Prozent aller Patienten mit einem KRK entwickeln im Verlauf ihrer Krankheit systemische Metastasen. Während Leber- und Lungenmetastasen in 30 bis 40 Prozent beziehungsweise 15 bis 20 Prozent aller neu diagnostizierten Patienten auftreten, ist die Inzidenz von Hirnmetastasen (HM) beim KRK mit 0,4 bis drei Prozent vergleichbar niedrig.

Die frühzeitige Diagnostik und die verbesserte Therapie der KRK haben in den letzten Jahren dazu geführt, dass das Outcome der Patienten deutlich verlängert wurde. Da das mediane Intervall zwischen der Erstdiagnose eines KRK und der Entwicklung von HM bei 24 Monaten liegt, haben vor allem Langzeitüberlebende das Risiko einer zerebralen Metastasierung. Insgesamt ist eine signifikante Zunahme der HM-Inzidenz bei dieser Tumorentität beobachtet worden.

Risikofaktoren für eine zerebrale Metastasierung beim KRK sind: ein Primum im rektosigmoidalen Abschnitt, der initiale Lymphknotenbefall und weitere extrazerebrale metastatische Organmanifestationen. Hierbei sind progrediente pulmonale und große Lebermetastasen (über sechs Zentimeter) besonders hervorzuheben.

Die Ergebnisse der „South Australian Clinical Registry for Advanced Colorectal Cancer“ mit Daten von 1 207 Patienten mit nur einer Organmanifestation der Fernmetastasen bei Diagnosestellung eines KRK zeigen das längste mediane Überleben bei Patienten mit nur Lungenmetastasen (41,4 Monate), gefolgt von Patienten mit Leber- und Beckenmetastasen (22,8 und 23,8 Monate). Patienten mit solitären Knochen- oder Hirnmetastasen hatten nach unterschiedlichen Therapiemaßnahmen ein medianes Überleben von 5,1 beziehungsweise 5,7 Monaten und somit eine deutlich schlechtere Prognose.

 

Chirurgische Therapie der Hirnmetastasen verlängert Überlebenszeit

Die chirurgische Therapie der Hirnmetastasen hat die Überlebenszeit der Patienten signifikant verlängert. Retrospektive Studien mit aktuellen Daten belegen, dass Patienten mit einer solitären beziehungsweise singulären Hirnmetastase, kontrolliertem extrakraniellem Metastasierungsgeschehen, einem Alter unter 65 und einem Karnofsky-Index (KPS) über 70 signifikant von einer operativen Resektion der Hirnmetastase profitieren. Das mediane Überleben liegt bei Hirnmetastasen vom KRK zwischen 15 und 21 Monaten, nach alleiniger Strahlentherapie oder Radio-/Chemotherapie sowie bei multiplen Hirnmetastasen zwischen vier und zwölf Monaten. Bei einer supportiven Therapie mit Steroiden rechnet man mit nur zwei Monaten Überleben im Median.

Die lokale neurochirurgische Therapie hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. Das chirurgische Vorgehen wurde geändert. Die Therapieoptimierung besteht in einer supramarginalen Komplettresektion mit Einbeziehung einer Infiltrationszone und möglichst einer „en bloc“-Resektion.

Damit kann bei kompletter Entfernung des Tumors auf eine adjuvante Strahlentherapie verzichtet werden. Die Ganzhirnbestrahlung wurde früher als Therapie der Wahl bei zerebralen Metastasen angesehen. Heute sollte sie aufgrund der Gefahr einer Hirnschädigung und eines demenziellen Abbaus in der Regel nur noch bei multiplen Metastasen Anwendung finden.

Eine wesentliche Forderung von neurochirurgischer Seite ist, nach operativer Entfernung einer Einzelhirnmetastase die Tumormasse extrakraniell weiterzubehandeln, sofern dies der Zustand und das extrakranielle Metastasierungsgeschehen zulassen. Nur so können die Überlebenszeiten weiter verlängert werden. Allerdings muss immer die Lebensqualität des Patienten im Vordergrund stehen und der Wille des Patienten berücksichtigt werden. Es liegen etliche Studien vor, die zeigen, dass die Todesursache nach Auftreten von Hirnmetastasen zu einem großen Teil durch den Progress der extrakraniellen Metastasierung bedingt ist und nicht die intrakranielle Tumormanifestation der limitierende Faktor ist.

Anlässlich des Kongresses der DGCH wird der weltbekannte Metastasenforscher Isaiah Joshua Fidler, D.V.M., Ph.D., MD Anderson Cancer Center in Houston, für sein Lebenswerk mit der Ehrenmitgliedschaft in der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie geehrt. In seinem Labor wurden Chirurgen aus der ganzen Welt in der Metastasenforschung ausgebildet. Seine grundlegenden Untersuchungen zur Bestätigung von Pagets „Seed and Soil“-Theorie haben zu einem besseren Verständnis des Metastasierungsprozesses beigetragen. Seine biologischen und molekularbiologischen Untersuchungen der verschiedenen Organmetastasen sowie seine innovativen Therapieansätze haben zu deutlichen Erkenntnisgewinnen geführt. In den letzten Jahren hat er sich ganz auf die Hirnmetastasierung konzentriert. Ein Highlight des Kongresses wird sein Vortrag am Donnerstag zum Thema „The challenge of treating metastases“ sein.

 

Professor Dr. Gabriele Schackert
Professor Dr. Gabriele Schackert

Statement von Professor Dr. med. Gabriele Schackert, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH); Direktorin der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie, Universitätsklinikum Dresden anlässlich des 133. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, April 2016, Berlin

 

 

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