Donnerstag, April 25, 2024

Leitlinien zum Schlaganfall: Klare Aussagen zu komplexen Fragen

Die Entwicklung und Verbreitung von medizinischen Leitlinien ist eine wichtige Aufgabe der medizinischen Fachgesellschaften wie der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG).

Leitlinien der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften sind systematisch entwickelte Hilfen für Ärzte zur Entscheidungsfindung in spezifischen Situationen. Sie beruhen auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und in der Praxis bewährten Verfahren und sorgen für mehr Sicherheit in der Medizin 1. Die Entwicklung und Verbreitung von medizinischen Leitlinien ist eine wichtige Aufgabe der medizinischen Fachgesellschaften wie der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG), wozu sie von der Politik aufgefordert sind.

 

Leitlinie „Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls“

In den letzten Jahren haben sich die methodischen Anforderungen an die Entwicklung von Leitlinien stetig erhöht, wodurch auch der zeitliche Aufwand enorm gestiegen ist. Gleichzeitig – und das ist natürlich völlig korrekt – sollen die Ersteller der Leitlinien finanziell unabhängig sein. Was sowohl von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) als auch der AWMF konsequent kontrolliert wird. Dieser Konflikt führt aber dazu, dass die Erarbeitung von Leitlinien im Wesentlichen eine ehrenamtliche Tätigkeit ist. Dennoch konnte im Mai dieses Jahres die Leitlinie „Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls“ unter Federführung von Prof. Dr. Köhrmann (Essen) und Prof. Dr. Ringleb (Heidelberg) veröffentlicht werden 2.

 

Leitlinie zu Schlaganfall von 2012 nicht mehr zeitgerecht

Der Vorgänger dieser Leitlinie stammt aus dem Jahr 2012 und entsprach sowohl inhaltlich als auch formal nicht mehr den aktuellen Anforderungen. Daher war eine vollständige Neubearbeitung notwendig, an der 19 Autoren beteiligt waren, die 16 Fachgesellschaften vertraten. Die hohe Interdisziplinarität sichert einen breiten Konsens über die verschiedenen Fachabteilungen hinweg und sorgt so auch für eine große Verbreitung.

In die aktuelle Leitlinie wurden auch bisher nicht behandelte Aspekte aufgenommen, hervorzuheben sind die Stroke-Unit-Behandlung von TIA-Patienten, Rekanalisationstherapien außerhalb des engen Zeitfensters von 4,5 Stunden, Diagnose und Behandlung des Delirs nach Schlaganfall und geschlechtsspezifische Aspekte. Die Leitlinie deckt somit alle Phasen der Versorgung akuter Schlaganfallpatienten ab. Zu betonen ist, dass diese Leitlinie explizit auch die Versorgung von Patienten mit flüchtigen Symptomen, sogenannten transitorisch ischämischen Attacken (TIA), einbezieht.

 

Der Leitlinientext umfasst insgesamt 116 Empfehlungen mit klaren Handlungsempfehlungen und 28 Statements der Leitliniengruppe.

Einige besonders wichtige Empfehlungen sind im Folgenden aufgeführt:

  • Alle Patienten mit einem akuten Schlaganfall sollen jedenfalls auf einer Stroke Unit behandelt werden. Zudem sollte man Patienten mit einer TIA-Symptomatik innerhalb der letzten 48 Stunden auf einer StrokeUnit behandeln. Die Aufenthaltsdauer auf der Stroke Unit sollte sich an individuellen, patientenspezifischen Faktoren orientieren.
  • Bei allen Patienten mit Verdacht auf Schlaganfall, die Kandidaten für eine Reperfusionstherapie sind, soll eine sofortige Bildgebung des Gehirns mit CT oder MRT erfolgen, um zwischen Ischämie und Blutung zu unterscheiden und somit das therapeutische Prozedere festlegen zu können. Patienten, die die Voraussetzungen für eine endovaskuläre Schlaganfalltherapie erfüllen, sollen unmittelbar auch eine nicht invasive Gefäßdiagnostik (CTA, MRA) erhalten, die auch den Aortenbogen umfassen sollte. Falls bei Ankunft in der Klinik das kritische Zeitintervall von4,5 Stunden überschritten ist, sollte eine erweiterte multimodale Bildgebung erfolgen (zumBeispiel Perfusionsuntersuchung mit MRT oder CT), da befundabhängig noch eine spezifische Schlaganfalltherapie möglich sein kann.

 

Post-Stroke-Delir und duale antithrombotische Therapie

  • Das sogenannte Post-Stroke-Delir betrifft im Mittel jeden vierten Schlaganfallpatienten und hat erhebliche Auswirkungen auf die Behandlung. In kurzer Zeit entwickeln sich fluktuierendeStörungen von Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und Bewusstsein. Wobei man die nicht allein durch den Schlaganfall erklären kann. Ein solches Delir führt zu einer fast fünffach erhöhten Sterblichkeit, längeren Klinikaufenthalten und häufigeren Entlassungen in Pflegeeinrichtungen.Trotz dieser Häufigkeit und der möglichen Folgen des Post-Stroke-Delirs sindForschungsergebnisse dazu rar und die Therapien daher kaum standardisiert. Die Leitlinien empfehlen das gezielte Screening mit etablierten Scores. Neben der Behandlung mit speziellenMedikamenten ist es besonders wichtig, frühzeitig die Reorientierung der Patienten zu stimulieren(Kommunikation, Mobilisation, Brille, Hörgeräte, Tag-Nacht-Rhythmus).
  • Eine frühe duale antithrombotische Sekundärprophylaxe (ASS plus Clopidogrel oder Ticagrelor)sollte nicht routinemäßig erfolgen. Sie kann aber bei ausgewählten Patienten nach TIA oderleichten Schlaganfällen für einen kurzen Zeitraum Vorteile haben. Bei erhöhtem Blutungsrisiko sollte keine duale Plättchenhemmung erfolgen.

Insgesamt bildet die aktuelle Leitlinie jedenfalls das derzeit verfügbare Wissen zum ischämischen Schlaganfall ab. Damit soll man eine bestmögliche Versorgung der Betroffenen gewährleisten können. Einige Abschnitte, zum Beispiel die Delir-Therapie, wurden auch im internationalen Vergleich erstmalig in einer Schlaganfall-Leitlinie behandelt. Bei anderen Themen – insbesondere der frühen dualen antithrombotischen Therapie – nahm die Leitliniengruppe eine im Vergleich zu anderen Leitlinien deutlich kritischere Haltung ein, was mit einer umfassenden Neubewertung der Studiendaten zu begründen ist. Durch die Autorengruppe in Heidelberg unter Beteiligung des dortigen Patientenrates hat man übrigens auch eine Laien verständliche Patientenversion erfasst. Womit dies die erste DSG-/DGN-Leitlinie ist, die auch in diesem Format veröffentlicht ist.


Referenzen:

1 Quelle: Homepage der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften in Deutschland (www.awmf.org)

2 Quelle: Ringleb P., Köhrmann M., Jansen O. et al.: Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls, S2e-Leitlinie, 2021, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am 21.05.2021)


Quelle:

REDEMANUSKRIPT » Neue Leitlinien zum Schlaganfall: Klare Aussagen zu komplexen Fragen «. Prof. Dr. med. Dipl.Inf. (FH) Peter A. Ringleb Sekretär im DSG-Vorstand, Sektionsleiter Vaskuläre Neurologie. Neurologische Klinik Universitätsklinikum Heidelberg. Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG), Oktober 2021.

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