Freitag, April 19, 2024

Neue Antibiotika gegen neue Infektionen entwickeln

Die Ursachen für die Resistenzproblematik und die Schwierigkeiten in der Antibiotika-Forschung, neue Antibiotika zu entwickeln, sind vielfältig.

Antibiotika haben mehr als jede andere Gruppe von Medikamenten, zur Verlängerung der Lebenserwartung der Menschen beigetragen. Sie wirken schnell und führen in der Regel zur vollständigen Heilung. Auch in der Infektionsprophylaxe finden sie breiten Einsatz; ohne Antibiotika ist moderne Medizin nicht denkbar. Ihre Wirksamkeit wird jedoch durch die zunehmende Selektion und Verbreitung von resistenten Bakterien immer stärker eingeschränkt. Gleichzeitig werden neue Antibiotika seltener entwickelt.

Neue Antibiotika wurden in den letzten Jahrzehnten auch deutlich seltener zugelassen. Neue Substanzklassen mit neuen Wirkmechanismen, die ohne bereits vorhandene Resistenzprobleme zum Einsatz kommen könnten, sind praktisch nicht mehr entwickelt worden oder konnten sich am Markt nicht etablieren. Dabei sind die Ursachen für Antibiotikaresistenzen und die Schwierigkeiten in der Antibiotika-Forschung und bei der Entwicklung neuer Antibiotika sind vielfältig – sowohl aus ökonomischer sowie wissenschaftlicher Sicht.

Antibiotika sind vergleichsweise sehr kostengünstige Medikamente; Preise für Tagesdosen, wie sie z.B. in der Tumorbehandlung üblich sind, können am Markt nicht erzielt werden; selbst der Einsatz von deutlich besser wirksamen Medikamenten (z.B. Vergleich Vancomycin mit neuen Glycopeptid-Antibiotika) unterbleibt häufig aus Kostengründen. Die hohen Entwicklungskosten bei unklarer Gewinnperspektive – auch unter dem Aspekt, dass neue Antibiotika eher der Reserve dienen sollen – ist der wesentliche Grund dafür, dass sich die Pharmazeutische Industrie aus der Antibiotika-Entwicklung zurückgezogen hat.

Dazu beigetragen haben aber auch hohe Fehlinvestitionen in Forschungsstrategien, wie Targetbasierte Discovery Programme mit synthetischen Substanzbibliotheken. Dieser in manchen Bereichen der Wirkstoffforschung durchaus erfolgreiche Ansatz wurde ohne die notwendige Berücksichtigung spezifischer Aspekte der Bakterien-Biologie auf die Suche nach neuartigen Antibiotika übertragen und blieb ohne nennenswerte Erfolge.

Für derartige Strategien ist vorab intensive Grundlagenforschung erforderlich. Auf diesem Hintergrund zeichnen sich zwei Entwicklungen ab: 1) In den letzten Jahren wurden bereits einige neue Medikamente zugelassen, die kurzfristig Problemlösungen bieten. Neuartige Glycopeptid-Antibiotika wie Orita- und Dalbavancin oder Oxazolidinone (Tedizolid) sind wirksam gegen Gram-positive Problemkeime wir MRSA, VISA und VRE. Die größten Herausforderungen stellen zurzeit die ESBL (extended spectrum beta-lactamasen) und Carbapenemasen produzierenden Gram-negativen Erreger dar, die, wenn sie auch noch mehrere Effluxpumpen besitzen (Pseudomonaden, Acinetobacter, etc), panresistent werden können. Aber auch hier sind erste Medikamente zugelassen worden wie Ceftobiprol und Ceftazidim-Avibactam, die bestimmte Lücken schließen können. Diese neuen Antibiotika zeigen den momentanen Trend in der Entwicklung auf: Mit bewährten Methoden der Medizinalchemie werden bekannte Antibiotika-Klassen wie Fluorchinolone, Tetrazykline und Aminoglycoside und sogar Polymyxine bearbeitet und weiter entwickelt. Vor allem aber sind es neue Betalactame (Cephalosporine, Carbapeneme) und Kombinationen von Betalactamen mit Betalactamase-Inhibitoren, die in den Phasen II und III der klinischen Prüfung gute Ergebnisse zeigen.

 

Neue Antibiotika-Klassen in öffentlichen Forschungseinrichtungen entwickelt

Diese Entwicklungen werden aufgrund der bedrohlichen Resistenzsituation z.T. in hohem Maße durch die öffentliche Hand (z.B. IMI-Förderung der EU) und durch Stiftungen angestoßen und gefördert. Damit können die dringendsten Probleme gelöst werden, doch steht zu erwarten, dass diese Substanzen einer ähnlich schnellen Resistenzentwicklung wie die bisherigen Medikamente aus diesen Substanzklassen unterliegen werden. 2)

Aus diesem Grund und für längerfristige Lösungen muss nach neuen Substanzklassen mit neuartigen Wirkmechanismen gesucht werden. Diese frühe Phase der Antibiotika-Forschung, die durch eine äußerst hohe Ausfallrate gekennzeichnet und daher finanziell sehr risikoreich ist, findet praktisch ausschließlich im akademischen Umfeld, an Forschungsinstituten und im Biotech-Sektor statt.

Im Gegensatz zu den Target-basierten Suchansätzen der letzten zwei Dekaden, werden wieder überwiegend Ganz-Zell Screening Verfahren eingesetzt und Naturstoffe und neue Produzentenstämme rücken vermehrt in den Focus. In der Fachliteratur erscheinen zunehmend Berichte über neue Antibiotika-Klassen, die regelmäßig auf großes öffentliches Interesse stoßen (z.B. Teixobactin).

Im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) sind zwei neue Antibiotika-Klassen in sehr frühen Phasen der Bearbeitung, doch derartige Substanzen brauchen meist mehr als 10 Jahre, bis sie auf den Markt gelangen könnten, abgesehen von der hohen Ausfallrate im Verlauf der präklinischen Entwicklung.

Dennoch werden auch neue Antibiotika-Klassen ihre Wirksamkeit verlieren, wenn nicht gleichzeitig intensiv an neuen Behandlungsschemata und Einsatzstrategien geforscht wird, die verstärkt den Selektionsdruck hin zur Resistenzentwicklung im Blick haben. Resistenz ist im Sinne der Evolution eine natürliche Folge der Anwendung und die Faustregel, je stärker der Einsatz von Antibiotika desto schneller die Resistenzentwicklung, hat durchaus Gültigkeit. Deshalb ist es dringend geboten, ergänzende Methoden zu erforschen, die z.B. im Bereich Prophylaxe den Einsatz an Antibiotika reduzieren könnten (Immunisierungen, Immunstimulation, etc.); auch im Bereich der Tierhaltung scheinen alternative Methoden (Phagen, Bacteriocine, etc.) denkbar die sich für den Humanbereich nicht eignen.

Quelle:

Statement » Antibiotikaentwicklung in Zeiten neuer Infektionen « von Prof. Dr. Hans-Georg Sahl, Universitätsklinikum Bonn, Institut für Pharmazeutische Mikrobiologie zum 124. Internistenkongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e. V. – dgim2018.

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