Donnerstag, April 25, 2024

Lungenentzündungen werden häufiger

Lungenentzündungen sollen weltweit laut WHO bis ins Jahr 2030 auf den dritten Platz der weltweit häufigsten Krankheiten vorrücken.

Lungenentzündungen können derzeit nicht verlässlich behandelt werden. Dies liegt auch daran, dass die Mechanismen der Krankheitsentstehung noch nicht vollständig entschlüsselt sind. Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig und der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg untersuchen deshalb Lungenentzündungen in Mäusen und haben dabei eine interessante Entdeckung gemacht: Durch die Entzündung werden vermehrt schützende Antikörper auf die Lungenschleimhaut transportiert und bewahren die Lunge so besser vor gefährlichen Erregern als in einer gesunden Lunge. Diese Erkenntnis könnte langfristig vielen Lungenpatienten zugutekommen.

Chronische Bronchitis, Sarkoidose, Lungenemphysem – all diese Erkrankungen haben eines gemeinsam: Die betroffenen Patienten leiden unter chronischen Lungenbeschwerden. Die Ursachen dafür können sehr vielfältig sein und reichen von langjährigem Tabakkonsum über feinstaubbelastete Luft bis hin zu intensivem Kontakt zu offenem Feuer – etwa beim täglichen Kochen –, was über die Hälfte der Weltbevölkerung betrifft. „In vielen Fällen kommt es dadurch zu einer fortschreitenden Zerstörung des Lungengewebes, für die die Medizin derzeit keine Heilung hat“, sagt Prof. Dunja Bruder vom Institut für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene der Otto-von- Guericke-Universität Magdeburg. Bruder ist gleichzeitig Leiterin der Forschungsgruppe „Immunregulation“ am HZI.

Das vorgeschädigte Lungengewebe bietet außerdem oft keinen effektiven Schutz mehr gegen Krankheitserreger. So sind diese Patienten besonders anfällig für teils lebensbedrohliche Atemwegsinfektionen. „Allerdings gibt es auch eine weitere Gruppe von Lungenpatienten, die von diesen Infektionen oft komplett verschont bleibt. Offenbar sind diese Betroffenen trotz ihrer chronischen Lungenerkrankung besser geschützt“, sagt Bruder.

Der Ursache dieses Phänomens ist Dr. Julia Boehme, Wissenschaftlerin in Bruders Labor, möglicherweise auf die Spur gekommen. Sie untersuchte Mäuse mit chronisch entzündeten Lungen und achtete dabei besonders auf die löslichen Komponenten auf der Lungenschleimhaut. Diese Untersuchungen erfolgten in enger Kooperation mit der HZI-Arbeitsgruppe „Zelluläre Proteomforschung“ von Prof. Lothar Jänsch. „In den betroffenen Mäusen konnten wir eine viel höhere Konzentration von sekretorischen Antikörpern auf der Lungenschleimhaut feststellen als in gesunden Tieren“, sagt Boehme.

Die Antikörper sind im besonderen Maße in der Lage, sich an ein breites Spektrum von Krankheitserregern anzuheften, bevor diese ihre schädliche Wirkung entfalten und in den Körper eindringen können. In der Studie stellte sich heraus, dass lungenkranke Mäuse einen erhöhten Schutz gegenüber einer Infektion mit Streptococcus pneumoniae aufwiesen. Streptokokken gehören zu den wichtigsten bakteriellen Erregern von Atemwegsinfektionen. Um diesen Befund zu erklären, suchten die Wissenschaftler nach dem Grund für die erhöhte Immunabwehr in der Lunge. „In unseren Versuchen konnten wir nachweisen, dass ein bestimmtes Transportprotein mit dem Namen pIgR (polymerer Immunglobulin-Rezeptor) in einer entzündeten Lunge in verstärktem Maße auf Lungenepithelzellen produziert wird“, sagt Boehme. „Das Protein ist dafür bekannt, sekretorische Antikörper aus dem Lungengewebe in den Innenraum der Lungenbläschen zu transportieren.“ Somit fanden die Wissenschaftler in Mäusen mit chronischer Lungenentzündung genau dort mehr schützende Antikörper, wo viele Atemwegserreger in den Körper einzudringen versuchen.

Chronische Lungenentzündungen scheinen dabei für die erhöhte Produktion des Antikörper-Transporters pIgR verantwortlich zu sein. Die Forscher hoffen nun auf einen neuen Erklärungsansatz für das Rätsel um die beiden Patientengruppen. „Es könnte sein, dass das Ausmaß der Produktion dieses Transportproteins auf der Lungenschleimhaut die Patientengruppen unterscheidet“, sagt Dr. Andreas Jeron, ein weiterer an der Studie beteiligter Wissenschaftler aus Bruders Labor. „Möglicherweise kann die eine Gruppe Infektionen durch einen erhöhten Antikörperschutz auf ihrer Lungenschleimhaut abwehren, während die andere Gruppe schutzlos ist.“

Gleichzeitig warnt Dunja Bruder aber vor zu viel Pauschalisierung: „Die Schwierigkeit besteht darin, dass jeder Patient individuell untersucht werden muss. Auch um zu verstehen, welcher Schweregrad der chronischen Lungenentzündung vorliegt. Es ist anzunehmen, dass eine schwach ausgeprägte Entzündung in der Lunge gleichzeitig besser vor Infektionen schützt, während bei schweren Entzündungsverläufen dieser Schutz nicht mehr zum Tragen kommt.“

In zukünftigen Untersuchungen wollen die Forscher nun herausfinden, ob sich die pIgR-Produktion – und damit auch der Antikörpertransport in die Lungenbläschen – durch gezielte Behandlungen künstlich steigern lässt. Dadurch würde zwar die ursprüngliche Lungenentzündung nicht gemildert werden, gegen verschiedene Erreger von Atemwegsinfektionen könnte dieser Ansatz aber für viele Patienten einen prophylaktischen Schutz bedeuten.

Originalpublikation:

J. D. Boehme, S. Stegemann-Koniszewski, A. Autengruber, N. Peters, J. Wissing, L. Jänsch, A. Jeron, D. Bruder: Chronic lung inflammation primes humoral immunity and augments antipneumococcal resistance. Scientific Reports, 2017, DOI: 10.1038/s41598-017-05212-4

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