Mittwoch, April 24, 2024

Neuroplastizität bei Schlaganfall

Neuroplastizität bezeichnet die Fähigkeit des Gehirns, seine Strukturen ein Leben lang ändern zu können. Dies kann man nach Schlaganfall sehr gut nutzen.

Im Grunde genommen ist jeder Schlaganfall anders – sowohl was Ausmaß als auch die betroffenen Bereiche betrifft. Jedenfalls ist der Schlaganfall nach wie vor  der häufigste Grund für bleibende Behinderung im Erwachsenenalter. Denn trotz Sofortbehandlung in flächendeckenden Stroke Units beziehungsweise Kompetenzzentren leben nur wenige Patienten ohne Defizite danach weiter. Vor allem Sprachstörungen sind eine häufige Folge von Schlaganfällen. Vielversprechend ist nun ein neuer Therapieansatz zur Wiedererlangung des Sprachvermögens, der die sogenannte Neuroplastizität nutzt. Dabei bezeichnet Neuroplastizität die Fähigkeit des Gehirns, seine Netzwerkstrukturen ein Leben lang – selbst im hohen Alter – ändern zu können.

 

Neuroplastizität passt neuronale Netzwerke im Falle einer Schädigung des Gehirns an

Funktionen des Gehirns wie Bewegungen, Sprache, Gedächtnis oder Emotionen entstehen ganz überwiegend durch das räumlich und zeitlich koordinierte Zusammenwirken verschiedener, zum Teil relativ weit voneinander entfernter Hirngebiete, das heißt durch Interaktion in sogenannten Netzwerken. Neue Methoden führen zu einer explosionsartigen Vermehrung von Wissen. Die Hirnforschung der letzten Jahrzehnte hat gezeigt, dass diese Netzwerke sich auch beim Menschen anpassen können.

Diese Neuroplastizität gibt es nicht nur auch beim alten Menschen, sondern sie lässt sich auch gezielt im Alter fördern. Wir wissen heute, dass Musiker ein „anderes“ Gehirn haben, dass sich das gesunde Gehirn (vorübergehend) „optimieren“ lässt  und dass Lernen „im Schlaf“ auftritt.

 

Nachhaltigkeit von Therapiemaßnahmen vorhersagen

Neuroplastizität passt das Netzwerk im Falle einer Schädigung des Gehirns an. Viele neurologische und psychiatrische Krankheiten wie Morbus Parkinson, Schlaganfall, Migräne, Depression, Angsterkrankungen oder Sucht lassen sich als eine Netzwerkstörung beschreiben. Schließlich hat erst die Hirnforschung gezeigt, dass im Falle einer Schädigung eines Teils des Gehirns andere Teile die Funktion für das geschädigte Gebiet übernehmen. Diese Übernahme kann man auch gezielt beeinflussen.

Wenn man die Mechanismen kennt, so ermöglicht diese Kenntnis der gestörten Netzwerkarchitektur ein Vorhersagen über die Nachhaltigkeit von Therapiemaßnahmen. Allerdings muss eine bestimmte Verbindung vom Gehirn zum Rückenmark intakt sein, damit die „forced-usetherapie“ – sprich den „erzwungenen“ Gebrauch der gelähmten Extremität – oder eine elektrische oder magnetische Stimulation der motorischen Hirngebiete langfristig wirkt.

 

Verschiedene Anwendungen nach Schlaganfall

Das Spiegelneuronensystem muss beispielsweise intakt sein, damit die Spiegeltherapie wirkt. Die Spiegeltherapie ist vor allem auch bei Phantomschmerzen bekannt. Im Grunde genommen ist die Neurorehabilitation ist auf dem Weg zur individualisierten Rehabilitation. Die externe Beeinflussung der Netzwerke bei Krankheiten ist ein hochaktueller und vielversprechender Forschungsansatz. Ein weiterer Ansatz trachtet danach, den Patienten das gestörte Netzwerk selbst „reparieren“ zu lassen.

