Mittwoch, April 24, 2024

Lysetherapie bei Schlaganfall bei speziellen Patienten auch nach 4,5 Stunden sinnvoll

Auch nach dem gängigen Zeitfenster von 4,5 Stunden profitieren spezielle, mittels Bildgebung identifizierte Patienten von der Lysetherapie bei Schlaganfall.

Wenn durch ein Blutgerinnsel akut verstopftes Hirngefäß eine Mangeldurchblutung (Ischämie) des entsprechenden Gehirnareals verursacht, entwickelt sich ein ischämischen Schlaganfall. Um dann bleibende Schäden zu vermeiden, mussten Experten bisher innerhalb von maximal 4,5 Stunden die Blutversorgung wiederherstellen. Dies geschieht durch Entfernung und Auflösung des Gerinnsels, wobei man hierzu medikamentös die intravenöse Lysetherapie bei Schlaganfall einsetzt. Allerdings erreichen viele Patienten nicht rechtzeitig genug eine spezialisierte Klinik mit Schlaganfallstation, der sogenannten Stroke Unit. Eine aktuelle Studie konnte allerdings unlängst zeigen, dass man mittels spezieller Bildgebung auch nach diesem Zeitfenster noch Patienten identifizieren kann, die von einer Lysetherapie bei Schlaganfall profitieren können.

 

Der ischämische Schlaganfall

In den meisten Fällen verursacht ein Blutgerinnsel, ein Thrombus, einen ischämische Schlaganfall durch den akuten Verschluss einer Gehirnarterie. Man spricht auch von einem Hirninfarkt. Hingegen ist beim wesentlich selteneren hämorrhagischen Schlaganfall eine Hirnblutung die Ursache.

Wenn eine Hirnregion nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird, kommt es zur Schädigung von Gehirngewebe oder zum Absterben von Zellen im Gehirn. Die Therapie besteht dann darin, die Blutversorgung möglichst bald wiederherzustellen, um zumindest eine Zunahme des Infarktes zu verhindern.

 

Die intravenösen Lysetherapie bei Schlaganfall soll das Blutgerinnsel auflösen

Mit der intravenösen Lysetherapie bei Schlaganfall wird der Thrombus medikamentös aufgelöst. Ärzte sprechen dabei von einer Rekanalisation. Bei Verschlüssen großer Hirnarterien, wo oft eine Lyse nicht ausreichend wirkt, kann in spezialisierten Kliniken mittels eines Kathetereingriffes im Gefäß eine Entfernung des Thrombus erfolgen (interventionelle Thrombektomie).

Im Grunde genommen bestand ein Zeitfenster von ungefähr 4,5 Stunden für die intravenöse Lysetherapie bei Schlaganfall. Für den Nutzen einer späteren Behandlung gab es keinen Nachweis.

Deswegen konnte kann man sehr viele Patienten auch nicht lysieren, weil man diese nicht schnell genug in eine entsprechend spezialisierte Klinik, einer Stroke Unit, bekam.

Unter dem Strich erhalten beispielsweise nur etwa 20% aller Patienten mit Schlaganfall in Deutschland Leitlinien entsprechend im bewährten Zeitfenster mit einer Lysetherapie behandelt.

Schwierig ist die Situation besonders bei Patienten, bei denen der Zeitpunkt des Schlaganfalls nicht bekannt ist. Und zwar weil er beispielsweise im Schlaf auftrat. Dabei spricht man auch von Wake-up-Strokes. In der WAKE-UP-Studie konnten Ärzte dazu bereits zeigen, dass allerdings viele dieser Schlaganfall-Patienten deutlich von einer Lysetherapie profitieren können.

