Dienstag, April 23, 2024

Lichtempfindlichkeit der Netzhaut wiederherstellbar

Lichtempfindlichkeit der Netzhaut bei blinden Mäusen und Hunden durch chemischen bzw. gentherapeutischen Ansatz wiederhergestellt.

Dank einer neuartigen Gentherapie ist es US-amerikanischen Wissenschaftern gelungen, blinden Mäusen wieder genügend Lichtempfindlichkeit zu verleihen, um zwischen blinkendem und nicht blinkendem Licht zu unterscheiden. Und dem nicht genug, auch in die Lichtempfindlichkeit der Netzhaut von Hunden konnte durch die Therapie wiederhergestellt werden – beste Voraussetzungen für zukünftige klinische Studien, um zu testen ob dieses Verfahren auch beim Menschen auf die gleiche Art wirkt wie bei Mäusen bzw. Hunden.

Mittels eines viralen Transportvektors, wird ein für einen Ionenkanal kodierendes Gen, in normalerweise blinde Zellen der Netzhaut eingesetzt. Denn im Gegensatz zu lichtempfindlichen Photorezeptorzellen, die aufgrund bestimmter Erkrankungen, wie z.B. die vererbbare Retinitis pigmentosa, absterben, überleben diese „blinden“ Zellen. Nach Einbringung des Gens, werden sogenannte „Photoswitches“ – d.h. Chemikalien die ihre Struktur bei Lichteinfall ändern – an die Ionenkanäle gekoppelt. Fällt Licht auf diese Moleküle, öffnen sie die Ionenkanäle und verändern so das elektrische Milieu der Zelle. Dadurch reagieren diese Netzhautzellen auf ähnliche Weise wie die Sehzellen. Sie werden aktiviert, ihr elektrisches Signal kann von Nerven weitergeleitet werden und auf diese Weise die ansonsten fehlenden Lichtempfindlichkeit wiederherstellen.

Retinitis pigmentosa betrifft Menschen aller Altersgruppen und führt zu einem sukzessiven Verlust der Sehkraft. Im Zuge der Erkrankung sterben Netzhautzellen allmählich ab, in der Regel zunächst die Stäbchen. Erst später werden auch die Zapfen in Mitleidenschaft gezogen. Je nachdem, welcher Bereich der Netzhaut durch das Absterben betroffen ist, kommt es zu diversen Funktionseinbußen. Zu den Hauptmerkmalen zählen Einengung des Gesichtsfeldes, gestörtes Dämmerungssehen und Nachtblindheit, verlängerte Anpassungszeit an unterschiedliche Lichtverhältnisse und Störungen des Kontrastsehens, Blendungsempfindlichkeit sowie Störung des Farbsehens. Alleine in Amerika sind etwa 100.000 Menschen betroffen.

In einer im Fachjournal Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlichten Studie, berichten Wissenschafter der University of California, Berkeley und der School of Veternary Medicine der University of Pennsylvania über die Erfindung der sogenannten Photoswitch Therapie, wodurch es gelang, blinden Mäusen ihre Orientierungsfähigkeit wiederzugeben. Gleichermaßen erfolgreich zeigte sich das Verfahren auch in Bezug auf die Wiederherstellung der Lichtempfindlichkeit degenerierter Netzhaut von Mäusen und Hunden – ein vielversprechender Hinweis darauf, dass diese Therapie auch blinden Menschen wieder zu einem gewissen Maß an Lichtempfindlichkeit verhelfen kann.

Im Vergleich zu Mäusen, verfügt die Netzhaut eines Hundes über starke Ähnlichkeit mit jener des Menschens. Will man diese Therapie also im Menschen testen, bedarf es zuerst einem entsprechenden Tiermodell,“ so Ehud Isacoff, Leiter der Studie und Professor für Molekular- und Zellbiologie. „Durch die Photoswitch-Therapie ist es uns gelungen, die Lichtempfindlichkeit bei Hunden und Mäusen wiederherzustellen. Wir konnten die Netzhaut der Hunde sprichwörtlich reanimieren.”

 

Vorteile gegenüber anderen Gentherapien

Gegenüber anderen, sich momentan in Testphasen befindlichen Therapien zur Wiederherstellung der Sehkraft, verfügt der neue Therapieansatz über einige Vorteile,“ so John Flannery der UC Berkeley. „Die Therapie macht sich einen Virus zunutze, der behördlich bereits für andere Gentherapien am Auge genehmigt wurde. Zudem ist das eingebrachte Ionenkanal-Gen dem normalerweise im Menschen befindlichem Gen sehr ähnlich. Andere Therapien verwenden Gene von anderen Spezies. Zudem kann der Effekt wieder rückgängig gemacht werden bzw. durch die Zugabe neuer chemischer Photoswitches angepasst werden. Letztlich stellt die erfolgreiche Überprüfung des Verfahrens bei Hunden einen wichtigen Schlüsselfaktor für den Erfolg der Therapie dar.“

