Freitag, April 19, 2024

Neues Fachbuch für Mediziner zum Thema Fettstoffwechselstörungen

Ein neues Fachbuch für Mediziner gibt einen Überblick über den aktuellen Wissensstand zum komplexen Thema Fettstoffwechselstörungen.

Die hochkarätig besetzte Buchpräsentation eines neuen Fachbuchs für Mediziner zum komplexen Thema Fettstoffwechselstörungen fand am 27. Juni in der Gesellschaft der Ärzte in Wien statt.

 

Fettstoffwechselstörungen – Hauptursache atherosklerotischer Gefäßerkrankungen

Fettstoffwechselstörungen stehen seit einem halben Jahrhundert als Hauptursache atherosklerotischer Gefäßerkrankungen im Zentrum des Interesses. War es seit der Einführung der Statine und der Dokumentation ihrer klinischen Wirksamkeit um das Thema relativ ruhig geworden, konnten rezent neue Erkenntnisse gewonnen und revolutionäre Therapieansätze entwickelt werden. Die international renommierten Lipid-Stoffwechselexperten Helmut F. Sinzinger, Kurt Derfler, Herbert Laimer, Stylianos Kapiotis und Robert Berent haben diese Erkenntnisse und Entwicklungen im Buch „Lipidtherapie in der Praxis – was kann man, muss man, soll man“ zusammengefasst.

Im Rahmen einer hochkarätig besetzten Buchpräsentation wurde die Publikation am 27. Juni im Festsaal des Billrothhauses in der Gesellschaft der Ärzte in Wien vorgestellt. Markus Müller, Rektor der Medizinischen Universität Wien, präsentierte das Buch, die Autoren referierten unter dem Vorsitz von Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen und der Wiener Ärztekammer, über die wichtigsten Aspekte und Erkenntnisse aus dem Buch. Walter Hruby, Präsident der Gesellschaft der Ärzte in Wien, sprach die einleitenden Worte. Zahlreiche Ärztinnen und Ärzte waren der Einladung zur Buchpräsentation gefolgt.

 

Jeder sollte seinen Lp(a)-Wert kennen!

Lipoprotein(a) (Lp[a]) ist im klinischen Alltag ein scheinbar unbekanntes und unterschätztes Molekül. Doch es spielt als unabhängiger kardiovaskulärer Risikofaktor eine große Rolle. Lp(a) kann entzündliche Prozesse in den Blutgefäßen hervorrufen und bereits vorhandene Plaques an den Gefäßwänden destabilisieren. „Die Wertigkeit von Lipoprotein(a) ist weiterhin in der Allgemeinheit weitgehend unbekannt und wird leider auch in der Ärzteschaft unterschätzt. Vor allem die Tatsache, dass auch ein isoliert erhöhtes Lp(a) schon in jungen Jahren zu Gefäßereignissen führen kann. Ebenso ist das Faktum, dass etwa ein Drittel der Lp(a)-Fraktion im Gesamtcholesterin miterfasst wird, weitgehend unbekannt“, so Univ.-Prof. Dr. Helmut F. Sinzinger, Präsident der Triple A – Austrian Apheresis Association und ärztlicher Leiter des Instituts Athos – Institut zur Diagnose und Therapie von Atherosklerose und Fettstoffwechselstörungen.

„Deshalb sollte immer nicht nur das LDL-Cholesterin, sondern auch der Lp(a)-Wert bestimmt werden. Auch das alleinige Vorliegen eines erhöhten Lp(a)-Wertes, bei sonst im Normbereich liegenden (LDL-)Cholesterin-Werten, stellt eine Gefahr für die Entstehung von Atherosklerose und kardiovaskulären Ereignissen dar“, so Sinzinger weiter.

 

Lp(a) aus der Sicht der Labordiagnostik

„Die Standardisierbarkeit der Lp(a)-Tests ist von großer Wichtigkeit“, so Univ.-Prof. Dr. Stylianos Kapiotis, Ärztlicher Leiter und Geschäftsführer LABCON GmbH – medizinisches Diagnostik- und Servicezentrum. „Leider gab es lange keine Standardisierung der verschiedenen Lp(a)-Labortests, was eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse verschiedener Labors schwierig gemacht hat. Inzwischen wurde einerseits ein internationaler Standard verfügbar und damit die Vergleichbarkeit der Tests deutlich verbessert.“

Der Lp(a)-Wert sollte bei Männern und bei Frauen unter 30 mg/dl liegen. Ein Anstieg des kardiovaskulären Risikos beginnt ab Lp(a)-Werten von etwa 25 mg/dl.

