Donnerstag, März 28, 2024

Notwendigkeit einer zivil-militärischen Zusammenarbeit durch einen Terroranschlag

Bei einem Terroranschlag mit Sprengstoff und Schusswaffen müssen Einsatzhelfer und Krankenhäuser in kürzester Zeit in Bereitschaft versetzt werden.

Bei einem Terroranschlag mit Sprengstoff und Schusswaffen geraten Helfer schnell an ihr Limit. Binnen Minuten müssen dann Einsatzhelfer und Krankenhäuser in Bereitschaft versetzt werden – gleichgültig zu welcher Tages- oder Nachtzeit. Einen großen Anschlag mit Sprengstoff und Schusswaffen hat es bislang in Deutschland glücklicherweise nicht gegeben. Trotzdem halten wir es als Chirurgen für unsere Pflicht, uns auf den Fall der Fälle bestmöglich vorzubereiten. Wir müssen vorhandene Kenntnisse vertiefen, Einsatzpläne darauf ausrichten und vorhandene Behandlungsmaterialien vorhalten.

Bei dem Attentat am Breitscheidplatz in Berlin haben die Helfer die Lage relativ gut in den Griff bekommen. Doch dieses Ereignis war aus notfallmedizinischer Sicht mehr oder minder ein sehr großer Verkehrsunfall. Das sind Verletzungsmuster, mit denen wir uns als Unfallchirurgen sehr gut auskennen. Anders wäre es bei Sprengstoff oder Schusswaffen-Verletzungen: Da kommt es zu hohem Blutverlust, inneren Verletzungen, die noch nicht abzuschätzen sind, und Brandwunden. Außerdem – das hat die Vergangenheit gezeigt – besteht nicht selten die Gefahr eines Zweitschlages der Terroristen.

Worin unterscheiden sich die Verletzungen bei einem Terroranschlag?

Bei einem Terroranschlag mit Sprengstoff gibt es beispielsweise eine Druckwelle, die allein schon schwere Verletzungen mit sich bringen kann. Dann fliegen Teile der Bombe, die zu Geschossen werden können, Nägel oder Splitter. Außerdem kommt es zu einem Feuerball, der Verbrennungen zur Folge hat. Unter Umständen könnten sogar Chemikalien und radioaktive Stoffe im Einsatz sein. Das sind ganz andere Verletzungsmuster, mit denen wir im zivilen Bereich bislang gar nichts zu tun haben. Trotzdem müssen die Retter eine solche Anschlagslage dann extrem schnell überblicken:

  • Wer lebt?
  • Wer ist bei Bewusstsein?
  • Wird noch geschossen, müssen Polizeibeamte Verletzte aus der Gefahrenzone holen?

Gleichzeitig müssen sie erste lebensrettende Maßnahmen ergreifen, etwa Blutungen stillen. Dabei fehlt es momentan an einfachen Hilfsmitteln, etwa so genannte Tourniquets, Abbindesysteme für Extremitäten, die ein Verbluten verhindern. Wir fordern daher, dass jeder Rettungswagen mit zwei oder mehr Tourniques ausgerüstet werden sollte.

Rund 600 der 2000 Krankenhäuser in Deutschland kommen derzeit für die Aufnahme von Terroropfern in Frage. Auch die Ärzte vor Ort müssen geschult werden. Daher startete die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie während des Chirurgenkongresses im März in München zweieinhalbtägige Schulungen für Entscheidungsträger in Kliniken. Dort wurde beispielsweise gelehrt, wie in einem Ernstfall Prioritäten gesetzt werden können. Eine wichtige Frage, die rasch entschieden werden muss, ist z.B.: Welcher Patient bekommt in welcher Reihenfolge welche Operation mit welchem Material?

Interdisziplinäre Ärzteteams aus Unfall-, Gefäß-, Thorax- und Viszeralchirurgen sind hier gefordert. Sie müssen eng zusammenarbeiten und ihr jeweiliges Spezialistenwissen für den Patienten einbringen. Die Unfallchirurgie selbst ist wesentlich aus der Versorgung von Verwundeten in Kriegen entstanden. Doch im Nachkriegsdeutschland war Krieg ein Tabuthema. Jede Vorbereitung für mögliche Katastrophenszenarien galt lange Zeit schon als erster Schritt in den Krieg – und war gesellschaftlich geächtet. Nun müssen wir das mittlerweile fehlende Wissen und die dazu gehörigen Techniken neu erlernen.

Gute Vorbilder dafür gibt es in anderen Ländern wie in Frankreich. Dort hatten die Rettungskräfte just am Morgen der Terroranschlag-Serie von Paris ihre monatliche Übung absolviert. In Deutschland geht es aufgrund des föderalen Systems etwas langsamer voran: Terrorabwehr obliegt den Ländern. Der Zivilschutz zählt zur Landesverteidigung und ist Bundessache. Wir dachten langen, in Friedenszeiten müsste man sich darum nicht kümmern. Die Terroranschläge der letzten Monate haben uns etwas anderes gelehrt. Die Chirurgie hat das erkannt und wird sich gemeinsam mit Partnern aus dem zivilen und militärischen Bereich aktiv auf den Fall vorbereiten, von dem wir alle hoffen, dass er nicht eintreten wird.

Professor Dr. med. Tim Pohlemann © R. Koop
Professor Dr. med. Tim Pohlemann © R. Koop

Quelle:

Statement »Terror in Deutschland: Notwendigkeit einer zivil-militärischen Zusammenarbeit« von Professor Dr. med. Tim Pohlemann, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) 2016/2017; Direktor der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie am Universitätsklinikum des Saarlandes (UKS) in Homburg/Saar anlässlich der Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH), am 22. März 2017 in München

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