 

Zeitfenster im Blickpunkt: Metaanalyse zur Lysetherapie bei Schlaganfall häufiger möglich

Ein unlängst in der renommierten Fachzeitschrift „The Lancet“ publizierten Metaanalyse untersuchte, ob man mit einer speziellen Bildgebung diejenigen Schlaganfall-Patienten identifiziert werden können, die auch in einem größeren Zeitfenster von einer Lysetherapie profitieren können. Die Diagnostik zeigt dabei durch Darstellung der Durchblutung des Gehirn bestehende Chance auf, auch wenn der Schlaganfall schon länger als 4,5 Stunden zurückliegt.

Die Studie erfolgte anhand von einzelnen Daten zu Patienten aus den drei Studien „EXTEND“, „ECASS4-EXTEND“ und „EPITHET“. Es handelt sich dabei um Studien mit Patienten in einem Alter ab 18 Jahren mit ischämischem Schlaganfall. Die Betroffenen wurden randomisiert mit dem Thrombolyse-Medikament Alteplase oder mit Placebo behandelt, obwohl ihr Symptombeginn länger als 4,5 Stunden zurücklag.

Dabei hatten alle eine spezielle bildgebende Diagnostik mit einem sogenannten Schlaganfall-MRT (Perfusions-Diffusions-MRT) oder ein Perfusions-CT erhalten, um das Ausmaß des Infarkts sowie „Risikogewebe“ darzustellen. Das heißt man untersuchte zusätzlich gefährdetes, minderdurchblutetes Hirngewebe.

 

Die Ergebnisse im Detail

Primär erfasst wurde das funktionelle Ergebnis (Outcome) nach drei Monaten. Wobei das bestmögliche Ergebnis ein mRS-Score (“modified Rankin scale“) mit einem Wert von 0-1 war. Das entspricht einer vollständigen oder fast vollständigen Rückbildung der neurologischen Ausfälle. Die Patientengruppen waren hinsichtlich Alter und klinischem Schweregrad der Symptome adjustiert worden.

Das Sicherheitsprofil umfasste als wichtigstes Outcome Todesfälle und Einblutungen in das Infarktareal, zu denen es im Rahmen der Lysetherapie bei Schlaganfall durch die „Blutverdünnung“ kommen kann.

Von insgesamt 414 Patienten hatten 213 (51%) eine Lysetherapie erhalten und 201 (49%) Placebo. In der Lyse-Gruppe erreichten 36% der Patienten das primäre Outcome (mRS-Score 0-1), in der Placebogruppe dagegen nur 29%. Damit war die Chance (odds ratio=OR), ein optimales funktionelles Ergebnis zu erreichen, in der Lysegruppe fast doppelt so hoch (OR 1,86, p=0,011) wie in der Placebogruppe.

Schließlich waren Einblutungen durch den Infarkt unter einer Lyse signifikant häufiger als bei der Behandlung mit Placebo. Hierzu 5% versus weniger als 1%, OR 9,7). Dabei verstarben 18 von 201 (9%) der Patienten in der Gruppe mit Placebo. In der Lysegruppe 29 von 213 (14%). Der Unterschied war statistisch nicht signifikant (p=0,66). Deswegen schlussfolgern die Autoren der Arbeit, dass der Gesamtnutzen das Risiko des beschriebenen Vorgehens überwiegt.

 

Blutungsrisiko versus Lysetherapie

Im Grunde genommen muss man natürlich das Blutungsrisiko immer gut gegen den möglichen Nutzen der Lysetherapie abwiegen. Beispielsweise kann ein erhöhtes Risiko bestehen, wenn der Patient sehr alt ist. Oder wenn der Erkrankte bereits früher schon einen Schlaganfall oder eine Hirnblutung hatte. Aber auch bei nicht ausreichend eingestelltem Bluthochdruck oder einer Blutungsneigung beziehungsweise einer Gerinnungsstörung ist das Risiko für Komplikationen höher. Das gilt schließlich auch, wenn bereits blutverdünnende Medikamente eingenommen werden.

