Donnerstag, März 28, 2024

Neues zu Ocrelizumab bei MS

Ocrelizumab ist ein gegen B-Lymphozyten gerichteter monoklonaler Antikörper (Anti-CD20) und eine Variante des Krebs- und Rheumamedikaments Rituximab.

Die Zulassung von Ocrelizumab durch die europäische Zulassungsbehörde wird heuer erwartet, wodurch eine Therapieoption zur Verfügung steht, die das Fortschreiten der primär progredienten Multiplen Sklerose (MS) nachweislich verlangsamen kann.

Ocrelizumab reduziert laut aktueller Ergebnisse der ORATORIO-Studie die Zahl der Läsionen im Gehirn und bremst die Krankheitsprogression. „Das ist ein erster Fortschritt, denn der humane monoklonale Antikörper gegen B-Lymphozyten ist das erste Medikament, das überhaupt eine Wirkung bei primär progredientem Verlauf der MS zeigt“, kommentiert Professor Ralf Gold, Direktor der Neurologischen Klinik der Universität Bochum, Past-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und Sprecher des Krankheitsbezogenen Kompetenznetzes Multiple Sklerose (KKNMS), die Studiendaten. Ocrelizumab zerstört B-Zellen, die eine Schlüsselrolle bei der Entstehung typischer MS-Herde im zentralen Nervensystem spielen.

Bereits im vergangenen Herbst konnte Ocrelizumab positive Ergebnisse zeigen. Jetzt wurden die Phase-3-Studien im „New England Journal of Medicine“ publiziert. OPERA 1 und 2 untersuchten die Wirksamkeit von Ocrelizumab beim schubförmig-remittierenden Verlauf, ORATORIO testete den Antikörper bei der primär progredienten Verlaufsform der MS gegen Placebo.

ORATORIO-Studie: Ocrelizumab bremst PPMS

Bei etwa zehn Prozent der MS-Patienten verschlechtern sich die neurologischen Ausfälle und die körperliche Behinderung ab Diagnose kontinuierlich. Bisher stand für die primär progrediente MS (PPMS) kein spezifisches Medikament zur Verfügung. „Wir konnten nachweisen, dass Ocrelizumab auch bei dieser Verlaufsform wirksam ist“, sagt Professor Hans-Peter Hartung, Direktor der Klinik für Neurologie der Universität Düsseldorf und Koautor der ORATORIO-Studie.

Dem internationalen Team um Prof. Dr. Xavier Montalban von der Vall-d’Hebron-Universität in Barcelona gelang es, 732 Patienten mit primär progredienter Multipler Sklerose (PPMS) in die ORATORIO-Studie einzuschließen. Sie erhielten, randomisiert im Verhältnis 2:1, entweder Ocrelizumab (600 mg) oder Placebo als Infusion. Die Behandlung erfolgte alle 24 Wochen über einen Zeitraum von mindestens 120 Wochen. Primärer Endpunkt war eine Krankheitsprogression, die bei Kontrolle nach zwölf Wochen persistierend war, gemessen auf der Standardskala EDSS (Expanded Disability Status Scale), welche MS-bedingte Behinderungen systematisch erfasst.

In der Ocrelizumab-Gruppe verzeichneten die Forscher bei 32,9 Prozent der Patienten eine Krankheitsprogression, in der Placebo-Gruppe bei 39,3 Prozent. Die Hazard Ratio, also das prozentuale Risiko fortschreitender Behinderung, lag bei 0,76 und sprach damit für Krankheitsstabilisierung (95%-Konfidenzintervall: 0,59 bis 0,98). Unter Ocrelizumab verschlechterten Gemeinsame Pressemitteilung von DGN und KKNMS, Seite 2 sich auch weniger Patienten nach 120 Wochen im 25-Meter-Gehtest: 55,1 versus 38,9 Prozent. Gering waren hingegen die Unterschiede in der Lebensqualität, die mittels SF36-Fragebogen erfasst wurden.

Eine Untergruppe der Patienten profitiert

An der ORATORIO-Studie haben jüngere Patienten zwischen 18 und 55 Jahren teilgenommen, deren PPMS-Diagnose weniger als zehn Jahre zurücklag und die im Liquor Entzündungszeichen zeigten. Sie wiesen zu Beginn der Studie EDSS-Scores zwischen 3,0 und 6,5 auf. Patienten, die zuvor mit B-ZellTherapien und anderen immunsuppressiven Medikamenten behandelt worden waren, wurden aus der Studie ausgeschlossen. „Damit blieb eine quasi positiv selektierte Subgruppe von Patienten übrig“, betont Gold. Ocrelizumab sei zwar eine Innovation, aber es sei noch zu früh, um von einem Durchbruch bei der Therapie der progredienten Multiplen Sklerose zu sprechen, so der Neurologe. „Der therapeutische Effekt von Ocrelizumab bei PPMS ist geringer als bei schubförmigremittierenden Verlaufsformen. Aber immerhin: Wir können in Zukunft Patienten mit primär progredienter MS erstmals überhaupt ein wirksames Medikament anbieten.“ Es bleibt momentan abzuwarten mit welchen Kommentaren oder auch Einschränkungen ein Zulassungstext versehen sein wird. Analogieschlüsse für andere B-Zell-depletierende Therapien entsprechen weiterhin einer Nutzung im Off-label-Bereich.

Angriff an den B-Zellen

Ocrelizumab ist ein gegen B-Lymphozyten gerichteter monoklonaler Antikörper (Anti-CD20) und eine Variante des Krebs- und Rheumamedikaments Rituximab. Die meisten MS-Medikamente richten sich gegen T-Zellen. Die Rolle der B-Zellen wurde lange unterschätzt, bis monoklonale CD20-Antikörper, die selektiv B-Zellen zerstören, in klinischen Studien eine Wirksamkeit auf die Entzündungsaktivität bei der MS zeigten. „Die Wirksamkeit von Ocrelizumab belegt, dass B-Zellen auch an der Pathogenese der primär progressiven Multiplen Sklerose beteiligt sind und dass die B-Zell-vermittelte Entzündung eine direkte oder indirekte Rolle bei der Neurodegeneration spielt“, erklärt Hartung.

Wenige Fälle von Tumoren beschrieben

Insgesamt wurde in allen drei Studien Ocrelizumab gut vertragen, es traten keine schwerwiegenden Infektionen auf. Allerdings wurden einige wenige Fälle von Tumoren beschrieben, diese traten häufiger in den Ocrelizumab-Armen auf. In der ORATORIO-Studie kam es bei 2,3 Prozent der Patienten zu Krebserkrankungen (insbesondere Brustkrebs) gegenüber 0,8 Prozent in der PlaceboGruppe. „Dies könnte theoretisch Ausdruck einer verminderten Immunüberwachung des Körpers nach B-Zell-Depletion sein“, sagt Gold. Ob die Tumorentwicklung ein Sicherheitssignal darstellt, müsse die sorgfältige Beobachtung nach Zulassung zeigen, ergänzt Hartung. In ORATORIO kam es unter Ocrelizumab auch zu vermehrten Atemwegsinfektionen und Herpes-simplex-Infektionen. .

Quellen:

 


www.kompetenznetz-multiplesklerose.de

Gemeinsame Pressemitteilung von DGN und KKNMS

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