Kapiotis: „Leider wird derzeit von verschiedenen Labors/Testherstellern das Ergebnis noch abwechselnd in mg/dl oder molaren Einheiten angegeben, was zu einiger Verwirrung führt. Die Referenzwerte betragen je nach Test dann entweder <30 mg/dl oder <75nmol/l.“

Eine einmalige Bestimmung des Lp(a) ist ausreichend, denn der Lp(a)-Wert ändert sich im Laufe des Lebens nicht signifikant.

 

Lp(a)-Screening – wann sinnvoll?

Alle wesentlichen Diagnostikahersteller haben inzwischen vollautomatisierte Testsysteme auf den Markt gebracht und auch der Analysenpreis ist inzwischen deutlich gefallen, was ein breiteres Screening von Risikopatienten* ermöglicht. Kapiotis: „Empfehlungen der verschiedenen internationalen Fachgesellschaften gehen prinzipiell in die Richtung, dass ein Screening der Allgemeinbevölkerung (noch) nicht empfohlen wird. Stattdessen wird derzeit die Messung besonders bei frühzeitiger KHK bzw. Insult (Schlaganfall) empfohlen. Weiters gibt es Empfehlungen für eine Messung bei klinischen Risikoscores. Eine weitere Zielgruppe für die Lp(a)-Bestimmung sind Patienten mit Nierenerkrankungen bzw. Hämodialysepatienten, weil diese regelmäßig erhöhte Lp(a)-Spiegel aufweisen.“

Und: Treten in einer Familie frühzeitig Gefäßereignisse auf, sollte bei den Kindern der Lp(a)-Wert bereits vor dem 6. Lebensjahr bestimmt werden.[1]

 

Therapeutisches Vorgehen bei erhöhtem Lp(a)-Wert

„Wird eine Hyper-Lp(a)-ämie diagnostiziert – was sehr häufig im Rahmen eines Familienscreenings, nachdem ein Familienmitglied an einem unerwarteten Myokardinfarkt erkrankt ist, geschieht – muss primär das gesamte Spektrum der atherogenen Risikofaktoren evaluiert werden. Generell ist eine Lebensstilmodifikation erforderlich, was zwar nicht zu einer Reduktion des Lp(a)-Spiegels führt, jedoch die Kumulation an Risikofaktoren verhindern kann“, so Univ.-Prof. Dr. Kurt Derfler, Universitätsklinik Interne Medizin III – Klinische Abteilung für Nephrologie und Dialyse, Apherese Station 13 H2.

Mittels derzeit verfügbarer Pharmakotherapie kann Lp(a) und somit das kardiovaskuläre Risiko nicht ausreichend gesenkt werden. Die Lp-Apherese („Blutwäsche“) stellt derzeit die einzige Möglichkeit dar, Lp(a) signifikant zu senken.

Ein neuer Therapieansatz besteht in der Verwendung von PCSK9-Inhibitoren, wobei dies bei extrem erhöhten Lp(a)-Werten die Apherese nicht ersetzen kann. Derfler: „Eine Lp(a)-Bestimmung ist daher vor Beginn einer PCSK9-Hemmertherapie ein MUSS. Längerfristig gibt die Option einer Antikörpertherapie Hoffnung, dass eine Behandlungsalternative zur Lp(a)-Apherese verfügbar sein wird. Hier steht man aber erst am Beginn der klinischen Studien (Viney NJ, Tsimikas S et al. Lancet 2016; 388:2239-2253), die aber sehr vielversprechend sind.“

 

PCSK9-Hemmung: eine der schnellsten Bench-to-Bedside Entwicklungen in der Geschichte der Medizin

Prim. Priv.-Doz. Dr. Robert Berent, ärztlicher Leiter und ärztlicher Direktor Kardiovaskuläres Rehabilitationszentrum, HerzReha Bad Ischl, sprach über die höchst erfolgversprechende Substanzgruppe der PCSK9-Inhibitoren: „Die Protein-convertase-subtilisin/kexin Typ 9, kurz PCSK9, wurde als Schlüsselenzym im Lipidmetabolismus des LDL-Rezeptors identifiziert. Nur etwa zehn Jahre nach der Entdeckung des Wirkmechanismus konnte durch die Entwicklung monoklonaler Antikörper gegen PCSK9 eine beeindruckende LDL-Cholesterinsenkung erzielt werden. Studien zeigen: Vollhumane Antikörper gegen PCSK9 senken effektiv LDL-Cholesterin, Apo B, non-HDL-Cholesterin und in einem geringeren Ausmaß auch Lp(a).“

In der multizentrischen, doppelblinden, placebokontrollierten Outcome-Studie (FOURIER) mit Evolocumab konnte an 27.564 statinbehandelten Patienten (+/– Ezetimib) gezeigt werden, dass sowohl der primäre Endpunkt (kardiovaskulärer Tod, Herzinfarkt, Krankenhauseinweisung aufgrund instabiler Angina pectoris, Schlaganfall oder koronare Revaskularisation) als auch der sekundäre Hauptendpunkt (kardiovaskulärer Tod, nicht-tödlicher Herzinfarkt oder nicht-tödlicher Schlaganfall) signifikant reduziert wurden.