Dazu zeigt eine neue Studie, dass bei Patienten mit ischämischem Schlaganfall, die einen systemischen rekombinanten Gewebeplasminogenaktivator (rt-PA) erhalten, das Risiko einer Sekundärblutung nur bei 1 bis 7% liegt. Konzentrate mit Fibrinogen sind eine sichere therapeutische Option. Damit kann man den Fibrinogenspiegel bei Patienten mit akutem ischämischem Schlaganfall und einer mit der Thrombolyse zusammenhängenden Blutung wiederherstellen.

 

Time is Brain

Im Grunde genommen kann die für einen Schlaganfall spezifische Bildgebung mittels MRT oder CT bestimmte Risikopatienten identifizieren. Und zwar jene, die bei einem ischämischen Schlaganfall auch nach über viereinhalb, bis maxmial neun, Stunden beziehungsweise bei unbekanntem Zeitfenster noch von einer Lysetherapie profitieren können. Denn die bildgebenden Untersuchungen zeigen, ob noch minderdurchblutete Gehirnareale vorhanden sind, die das Risiko der späten Lyse rechtfertigen.

Natürlich gilt nach wie vor, dass Patienten mit Schlaganfall so schnell wie möglich in eine geeignete Spezialklinik müssen. Experten sprechen von »Time is Brain«. Im Grunde genommen unterstreicht deswegen das Zeitfenster von 4,5 Stunden nach wie vor die Dringlichkeit einer Lysetherapie bei Schlaganfall. Jedenfalls sollte man auch bei Verdacht auf Schlaganfälle, die unbemerkt über Nacht aufgetreten sein könnten, umgehend den Rettungsdienst rufen.


Literatur:

Wang Y, Xiao J, Zhao L, Wang S, Wang M, Luo Y, Liang H, Jin L. The Frequency and Associated Factors of Asymmetrical Prominent Veins. A Predictor of Unfavorable Outcomes in Patients with Acute Ischemic Stroke. Neural Plast. 2021 Sep 17;2021:9733926. doi: 10.1155/2021/9733926. PMID: 34567108; PMCID: PMC8463180.

Barra ME, Feske SK, Sylvester KW, et al. Fibrinogen Concentrate for the Treatment of Thrombolysis-Associated Hemorrhage in Adult Ischemic Stroke Patients. Clin Appl Thromb Hemost. 2020;26:1076029620951867. doi:10.1177/1076029620951867

Thomalla G, Simonsen CZ, Boutitie F et al.; WAKE-UP Investigators. MRI-Guided Thrombolysis for Stroke with Unknown Time of Onset. N Engl J Med 2018; 379 (7): 611-22

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Ma H, Parsons MW, Christensen S, et al. A multicentre, randomized, double-blinded, placebo-controlled Phase III study to investigate EXtending the time for Thrombolysis in Emergency Neurological Deficits (EXTEND). Int J Stroke. 2012;7(1):74-80. doi:10.1111/j.1747-4949.2011.00730.x

Ma H, Campbell BCV, Parsons MW, et al. Thrombolysis guided by perfusion imaging up to 9 hours after onset of stroke. N Engl J Med 2019; 380: 1795–803

Amiri H, Bluhmki E, Bendszus M, et al. European Cooperative Acute Stroke Study-4: extending the time for thrombolysis in emergency neurological deficits ECASS-4: ExTEND. Int J Stroke 2016; 11: 260–67

Ringleb P, Bendszus M, Bluhmki E, et al. Extending the time window for intravenous thrombolysis in acute ischemic stroke using magnetic resonance imaging-based patient selection. Int J Stroke. 2019;14(5):483-490. doi:10.1177/1747493019840938

Davis SM, Donnan GA, Parsons MW, et al. Effects of alteplase beyond 3 h after stroke in the Echoplanar Imaging Thrombolytic Evaluation Trial (EPITHET). A placebo-controlled randomised trial. Lancet Neurol 2008; 7: 299–309


Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie

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