Donnerstag, März 28, 2024

Nachwuchs für die Chirurgie begeistern

Die Grundbegeisterung für die Chirurgie bleibt hoch, die veränderte Arbeitswelt führt aber zu rückläufigen Bewerberzahlen um chirurgische Ausbildungsstellen.

Ob in der Fachliteratur oder Allgemeinpresse das Thema Nachwuchsmangel ist omnipräsent. Auch wenn die Ärzte und Chirurgenzahlen nach Erhebungen der Ärztekammern in den letzten Jahren gering gestiegen sind: Steigende Patientenzahlen mit Behandlungsbedarf und veränderte Arbeitszeiten haben zu einem wahrgenommenen Ärztemangel in Klinik und Praxis geführt. Eine partielle Deckung des Ärztebedarfs für die Chirurgie erfolgt zurzeit auch über eine Rekrutierung von ausländischen Kollegen, vorwiegend aus südlichen EU-Ländern oder aus außereuropäischen Ländern. Dies ist mit sprachlichen Problemen im Klinikalltag und mit der ethischen Problematik der Abwerbung von Fachkräften aus unter Umständen strukturschwächeren Ländern verbunden.

Der Ärztemangel ist regions- und versorgerspezifisch unterschiedlich ausgeprägt. Größere Institutionen in Ballungszentren sind prinzipiell weniger von Nachwuchsmangel betroffen als ländliche Krankenhäuser oder Praxen. Auch ist mancherorts zusätzlich ein Ost-West-Gefälle merkbar. Darüber hinaus sollen fachliche Qualifikation, Lern- und Arbeitsmotivation, so die Erfahrung von Kollegen, abhängig von der Region und der Struktur (Größe) der Institution bei den Berufsanfängern unterschiedlich ausgeprägt sein. Ein Motivationsmissstand wird den neuesten Erhebungen zufolge von der überwältigenden Mehrheit der befragten Chefärzte und leitenden Ärzte deutschlandweit beklagt. Unabdingbar zur Sicherung der Versorgung in den chirurgischen Disziplinen ist die Gewinnung von begeistertem, talentiertem Nachwuchs.

 

Grundbegeisterung für Chirurgie zu Studienbeginn hoch

Die Absicht der Studierenden, eine chirurgische Ausbildung zu beginnen, ist zum Studienbeginn hoch. Sie liegt je nach Studie bei 40 bis 60 Prozent und sinkt im Laufe des Studiums bis zum Beginn des praktischen, letzten Studienjahres (PJ) auf niedrige zweistellige Werte und erreicht erschreckende einstellige Werte nach dem PJ, wie Umfragen mit allerdings nicht unerheblichem Bias und eingeschränkten Teilnehmerzahlen zeigen (vergleiche Via medici, PJ-Umfrage 2014). Als Gründe werden unter anderem schlechte Betreuung und ein mangelnder Lehrwert angeführt. Dies wird bestätigt durch aktuelle Studien, die zeigen, dass bei über 70 Prozent der Medizinstudierenden die spätere Facharztwahl maßgeblich im PJ beeinflusst und getroffen wird. Das abnehmende Interesse der Studierenden an unserem schönen Fach im Laufe des PJ ist somit sicherlich auch durch den ersten konkreten Einblick in den Arbeitsalltag und dessen Belastungen, aber auch durch die Weiterbildungssituation des Nachwuchses zu erklären (vergleiche Gartmeier et al., Dtsch Ärzteblatt 2017).

 

Was ist dem studierenden Nachwuchs also besonders wichtig?

Sowohl aus der Erfahrung, kleineren Umfragen vor Ort, aber auch größeren Studien lassen sich verschiedene Kernpunkte ableiten, welche die Studierenden als notwendige Qualitäten für ihr späteres Berufsbild definieren:

  • kollegiale Zusammenarbeit,
  • Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten,
  • ausgeglichene individuell definierte „Work-Life-Balance“,
  • Familienfreundlichkeit,
  • geregelte Arbeitszeiten,
  • Arbeitsplatzsicherheit,
  • aber auch der Arbeitsplatzstandort.

Darüber hinaus lässt sich der potenzielle Nachwuchs durch zusätzliche Veranstaltungen, die über den reinen Studieninhalt hinausgehen, in seiner Berufswahl nachhaltig beeinflussen, wie exemplarisch Programme wie „Nur Mut! Kein Durchschnittsjob: ChiurgIn“ des Berufsverbands der Deutschen Chirurgen (BDC) oder auch Studierendentage in chirurgischen Fachdisziplinen, allen voran der Tag der Studierenden, Vorklinik und die Summer School der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU), eindrucksvoll unter Beweis stellen konnten.