Die Möglichkeiten Sehkraft bei Mäusen zu testen ist stark limitiert, denn sogar gesunde Mäuse sind keine besonders visuellen Tiere. Ihr Verhalten wird größtenteils durch andere Sinne gesteuert,“ so John Flannery. „Hunde hingegen verfügen über ein hochentwickeltes visuelles System und werden schon länger zur Untersuchung ophthalmologischer Gentherapien eingesetzt.“

Die Tatsache, dass die UC Berkely Ergebnisse auch in Hunden mit ausgeprägter Retinadegeneration reproduziert werden konnte, ist erstaunlich und vielversprechend in Bezug auf eine mögliche Therapie bei Menschen,“ so William Beltran, Professor für Ophthalmologie an der University of Pennsylvania School of Veterinary Medicine. „Die Verwendung eines klinisch relevanten Tiermodells ermöglicht es, sich an die nächsten Herausforderungen heranzuwagen, um diese Therapie in eine zu verwandeln, die auch beim Menschen eingesetzt werden kann.

 

Chemie und Gentechnik

Genetische Erkrankungen wie Retintitis pigmentosa zerstören die photosensitiven Zellen im Auge, die sogenannten Photorezeptoren, aber lassen andere Zellen in der Netzhaut intakt: die bipolaren Zellen mit denen die Photorezeptoren oft kommunizieren, sowie die Ganglienzellen, die sozusagen als „Output“ der Netzhautzellen fungieren. Isacoff, Flannery und UC Berkeley Wissenschafter haben bereits verschiedene Techniken entwickelt, um die Lichtempfindlichkeit der überlebenden Netzhautzellen wiederherzustellen, darunter die Verwendung eines adeno-assoziertem Virus – ein häufiger aber völlig harmloser viraler Vektor für die Gentherapie – durch dessen Einsatz ein modifiziertes Gen in die Zellen eingebracht werden kann. Der Virus fügt ein therapeutisches Gen in die zelluläre DNA ein.

Dieses enthält die Information zur Erzeugung eines Rezeptorproteins, eine modifizierte Version eines Glutamat-Rezeptor-Ionenkanals. Anschließend wird ein chemischer Stoff in das Auge injiziert: ein Glutamat welches an einer lichtsensitiven Kette hängt, erklärt Isacoff. „Dieses ankert an einem modifizierten Rezeptor und befördert das Glutamat an seine Andockstelle am Rezeptor, sobald eine Lichtaktivierung stattfindet.“

In Mäusen können die Forscher das Gen in fast jede einzelne der etwa 1 Million Zellen einbringen und so die Sehkraft wiederherstellen.

Die Frage ist nun, was können die behandelten Tiere tatsächlich sehen? „Bis dato können wir sagen, das die behandelten Mäuse zwischen blinkendem von nichtblinkendem Licht unterscheiden können. Es gilt nun herauszufinden, wie gut sie Bilder auseinanderhalten können, so Isacoff.

 

Welche Zellen erlangen Sehkraft?

Eine entscheidende Frage war zudem, welche Zellen sich am besten zur Einschleusung der Photoswitches eignen – die bipolaren Zellen oder doch die Ganglienzellen? „Als wir die Photoswitches in die bipolaren Zellen einbrachten, und den Output in den Ganglienzellen beobachteten, sahen wir komplexe Muster, die sehr stark jenen der normalen Retinaaktivität ähnelten,“ erklärt Isacoff.

„Das Verhalten der Hunde sollte uns zeigen, ob es funktionelle Unterschiede gibt, wenn man das System von bipolaren Zellen zu Ganglienzellen fährt, oder umgekehrt,” so Flannery.

Er weist zudem darauf hin, dass die durch die neue Therapie erzielte Wirkung nur etwa eine Woche anhält, da die Zelle das Protein und die daran verankerte Chemikalie recycelt. Während die modifizierten Rezeptoren von der Zelle immer wiederherstellt werden, da das neue Gen für immer in der DNA bleibt, muss der chemische Stoff, das sogenannte Maleimid-azobenzol-Glutamat oder MAG, stets neu zugeführt werden. Momentan ist dies etwa einmal pro Woche notwendig. Unter anderem, gilt es diesen Zeitraum zu verlängern.

„Die nicht dauerhafte Wirkung ist nicht unbedingt ein Nachteil,“ so Isacoff, „denn dadurch kann die Therapie immer wieder gestoppt werden um neue, verbesserte photosensitive Chemikalien auszuprobieren.

Die Forscher arbeiten weiter, um die Effekte der Behandlung in Mäusen und Hunden zu testen und die Einzelkomponenten der Therapie zu verbessern.

Bildtext: In einer kürzlich veröffentlichten Studie, berichten Wissenschafter über die Erfindung der sogenannten Photoswitch Therapie der Netzhaut, wodurch es gelang, blinden Mäusen ihre Orientierungsfähigkeit wiederzugeben. © Left-Handed Photography / shutterstock.com

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