Nach 2,2 Jahren kam es zu einer signifikanten LDL-CH-Reduktion von 59 %, es wurde eine relative Risikoreduktion des primären Endpunktes von 15% sowie des sekundären von 20% erreicht. Unter den erzielten, sehr niedrigen LDL-CH-Werten (Median nach 26 Monaten 30 mg/dl, 42% der Patienten erreichten ein LDL-CH <25 mg/dl) traten keine neuen Unverträglichkeiten auf.

Berent: „PCSK9-Hemmer lassen atherosklerotische Plaques ‚schrumpfen‘. Mit der Phase-III-Studie GLAGOV[2] konnte mittels intravaskulärem Ultraschall erstmals gezeigt werden, dass der PCSK9-Hemmer Evolocumab nach 78 Wochen zu einer signifikant stärkeren Plaque-Regression in den Koronargefäßen führt als eine alleinige Statin-Therapie. Dies traf auch für Patienten mit einem LDL-CH von <70 mg/dl als Ausgangswert zu.“

 

Familiäre Hypercholesterinämie: Rettet die Enkel!

„Wenn ein Patient bei Auftreten der Herzkreislauferkrankung wie Bluthochdruck, periphere arterielle Verschlusskrankheit, koronare Herzkrankheit oder gar Herzinfarkt oder Schlaganfall jünger als 60 Jahre ist, ist der Familienanamnese besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Denn bei diesen jungen Patienten ist sie in mehr als 50 % der Fälle positiv, das heißt, es liegt eine genetische Prädisposition vor“, so Prim. em. Prof. Dr. Herbert Laimer. Gemeinsamer Nenner dieser frühzeitigen Atherosklerose ist nämlich in den allermeisten Fällen eine genetische Fettstoffwechselstörung mit stark erhöhten LDL-C- und/oder Lp(a)-Werten, die Familiäre Hypercholesterinämie (FH). „Die klassische Konstellation dabei lautet: Ein Elternteil des Patienten starb (meist ebenfalls vorzeitig) an einem Myokardinfarkt, sein/e Sohn/Tochter ist nun akut erkrankt, und es gilt nun, die nächste Generation („die Enkel“), aber auch andere Blutsverwandte des Patienten durch frühzeitige Erfassung und Therapie vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren.“

Die heterozygote Familiäre Hypercholesterinaemie hat in Österreich eine Prävalenz von ca. 1:300, d.h. es sind mehr als 25.000 Personen davon betroffen. Unbehandelt sterben 50 % der männlichen und 15 % der weiblichen Betroffenen vor dem 60. Lebensjahr an einer atherosklerotischen Herz-Kreislauferkrankung.

Laimer: „Die FH ist extrem unterdiagnostiziert und untertherapiert. In den meisten Fällen erfolgt die Diagnose einer Fettstoffwechselstörung nur zufällig im Rahmen von Gelegenheitsuntersuchungen oder erst im Zuge eines überstandenen kardiovaskulären Ereignisses wie Herzinfarkt oder Schlaganfall.“

 

Familienanamnese – der billigste „Gentest“

Die beste Methode für die Erfassung einer genetischen Hyper-/Dyslipidaemie ist ein Familienscreening aller Blutsverwandten eines jungen kardiovaskulären Patienten. Mit der Erkennung eines solchen Indexpatienten lassen sich aufgrund des dominanten Erbgangs etwa 50% der Familienangehörigen als Betroffene identifizieren – und der notwendigen Behandlung zuführen!

Laimer: „Die Familienanamnese entspricht somit einem einfachen und ausgesprochen billigen Gentest. Mit ihrer Erfassung und dem anschließenden Familienscreening können eine frühe Diagnose gestellt und frühe atherosklerotische Gefäßerkrankungen verhindert werden. Das Motto muss also lauten: Prävention statt Reparatur!“

 

[1] Berent T, Berent R, Karkutli E, Derfler K, Auer J, Sinzinger H; Journal für Kardiologie – Austrian Journal of Cardiology 2015; 22 (5-6), 115-118
[2] GLobal Assessment of plaque reGression with a PCSK9 antibOdy as measured by intraVascular ultrasound

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