Beim Gesunden werden Gedanken und Wahrnehmung/ Handlungen fortwährend über interne Regelkreise („closed-loops“) im Gehirn abgeglichen. Dadurch sind Verhalten und Hirnaktivität zueinander kongruent. Beim Patienten sind diese geschlossenen Regelkreise unterbrochen, deswegen ist das Verhalten abnormal („Lähmung“, „Sprachstörung“). Da die internen Regelkreise unterbrochen sind, brauchen die Patienten einen externen Ersatz, ein mechanisches Bein, einen Roboter oder ein „Feedback“. Beispielsweise durch Bestätigung oder Korrektur der Therapeuten.

Das Ziel des neuen Ansatzes ist es, ein vorübergehendes Externalisieren zu nutzen, um die gestörten internen Abläufe so zu beeinflussen, dass die Patienten wieder internalisieren. Das heißt, Verhalten und Hirnaktivität wieder kongruent werden zu lassen. Dadurch bleibt der Therapieerfolg nicht auf die Übung selbst beschränkt, sondern wird „generalisiert“.

 

Brain-Computer-Interface Methoden (BCI)

Forscher vom Universitätsklinikum Freiburg versuchen Patienten zu trainieren, einen bestimmten Aktivitätsstatus des Gehirns mit einem bestimmten Sprachstimulus in Einklang zu bringen. Dafür verwenden die Forscher Brain-Computer-Interface Methoden, die ein nahezu online Feedback über den Aktivitätsstatus des Gehirns, zum Beispiel schon während der Intention ermöglichen.

Während des Trainings hört der Patient zuerst einen Satz, dem das letzte Wort (Zielwort, zum Beispiel: Stempel) fehlt. Im Folgenden wird eine Sequenz unterschiedlicher Worte abgespielt, die neben dem Zielwort auch Nicht-Zielworte enthält. Der Patient hat die Aufgabe, aufmerksam zuzuhören, die gehörten Worte mit dem gespeicherten Zielwort zu vergleichen, um das Zielwort zu erkennen und die Nicht-Zielworte zu ignorieren.

 

Interne Gedanken und sensiblen Reiz intern verbinden

Konkret werden von dem BCI-System sogenannte ereigniskorrelierte Potenziale des EEGs (P300 und N200) analysiert, die beim Verarbeiten von Zielwörtern und Nicht-Zielworten beim Gesunden unterschiedlich ausfallen. Das System gibt dem Patienten ein Feedback, ob er die Aufgabe gut gelöst hat (beim richtigen Wort eine der Zielwort entsprechende Hirnaktivität verwendet hat).

Patienten können mit dieser Information nun die erfolgreiche Strategie erkennen und weiter ausbauen, um afferente Prozesse bei Wortwahrnehmung (?) mit efferenten Prozessen synchron und effizient wieder zu verbinden. Das bedeutet, es wird trainiert, interne Gedanken und sensiblen Reiz intern zu verbinden. Der Vorteil gegenüber einem Training mit Therapeuten ist, dass der Patient kein Output generieren muss, und dass die Reaktion von seiner Hirnaktivität abhängig ist.

Dieses intensive und anstrengende Training scheint bei den zehn getesteten Patienten zu einer alltagsrelevanten Verbesserung der gestörten Sprachkompetenz zu führen, die weit über das Trainierte hinausgeht und nicht durch unspezifische Faktoren, wie Aufmerksamkeit oder kognitive Geschwindigkeit bedingt wird. Ein Patient hat sich bereit erklärt, über seine Erfahrungen bei diesem Training zu berichten.


Quelle:

Neuroplastizität bei Schlaganfall 1: Dank gezielter Hirnstimulation wieder gehen und sprechen lernen? Professor Dr. med. Cornelius Weiller, Kongresspräsident der 63. Jahrestagung der DGKN, Präsident der DGKN, Direktor der Neurologischen und Neurophysiologischen Universitätsklinik Freiburg. 63. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGKN. März 2019, Freiburg.

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