Donnerstag, April 18, 2024

Magensäurehemmer und Allergie: Zusammenhang kritisch gesehen

Deutsche Experten sehen keinen evidenten Zusammenhang zwischen Magensäurehemmer und Allergie. Ihre Kritik gilt einer aktuellen Nature-Studie.

Eine rezente österreichische Studie zeigt unlängst einen möglichen Zusammenhang zwischen Magensäurehemmer und Allergie auf. Die Forscher untersuchten dabei, ob verschiedene Magensäurehemmer-Wirkstoffklassen mit erhöhten Verordnungsraten für antiallergische Medikamente korrelierten. Dies stieß auf starke Kritik bei der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS). Dort sahen die Experten keinen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Magensäurehemmer und der Entwicklung von Allergien bestätigt. Denn die in Nature Communications veröffentlichte Arbeit basiere allein auf Daten österreichischer Krankenversicherungen und beziehe fast keine Diagnosedaten mit ein. Außerdem würden Patienten mit gesicherter Indikation für eine Magensäurehemmer-Therapie unnötig verunsichert werden. Allerdings betonen die Deutschen Gastroenterologen auch, dass Patienten freiverkäufliche Magensäurehemmer nicht ohne Absprache mit dem Hausarzt über längere Zeiträume einzunehmen.

 

Magensäurehemmer häufig verordnet

Bekanntlich kann eine übermäßige Magensäureproduktion Symptome wie Sodbrennen, saures Aufstoßen, Schmerzen im Oberbauch sowie Schluckbeschwerden auslösen. Wobei auch Husten, Heiserkeit und asthmaartige Beschwerden eine Magensäureüberlastung verursachen können. Schätzungen gehen davon aus, dass ein Viertel der Bevölkerung in Deutschland davon betroffen ist. Alle therapeutischen Vorgehensweisen und Medikamente sind daher besonders in den Blick zu nehmen. Im Falle der Magensäurehemmer geschieht das seit vielen Jahren und sehr systematisch über wissenschaftliche Studien.

 

Kritik an Studie zum angeblichen Zusammenhang Magensäurehemmer und Allergie

Anlass der Kritik war die österreichische Studie, die zu der Aussage kam, dass Magensäurehemmer und Allergie in Zusammenhang stehen. Und zwar soll die Einnahme von das Risiko, eine Allergie zu entwickeln, vergrößern. Unter dem Strich kritisieren Experten im Wesentlichen vier Aspekte der Studie.

Einerseits haben die Wissenschaftler darin unterschiedliche Pharmaka untersucht. Das waren Sucralfate, die praktisch ohne Einfluss auf den pH-Wert im Magen sind. Weiter H2-Blocker, die als mäßig aktive Säurehemmer einzustufen sind. Und schließlich starke Magensäurehemmer – die bekannten Protonenpumpenhemmer (PPI).

Im Grunde genommen soll laut der Studieergebnisse alle Substanzen das Allergie-Risiko erhöhen. „Somit ergibt sich keine Korrelation zum Grad der Säurehemmung. Daher ist fragwürdig, ob die Säurehemmung überhaupt im Zusammenhang mit der Allergieentstehung zu sehen ist“, so Professor Koop.

Andererseits stütze sich die Analyse mit Blick auf die Allergieentstehung nur auf die Verschreibung von Medikamenten, die mutmaßlich das Vorhandensein einer Allergie anzeigen sollen. Daten zu Allergie-Diagnosen selbst lagen nicht vor. Auch das ist nach Ansicht des Experten ein Schwachpunkt. Denn beispielsweise waren Medikamente wie Phenothiazine in die Studie einbezogen, die in erster Linie als Neuroleptika bei neurologisch-psychiatrischen Krankheiten eingesetzt. Jedenfalls verschreibt man diese Wirkstoffe heute nur noch im Einzelfall bei Allergien. Im Grunde genommen sei die Medikamentverschreibung nicht geeignet, um daraus die Ursache für weitere, neu aufgetretene Krankheiten wie hier Allergien abzuleiten.

