Donnerstag, April 25, 2024

Mutterkuchen essen: wie sinnvoll sind die Inhaltsstoffe der Plazenta für junge Mütter?

Den Mutterkuchen, die Plazenta, nach der Geburt zu essen, soll bei Frauen vor allem gegen Wochenbett-Depressionen helfen, zudem die Milchproduktion ankurbeln sowie die jungen Mütter rasch wieder fit machen.

Zum Thema Mutterkuchen (Plazenta) essen gibt es immer mehr eingehende qualitative Untersuchungen. Und zwar vor allem zu den Beweggründen für die Praxis, der zunehmenden Popularität sowie der narrativen Einbindung in Diskurse um „ideale“ natürliche und medizinische Geburten. Im Grunde genommen beschreiben jedenfalls viele Print-Magazine und Internetplattformen vollmundig die Vorteile davon, den Mutterkuchen, die Plazenta, zu essen. Und zwar von jungen Müttern nach der Geburt. Denn das Mutterkuchen essen soll die Milchproduktion ankurbeln und vor allem gegen Wochenbett-Depressionen helfen. Außerdem soll es die Mütter dabei unterstützen, dass sie schneller wieder fit werden.

 

Effekte des Mythos Mutterkuchen essen wissenschaftlich untersucht

Die Einnahme der Plazenta durch die Mutter nach der Geburt (Plazentophagie, Mutterkuchen essen) wird seit den 1970er Jahren im globalen Norden praktiziert. Wobei es sich offenbar wachsender Beliebtheit erfreut. Es ist nicht bekannt, dass die Plazentophagie der Mutter in anderen Zeiträumen oder Kulturen praktiziert wurde. Obwohl sie bei anderen Säugetieren mit Plazenta nahezu allgegenwärtig ist.

Nicht nur in esoterischen Kreisen findet man Anhängerinnen von Mutterkuchen essen. Ob als Plazenta roh, getrocknet, als Smoothie oder in Globuliform: was ist dran an diesen Mythen? Vieles was man darüber weiß, ist wissenschaftlich nicht belegt. Es gibt dazu wenige Studien. Übrigens ist Plazentophagie der Fachbegriff für das Mutterkuchen, Plazenta, essen.

 

Hormonelle Zusammensetzung der Plazenta, die das Kind im Mutterleib mit Nährstoffen, Vitaminen und Hormonen versorgt

Der etwa 500 Gramm schwere Mutterkuchen wird nach dem Kind als Nachgeburt geboren, die Plazenta hat in diesem Moment seine Aufgabe erfüllt. Für die Analysen haben die Forschende der Universität Jena sechs Plazenten von komplikationslosen Geburten ausgewählt. Um mögliche Risiken des Plazentaverzehrs aufzuspüren, haben die Wissenschaftler die Organe auch mikrobiologisch auf mögliche bakterielle Verunreinigungen untersucht. Parallel dazu ging es darum, wie sich die Verarbeitung der Plazenta nach traditionellen Methoden – zum Beispiel durch Trocknen oder Pulverisieren – auf die Hormonkonzentration auswirkt.

Man weiß, dass die Plazenta eine enorme Menge an unterschiedlichen Hormonen produzieren kann. Das Interesse der Forscherinnen konzentrierte sich auf einen kleineren Teil. Neben Sexualhormonen wie Östrogen und Progesteron auch Hormone, die die Milchbildung fördern und Stressreaktionen des Organismus regulieren wie Oxytocin. Dieses „Kuschelhormon“ steuert den Milchspendereflex und regt die Rückbildung der Gebärmutter an. Außerdem sorgt es dafür, dass zwischen Mutter und Kind eine Bindung entsteht. Zudem soll ja Mutterkuchen essen stressmindernd und entspannend wirken.

Aufschlussreich waren die Messergebnisse beim Vergleich der verschiedenen Verarbeitungsmethoden der Plazenten. Der Hormongehalt sank beispielsweise beim Verarbeiten gemäß der traditionellen chinesischen Medizin zum Beispiel deutlich.

 

Bringt das Mutterkuchen, Plazenta, essen nach der Geburt einen Placeboeffekt?

Unter dem Strich stellt sich jedenfalls die Frage, was von dem in Erfahrungsberichten von Frauen geschilderten positiven Effekt durch die Einnahme von Plazentapulver wirklich zu halten ist. Möglicherweise handelt es sich dabei um einen sehr guten Placeboeffekt. Wie der Organismus der Frauen die Wirkstoffe beim Mutterkuchen essen aufnimmt, konnte man in einer reinen Plazenta-Laborstudie bislang nicht klären.

Eine rezente Veröffentlichung im British Medical Magazine identifiziert schließlich die Motivation für die Plazentophagie. Wobei die vor allem erhoffte medizinische Vorteile sind. Und zwar am häufigsten die Vorbeugung oder Behandlung von postnataler Depression (Wochenbett-Depressionen). Hingegen ist aber auch Ekel eine häufige Reaktion.

Die zunehmende Popularität der Praxis Mutterkuchen essen führen Wissenschaftler teilweise auf die vergleichsweise schmackhafte Kapselung der Plazenta zurück. Weiter konnte die Nutzung von Informationen im Internet zum Abbau von Barrieren führen. Dabei sind Elternforen wichtige Plattformen, um verschiedene Geburtspraktiken, einschließlich der Plazentophagie, zu besprechen. Schließlich bauen werdende Mütter Gemeinschaften auf, um über persönliche Erfahrungen, medizinische Beweise und körperliche Argumente zu diskutieren.

Die aktuell vorhanden Daten unterstützen jedenfalls nicht die Annahme, dass die das Mutterkuchen essen die Stimmung, Energie, Laktation oder den Vitamin-B 12 -Spiegel im Plasma bei Frauen mit Stimmungsstörungen verbessert.


Literatur

Johnson SK, Pastuschek J, Benyshek DC, Heimann Y, Möller A, Rödel J, White J, Zöllkau J, Groten T. Impact of tissue processing on microbiological colonization in the context of placentophagy. Sci Rep. 2022 Mar 29;12(1):5307. doi: 10.1038/s41598-022-09243-4. PMID: 35351937; PMCID: PMC8964728.

Botelle R, Willott C. Birth, attitudes and placentophagy: a thematic discourse analysis of discussions on UK parenting forums. BMC Pregnancy Childbirth. 2020 Mar 6;20(1):134. doi: 10.1186/s12884-020-2824-3. PMID: 32138706; PMCID: PMC7059278.

Morris E, Slomp C, Hippman C, Inglis A, Carrion P, Batallones R, Andrighetti H, Austin J. A Matched Cohort Study of Postpartum Placentophagy in Women With a History of Mood Disorders: No Evidence for Impact on Mood, Energy, Vitamin B12 Levels, or Lactation. J Obstet Gynaecol Can. 2019 Sep;41(9):1330-1337. doi: 10.1016/j.jogc.2019.02.004. Epub 2019 May 2. PMID: 31056278.

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Johnson SK, Groten T, et. al. Human placentophagy: Effects of dehydration and steaming on hormones, metals and bacteria in placental tissue. PLACENTA, 2018; 67:8-14 DOI: 10.1016/j.placenta.2018.05.006


Quelle: Klinik für Geburtsmedizin, Universitätsklinikum Jena

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