Freitag, April 19, 2024

Österreich nach einem Jahr Gratiszahnspange

Die Bilanz der österreichischen Kieferorthopäden nach einem Jahr Gratiszahnspange beinhaltet Lob und Kritik: „Gute Idee, schlecht umgesetzt“!

Umfrage unter Mitgliedern des Verbandes Österreichischer Kieferorthopäden: Kritik am massiv gestiegenen bürokratischen Aufwand – 71 Prozent der befragten KieferorthopädInnen bezeichneten die Einführung als „chaotisch“ – bei 81 Prozent der VertragskieferorthopädInnen sind die Neuanfänge gestiegen.

Ein Jahr nach der Einführung der sogenannten Gratiszahnspange in Österreich zieht der Verband Österreichischer Kieferorthopäden (VÖK) eine zwiespältige Bilanz. Grundlage ist eine Mitgliederbefragung zur Krankenkassen-Zahnspange, die von trigger research durchgeführt wurde. 221 Kieferorthopäden (66 Prozent der VÖK-Mitglieder) nahmen an der Befragung teil. „Fast 60 Prozent unserer Mitglieder halten die Krankenkassen-Zahnspange für eine gute Idee, die aber schlecht umgesetzt wurde“, zitiert VÖK-Vizepräsidentin Dr. Doris Haberler eines der zentralen Ergebnisse aus der Umfrage. So gaben 71 Prozent der ÄrztInnen an, dass die Einführung chaotisch verlaufen sei.

Hoher bürokratischer Aufwand, IOTN-Einstufung nicht einwandfrei

Ein weiterer zentraler Kritikpunkt: 91 Prozent der Befragten klagen, dass der bürokratische Aufwand seit Juli 2015 massiv gestiegen sei. Darüber hinaus fühlen sich nur 26 Prozent zu allen Details der Krankenkasse-Zahnspange bestens informiert. Lediglich 38 Prozent sagen, dass die IOTN-Einstufung einwandfrei funktioniere. Mit dieser Skala von eins bis fünf wird die Schwere der Fehlstellung bewertet. Eine massive Fehlstellung nach IOTN 4 oder 5 ist Voraussetzung für PatientInnen, um eine kostenlose Zahnspange zu bekommen. Auch die Genehmigung der Anträge und die Abrechnung der Krankenkasse-Zahnspange werden laut der Befragung kritisch bewertet. Auf die Frage, ob PatientInnen durch die Krankenkassen-Zahnspange einen deutlichen Mehrwert erhalten, antworteten nur 29 Prozent der Mitglieder mit Ja.

Profitiert haben von der Einführung der Krankenkassen-Zahnspange neben den betroffenen PatientInnen auch die VertragskieferorthopädInnen: Bei 81 Prozent von ihnen sind die Neuanfänge seit Juli 2015 gestiegen, während nur 18 Prozent der KieferorthopädInnen ohne Vertrag über mehr Behandlungsstarts berichteten. Die Neuanfänge lagen allerdings insgesamt unter den Erwartungen der VÖK-Mitglieder.

Auch für heuer wird laut Umfrage kein Ansturm erwartet. Dr. Haberler: „In Summe hat die Einführung der Krankenkassenspange positive wirtschaftliche Auswirkungen auf unsere Mitglieder, wird aber trotzdem sehr kritisch gesehen.“

Ein zusätzlicher Wermutstropfen für den VÖK ist die fehlende soziale Staffelung. Generalsekretärin DDr. Silvia Silli: „Die Leistung erfolgt nur nach medizinischen Kriterien. Unser Vorschlag für eine Bezuschussung mit Staffelung nach medizinischen und sozialen Kriterien wurde nicht aufgenommen.“ Bedauerlich sei zudem, dass die Altersgrenze mit 18 Jahren auch bei PatientInnen mit ausgeprägten Wachstumsstörungen angewendet werde. Denn diese Behandlungen können aus medizinischen Gründen sinnvollerweise oft nicht vor dem 18. Lebensjahr begonnen werden.

Ein weiterer Kritikpunkt: Da es in Österreich bislang keine ausgewiesenen Kieferorthopädie-SpezialistInnen gibt, wurden im Vertrag deutlich unterschiedliche Kriterien für die Vertragsvergabe bzw. Akkreditierung als WahlkieferorthopädIn festgelegt. Daher haben PatientInnen mit schwerwiegenden Zahn- und Kieferfehlstellungen nach wie vor keine Sicherheit bei der Suche nach SpezialistInnen. Der Hintergrund: Die Kieferorthopädie ist ein Spezialgebiet der Zahnmedizin. In fast allen Ländern der Welt gibt es eine mindestens dreijährige universitäre Zusatzausbildung zum Fachzahnarzt für Kieferorthopädie. In Österreich ist diese Titelführung trotz der vorhandenen universitären Ausbildung nicht erlaubt, da es keine staatliche Anerkennung gibt. DDr. Silli: „Erste konstruktive Gespräche mit der Zahnärztekammer, den Universitäten und dem Bundesministerium für Gesundheit fanden in den letzten Monaten statt, diese sollen im Herbst fortgesetzt werden.“

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