 

Zusätzliche Informationen über die Patienten nicht berücksichtigt

Außerdem sei in der Studie nicht hinreichend unterschieden worden, um welche Allergien es überhaupt ging. Zudem fehlte ein weiterer für Datenbank-Analysen unverzichtbarer Aspekt. Denn zusätzliche Informationen über die Patienten, auch „confounding factors“ genannt, berücksichtigte die Studie nicht. Es ist wissenschaftlich gesichert, dass sich Patienten, die beispielsweise einen PPI einnehmen, deutlich von anderen Patienten unterscheiden. Sie sind in aller Regel älter, haben mehr Begleiterkrankungen, nehmen mehr Medikamente. Dieser Einfluss konnte in der aktuell veröffentlichten Studie nicht evaluiert werden. Weil die Untersucher offensichtlich keinen Zugang zu diesen wichtigen Daten bezüglich der Medikation – oder besser noch zu Diagnosedaten – hatten.

 

Fazit

Die DGVS-Experten betonen, dass die Studie aufgrund ihres Designs und der Datenlage keine Aussage treffen kann, ob zwischen Magensäurehemmer und Allergie ein Zusammenhang besteht. Beziehungsweise ob die Säurehemmung das Entstehen von Allergien begünstigen kann.

Die Wirksamkeit von PPI sind durch Studien nachgewiesen. Diese haben zu klaren Indikationen und Handlungsempfehlungen in deutschen und internationalen Leitlinien geführt. Wie bei jedem anderen Medikament sollte bei Verordnung eines PPI eine vom Arzt sorgfältig erhobene Diagnose und bestätigte Indikation vorliegen. Daher empfiehlt die DGVS dringlich, freiverkäufliche Magensäureblocker ohne Absprache mit dem Hausarzt nicht länger als 14 Tage einzunehmen.


Literatur:

Galateja Jordakieva, Michael Kundi, Eva Untersmayr, Isabella Pali-Schöll, Berthold Reichardt, Erika Jensen-Jarolim. Country-wide medical records infer increased allergy risk of gastric acid inhibition. Published: 30 July 2019. Nature Communicationsvolume 10, Article number: 3298 (2019)

Koop H, Fuchs KH, Labenz J et al. S2k-Leitlinie: Gastroösophageale Refluxkrankheit unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS): AWMF Register Nr. 021/013. Zeitschrift für Gastroenterologie 2014;52:1299–1346.

Koop H: Verordnungspraxis und Risiken von Protonenpumpeninhibitoren – Fiktion und Fakten. Zeitschrift für Gastroenterologie 2018; 56:264-274


Quelle: Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS)

Related Articles

Aktuell

Zirkulierende Tumorzellen beim kleinzelligen Lungenkarzinom kultivieren

Wichtig zur Klärung der Metastasierung: Forscher gelang es, zirkulierende Tumorzellen beim kleinzelligen Lungenkarzinom zu kultivieren. Die Forschung zum kleinzelligen Lungenkarzinom (SCLC), einer besonders aggressiven Form...
- Advertisement -

Latest Articles

Individuelle Beratung zur Ernährung für Krebspatienten

Beratung zur Ernährung für Krebspatienten: Verbesserung der Lebensqualität durch individuelle ernährungsmedizinische Unterstützung. Eine rechtzeitige und individuell angepasste Beratung zur Ernährung kann wesentlich zur Verbesserung der...

Warum HIV trotz Kombinationstherapie höchst aktiv sind

Neue Herausforderungen in der HIV-Behandlung sind, dass aktive HI-Viren trotz Kombinationstherapie weiterhin aktiv bleiben. Die HIV-Kombinationstherapie, eingeführt in den 1990er Jahren, gilt als Meilenstein in...

Partnerschaft mit Diabetes-Patienten: auch die Partner profitieren von Einbeziehung

Den Partner in die Diabetes-Behandlung zu integrieren, verbessert die Partnerschaft und das gemeinsame Wohlbefinden. Diabetes Typ-2 stellt nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für...