Bei allem Fokus auf die Rekrutierung von Studienabsolventen für die Chirurgie darf auch nicht versäumt werden, die Begeisterung für das Fach der bereits in der Weiterbildung befindlichen Assistentinnen und Assistenten zu erhalten. Die heutigen jungen Kollegen müssen die bis zum Jahr 2030 entstehende, von PWC und WifOR auf über 20 Prozent geschätzte Lücke von unbesetzten Facharztstellen auffüllen. In aktuellen Umfragen des BDC stufen diese Kollegen ihre Weiterbildungsqualität allerdings als nur befriedigend ein, nur in 30 Prozent der Fälle achte das Krankenhaus auf die Einhaltung der Regeldauer der Weiterbildungszeit, nur in einem Viertel der Fälle ist das Thema Fort- und Weiterbildung Teil der Unternehmensstrategie zur Mitarbeitergewinnung und 73 Prozent der Umfrageteilnehmer sehen ihre Ausbildungssituation negativ durch die wirtschaftliche Situation ihres Krankenhauses beeinflusst. Die daraus resultierende Unzufriedenheit stellt gleich ein mehrschichtiges Dilemma dar: Die betroffenen Kollegen wandern ab/aus, mitunter leidet auch die Versorgungsqualität unter der Unzufriedenheit und letztendlich wird mit vorgelebter Unzufriedenheit die Berufswahl der Studierenden negativ beeinflusst. Dies ist ein Erklärungsansatz für die im Verlauf des Studiums und besonders im PJ stetig fallende Zahl von chirurgiebegeisterten Studierenden.

Möglichkeiten, hier die Motivation der in Weiterbildung befindlichen Kollegen zu steigern, sind unter anderem eine strukturierte Weiterbildung zu ermöglichen, transparente Operationseinteilungen zu gewährleisten, Fortbildungsmaßnahmen zu unterstützen, Arbeitszeiten planbar zu gestalten und darüber hinaus noch familienfreundlich zu sein. Entsprechende Maßnahmen könnten (berufs-)politisch durch verbindliche Weiterbildungscurricula durchgesetzt werden. In unterschiedlicher Ausprägung wird dies, inklusive der Familienfreundlichkeit, bereits durch verschiedene innovative Krankenhäuser erfolgreich umgesetzt. Ohne externe Regulation entsteht um die Bewerber ein zunehmender Markt, wie bereits aus anderen Branchen bekannt. Dann werden sich Häuser, welche auf die Bedürfnisse der Weiterzubildenden eingehen, durchsetzen können, während andere mit insgesamt weniger und auch weniger qualifiziertem Nachwuchs arbeiten müssen. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Grundbegeisterung für das reine Fach Chirurgie nach wie vor hoch ist, dass aber die veränderte Arbeitswelt mit ihren Rahmenbedingungen sowie die gesteigerte Arbeitsbelastung durch zunehmenden Behandlungsbedarf zu Unzufriedenheit und zu rückläufigen Bewerberzahlen um chirurgische Ausbildungsstellen führen. Gute Studienabsolventen für ein chirurgisches Fach zu begeistern und die Passion Chirurgie für ein Berufsleben zu erhalten, erfordert neue Wege in der Weiterbildung, aber auch in der Mitarbeiterführung und der strukturellen Ausgestaltung des Arbeitsumfeldes unter Berücksichtigung moderner Vorstellungen zur individuellen Arbeits- und Lebensgestaltung.

Weiterzubildenden eingehen, durchsetzen können, während andere mit insgesamt weniger und auch weniger qualifiziertem Nachwuchs arbeiten müssen. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Grundbegeisterung für das reine Fach Chirurgie nach wie vor hoch ist, dass aber die veränderte Arbeitswelt mit ihren Rahmenbedingungen sowie die gesteigerte Arbeitsbelastung durch zunehmenden Behandlungsbedarf zu Unzufriedenheit und zu rückläufigen Bewerberzahlen um chirurgische Ausbildungsstellen führen. Gute Studienabsolventen für ein chirurgisches Fach zu begeistern und die Passion Chirurgie für ein Berufsleben zu erhalten, erfordert neue Wege in der Weiterbildung, aber auch in der Mitarbeiterführung und der strukturellen Ausgestaltung des Arbeitsumfeldes unter Berücksichtigung moderner Vorstellungen zur individuellen Arbeits- und Lebensgestaltung.

Quelle:

Statement » Für die Chirurgie begeistern – Wie soll der Funke auf unseren Nachwuchs überspringen? « von Dr. med. Benedikt Braun, Perspektivforum Junge Chirurgie der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH); Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum des Saarlandes zum 135. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie

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