Freitag, März 29, 2024

Muskelkrämpfe und Wadenkrämpfe Therapie mit Chinin bzw. Chininsulfat effektiv

Muskelkrämpfe und besonders schmerzhafte nächtliche Wadenkrämpfe kann eine Therapie mit Chinin beziehungsweise Chininsulfat wirksam bekämpfen.

Unter dem Strich können Muskelkrämpfe und Wadenkrämpfe die Lebens- und Schlafqualität stark beeinträchtigen. Leider hilft dagegen wenig. Und die altbewährten Maßnahmen wie Dehnen und die Einnahme von Magnesium sind nicht bei allen Patienten wirksam. Wenn häufige, langanhaltende und stark schmerzende Muskelkrämpfe und Wadenkrämpfe Menschen das Leben zur Qual machen, dann können Medikamente mit Chinin beziehungsweise Chininsulfat als Therapie zum Einsatz kommen. In einer aktuellen Studie erwiesen sie sich als wirksam und nebenwirkungsarm.

 

Wadenkrämpfe und Muskelkrämpfe – wer kennt das nicht?

Im Grunde genommen treten Muskelkrämpfe und Wadenkrämpfe treten plötzlich und unerwartet auf. Und zudem können sie höllische Schmerzen bereiten. Meistens hält der Spuk allerdings nicht lange an. Deswegen besteht im Prinzip kein (Be-)Handlungsbedarf. Es sei denn, die Muskelkrämpfe und Wadenkrämpfe treten häufig oder sogar sehr häufig auf.

Ein Wadenkrampf entsteht nicht in der Muskulatur. Er ist also kein muskuläres Problem, wie viele denken, sondern ein neurologisches. Ausgelöst werden Muskelkrämpfe durch spontane Depolarisierungen der Nervenmembranen. Es bilden sich Aktionspotenziale aus, also Nervenimpulse, die dann im Endeffekt zu einem „Erregungssturm“ im Muskel führen.

 

Risikofaktoren

Elektrolytverschiebungen können die Reizbarkeit der Nerven, die den Muskel umgeben, erhöhen und die Entstehung von Krämpfen begünstigen. Das könnte auch der Grund sein, warum mehr Menschen im Sommer Wadenkrämpfe bekommen. Denn man schwitzt mehr und trinkt manchmal nicht genug. Es gibt aber noch weitere Risikofaktoren.

Ist beispielsweise die aus Myelin bestehende Schutz- bzw. Isolierschicht der Nervenfasern schon etwas dünner oder geschädigt, ist das Risiko für solche krampfauslösenden Impulsentladungen höher. Eine solche Demyelinisierung kann durch unterschiedliche Erkrankungen wie z.B. die diabetische Polyneuropathie oder Schilddrüsenerkrankungen hervorgerufen werden, aber auch durch verschiedene Medikamente, Alkohol oder Vitamin B-Mangel. Es liegt auf der Hand, dass sie im Alter häufiger sind als bei jungen gesunden Menschen, weshalb auch Wadenkrämpfe bei älteren Menschen häufiger auftreten.

 

Hinzu kommen mechanische Auslöser

Senkt man die Zehenspitzen nach unten, so dass sich der Wadenmuskel verkürzt, dann kann es leichter zu Wadenkrämpfen kommen. Das ist beispielsweise der Fall, wenn der Fuß durch eine schwere Bettdecke heruntergedrückt wird oder in High-Heels steckt. „Warum das so ist, wissen wir nicht genau. Es ist wahrscheinlich so, dass durch Gewebsverschiebungen die empfindlichen Nervenendstrecken im Muskel unter Druckspannung geraten, was die elektrischen Entladungen begünstigt“, erklärt Dr. Rainer Lindemuth, Siegen, Erstautor der S1-Leitlinie Crampi/Muskelkrampf [1] der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. „Beugt man den Fuß in die Gegenrichtung und streckt den Wadenmuskel, löst sich der Krampf. Die Akutempfehlung lautet daher, den verkrampften Muskel zu dehnen bzw. seinen Gegenspieler anzuspannen.“

 

Magnesium und Dehnübungen

Zur Vorbeugung empfiehlt die Leitlinie regelmäßige passive Dehnübungen der Wadenmuskulatur (z.B. durch Vorbeugen des Körpers im Stand, ohne dass die Fersen den Bodenkontakt verlieren), allerdings schreiben die Autoren, dass die Wirksamkeit in verschiedenen Studien unterschiedlich bewertet wurde, eine klare Evidenz also fehlt. Ebenso wird die Einnahme von Magnesium empfohlen, obwohl die Wirksamkeit nicht ausreichend belegt ist. „Ein Therapieversuch sollte aber in jedem Falle unternommen werden. Magnesium führt an der Muskelmembran zu einer Stabilisierung und reduziert Aktionspotenziale, die Kontraktionen im Muskel auslösen.

Viele Patienten berichten, dass es bei ihnen die Neigung zu Muskelkrämpfen lindert. Wenn es nicht überdosiert wird, ist Magnesium außerdem unbedenklich und hat keine Nebenwirkungen“, so der Experte. „Aufpassen müssen lediglich Menschen mit eingeschränkter Nierenfunktion, sie sollten vor der Dauereinnahme mit ihrem behandelnden Nephrologen sprechen.“

 

Leitlinienempfehlung überdenken

Wenn die Muskelkrämpfe mit diesen Maßnahmen nicht in den Griff zu bekommen sind und die Lebens- und Schlafqualität stark beeinträchtigen, sollte der Weg zum Arzt erfolgen. Er führt dann eine genaue Diagnostik durch. Erst wenn alle behandelbaren Ursachen ausgeschlossen wurden und eine Therapie mit Magnesium versucht wurde, sollte eine Therapie mit Chinin oder Chininsulfat gegen häufige und sehr schmerzhafte Muskelkrämpfe und Wadenkrämpfe eingesetzt werden. So lautet die derzeitige Leitlinienempfehlung.

 

Nächtliche Wadenkrämpfe: Therapie mit Chininsulfat wirksam bei wenigen Nebenwirkungen

Diese könnte nun aber überholt sein. Eine aktuell in der Fachzeitschrift „MMW – Fortschritte der Medizin“ publizierte multizentrische, nicht interventionelle Studie [2] bestätigte die Wirksamkeit und Verträglichkeit der Therapie mit Chininsulfat im Versorgungsalltag bei erwachsenen Patienten, die sehr häufig oder besonders schmerzhafte nächtliche Wadenkrämpfe erdulden müssen.

„Anzahl, Dauer und Schmerzintensität der nächtlichen Wadenkrämpfe hatten bei der Mehrzahl der Patienten abgenommen und das Nebenwirkungsprofil war tolerabel. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen traten bei 35/592 Patienten auf. Schwere unerwünschte Arzneimittelwirkungen überhaupt nicht. Ich denke, es ist möglich, diese Präparate weniger restriktiv einzusetzen, als es die Leitlinien derzeit vorsehen“, erklärt Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Erstautor der aktuellen Studie.


Literatur

[1] https://www.dgn.org/leitlinien/3402-030-037-crampi-muskelkrampf-2017#empfehlungen

[2] Diener H-C, Baurecht W. Chininsulfat in der Therapie nächtlicher Wadenkrämpfe: Verträglichkeit, Compliance, Lebensqualität und Einfluss auf Symptome. MMW 2019, Sonderheft 6/2019.


Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie

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