Freitag, April 19, 2024

Welche Mechanismen den Prozess des Alterns beeinflussen

Der Prozess des Alterns und seine Mechanismen sollen das Überleben der unsterblichen Keimzellen von Generation zu Generation sichern.

Hat das Soma – die Gesamtheit der Körperzellen – die Sicherung der genetischen Information geleistet, so ist ein weiteres Über­leben des Individuums für die Erhaltung der Art nicht mehr notwendig. Manche Autoren sprechen in der Forschung der Mechanismen des Alterns deshalb von einem Wegwerfsoma. Im Gegensatz zur Entwicklungsbiologie ist Altern ein nicht gerichteter Prozess im ­Sinne eines genetischen Programms. Es ist bedingt durch ein Leben über die Garantiezeit des Körpers hinaus.

Hat das Soma – die Gesamtheit der Körperzellen – die Sicherung der genetischen Information geleistet, so ist ein weiteres Über­leben des Individuums für die Erhaltung der Art nicht mehr notwendig.

Die Garantiezeit des Somas ist durch die ökologische Nische, die eine Spezies in freier Wildbahn besetzt, bestimmt und ist durch den Zeitraum definiert, welche eine Spezies zur Fortpflanzung zur Verfügung hat.

Beim Menschen war dies über lange entwicklungsgeschichtliche Zeiten mit der Mitte des 4. Lebensjahrzehnts begrenzt, da mit spätestens 40 Jahren bis zu 3/4 der Bevölkerung verstorben und damit der evolutionäre Selektionsdruck zur weiteren Erhaltung der Fortpflanzungsfähigkeit des Somas nicht mehr gegeben war.

 

Körperliche Funktionen nicht auf Langlebigkeit selektioniert

Körperliche Funktionen sind nicht auf Langlebigkeit unter geschützten Bedingungen, wie sie der selbst domestizierte Mensch der Neuzeit vorfindet, selektioniert.

Funktionsverluste mit der Zeit kommen durch Akkumulation von molekularen Schäden der Zelle zustande. Diese betreffen Bausteine der Zelle wie Proteine, DNA und Lipide.

Für einige dieser Schäden gibt es Reparaturmechanismen (DNA-Reparatur, Proteinturnover…), welche jedoch einen beträchtlichen Energieaufwand erfordern. Dieser Energieaufwand ist jedoch nur auf jenen Zeitraum evolutionär selektioniert, in dem Überlebens- bzw. Fortpflanzungschancen bestanden.

In freier Wildbahn hatten die Vorfahren des heutigen Menschen über lange Zeiträume hinweg durch widrige Lebensumstände eine viel geringere Lebenserwartung und damit auch nur einen kurzen Zeitraum zur erfolgreichen Vermehrung zur Verfügung.

Die bedeutet aber nun, dass der heutige Mensch mit der Genausstattung des Frühmenschen, zwar über Reparatur- und Erhaltungsmechanismen des Somas ausgestattet ist, deren Effizienz jedoch ab dem 4. Lebensjahrzehnt rapide nachlässt. Der Mensch ist in dieser Hinsicht auf seine frühere ökologische Lebensnische selektioniert.

 

Eine verbesserte DNA-Reparatur hätte früher nur Energieressourcen verbraucht

Eine beispielsweise verbesserte DNA-Reparatur, die sich nur auf wenige überlebende Individuen im höheren Alter positiv ausgewirkt hätte, hätte in früheren Zeiten nur Energieressourcen verbraucht, welche in feindlicher Umwelt zur Fortpflanzung und zur Aufrechterhaltung der Körpertemperatur notwendig gewesen wären.

Die in ihrer Effektivität unvollkommenen Reparaturmechanismen laufen während des Lebens über die Garantiezeit des Somas weiter, können aber die Akkumulation von Schäden nicht verhindern. Neben den charakteristischen biochemischen enzymatisch gesteuerten und damit umkehrbaren Reaktionen laufen im Körper auch nicht-enzymatische fast irreversible chemische Prozesse ab (Verzuckerung der Proteine, Oxidationen), für die es keine oder nur wenig effiziente Reparatur- und Abbaumechanismen gibt.

Die Schäden durch Umwelteinflüsse wie chemische Noxen (Zellgifte in Nahrung und Luft) und physikalische Belastungen (radioaktive Strahlung, Wärme, Scherkräfte, UV-Strahlung) sowie zelluläre Strukturen/Mechanismen, die sich erschöpfen (z.B. Telomere), betreffen die wichtigsten Bausteine und damit auch funktionelle Strukturen der Zelle DNA, Proteine und Lipide.

 

Schädigung von Mitochondrien durch oxidativen Stress

Daneben gibt es intrinsische schädigende Prozesse der Zelle, beispielsweise die Schädigung von Mitochondrien durch die Sauerstoffradikale aus der Zellatmung (oxidativer Stress). Vor diesem allgemeinen Hintergrund der evolutionären, molekularen und zellulären Ursachen der Alterung, ergibt sich ein anderes Bild der Wertigkeit einzelner Gewebe, Organe und Steuerungssysteme für das Altern und der Möglichkeiten des Eingriffs Alterungsprozesse aufzuhalten oder zu modulieren.

Es gibt einige Theorien zum Altern, die einzelne Regulations- oder Schutzsysteme wie das Hormonsystem oder das Immunsystem in das Zentrum zur Beeinflussung des Prozess des Alterns rücken, es wird jedoch darauf vergessen, dass das Altern ein multifaktorieller Vorgang mit unterschiedlichen Mechanismen ist, wobei funktionelle Veränderungen beispielsweise im Hormonsystem nur Ausdruck zellulärer/molekularer Schäden sind.


Literatur:

Wick G, Berger P, Jansen-Dürr P, Grubeck-Loebenstein B. A Darwinian-evolutionary concept of age-related diseases. Exp Gerontol. 2003;38(1-2):13-25. doi:10.1016/s0531-5565(02)00161-4

Wick G, Jansen-Dürr P, Berger P, Blasko I, Grubeck-Loebenstein B. Diseases of aging. Vaccine. 2000;18(16):1567-1583. doi:10.1016/s0264-410x(99)00489-2


Quelle:

Mechanismen des Alterns. Univ.-Prof. Dr. Peter Berger. MEDMIX 03/2005

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