Freitag, April 26, 2024

Neue Leitlinie zum Beschleunigungstrauma der Halswirbelsäule

Die neu überarbeitete DGN-Leitlinie zum Beschleunigungstrauma der Halswirbelsäule, HWS, soll chronischen Beschwerden entgegenwirken helfen.

Unter dem Strich gehören Auffahrunfälle zu den häufigsten Ursachen für ein Beschleunigungstrauma der Halswirbelsäule, HWS, umgangssprachlich Schleudertrauma oder Peitschenschlagsyndrom. Eigentlich ist das keine große Sache, sollte man meinen. Nach ein paar Tage lang Nackenschmerzen ist alles vergessen. Doch zwölf von 100 Betroffenen haben noch sechs Monate nach dem Unfall Beschwerden, eine Chronifizierung ist also kein seltenes Phänomen. Die neue Leitlinie zum Beschleunigungstrauma der Halswirbelsäule, thematisiert deshalb erstmals auch Mechanismen der HWS-Schmerzchronifizierung. Zusätzlich haben die Leitlinienautoren unter Federführung von Prof. Martin Tegenthoff, Bochum, die Darstellungen zur Pathophysiologie, zu Untersuchungsverfahren und zu Therapieempfehlungen erweitert.

 

Nackenschmerzen und Nackensteife nach einem Auffahrunfall

Ein unaufmerksamer Moment, der nachfolgende Wagen fährt auf, wenig später schmerzt der Nacken. Häufig stuft man ein Beschleunigungstrauma der Halswirbelsäule als leicht bis moderat ein. Zudem bleiben schwere Verletzungsfolgen in der Regel aus.

Dennoch: Es kommt zu Muskelkater ähnliche Nackenschmerzen und Nackensteife, was für die Betroffenen sehr unangenehm sein kann. Denn neben den Schmerzen kann es auch zu Schwindel, Tinnitus (Ohrensausen) oder Kopf- und Kieferschmerzen kommen.

Was genau die Schmerzen und Begleitsymptome auslöst, ist nicht abschließend geklärt. In der Bildgebung wie Computertomographie oder Kernspintomographie sind in der Regel keine Verletzungen sichtbar, weshalb die Expertinnen und Experten von einer entzündlich-reparativen Gewebereaktion nach der mechanischen Gewebeschädigung ausgehen.

Bei den meisten Betroffenen gehen die Beschwerden nach einigen Tagen zurück. „Doch bei einem Teil der Patientinnen und Patienten werden diese Beschwerden chronisch“, erklärt Prof. Dr. Martin Tegenthoff, Bochum, federführender Autor der neu überarbeitete DGN-S1-Leitlinie Beschleunigungstrauma der Halswirbelsäule. Chronisch, so definiert es die neue Leitlinie, heißt, dass die Beschwerden über sechs Monate anhalten. „Während der Großteil der Betroffenen spätestens nach einem Monat wieder ‚fit‘ ist und keine Beschwerden mehr hat, muss leider konstatiert werden, dass etwa 12% der Patientinnen und Patienten nach sechs Monaten noch nicht beschwerdefrei sind“, so der Experte.

Die Gefahr der Chronifizierung von Schmerzen in Folge einer HWS-Beschleunigungsverletzung ist also gegeben. Wobei die Leitlinie zum Beschleunigungstrauma der Halswirbelsäule daher auch auf Strategien fokussiert, die einer Chronifizierung der Schmerzen entgegenzuwirken. So sollten ein traumatisches Erleben des Unfalls beispielsweise im Sinne einer akuten Belastungsreaktion nach dem Unfall ebenso wie psychische Störungen in der Vorgeschichte vom behandelnden Arzt mit erfasst werden. Denn hierbei handelt es sich um Risikofaktoren für die Entwicklung chronischer Schmerzen.

 

Deutlich höheres Risiko für chronische Schmerzerkrankungen bei Menschen mit psychischen Begleiterkrankungen

Psychische Komorbiditäten sollte man abklären und gegebenenfalls behandeln. Beispielsweise sind Menschen mit Depression deutlich gefährdeter, chronische Schmerzerkrankungen zu erleiden. „Für eine erfolgreiche Therapie spielen Verhalten, Erwartungen und Einstellungen des Patienten, aber auch des Therapeuten eine wesentliche Rolle. Es ist deshalb wichtig, auf bestimmte Risikofaktoren zu achten: etwa dysfunktionale Schmerzbewältigungsstrategien oder eine depressive Stimmungslage“, erklärt Prof. Tegenthoff.

 

Neue Leitlinien empfehlen interdisziplinäre multimodale Therapie des Bbeschleunigungstraumas der Halswirbelsäule

Wenn es zu einem langwierigen und komplizierten Verlauf kommt, dann empfehlen die neuen Leitlinien zum Beschleunigungstrauma der Halswirbelsäule eine interdisziplinäre multimodale Therapie. Dabei sollte man dann die medikamentöse Behandlung, beispielsweise mit Antidepressiva, und eine kognitive Verhaltenstherapie sowie die Physiotherapie kombinieren. „Zwar fehlen noch definitive Wirksamkeitsbeweise des multimodalen Ansatzes. Aber die Erfolge in der Praxis sind sehr gut, so gut, dass auch viele Unfallversicherer zu dieser Therapie, die aktuell überwiegend in Spezialambulanzen und Schmerzkliniken angeboten wird, raten.“


Literatur:

Tegenthoff M. et al., Beschleunigungstrauma der Halswirbelsäule, S1-Leitlinie, 2020, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien 


Quelle:

Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN)

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