Freitag, April 19, 2024

Genauere Klassifizierung von Hirntumoren verbessert Diagnose und Therapie

Neues System zur Klassifizierung von Meningeome mittels Gewebemerkmalen und molekularen Analysen verbessert Diagnostik und Therapie.

Eine internationale Studie mit rund 3000 Patientinnen und Patienten bestätigt die Aussagekraft eines neuen Systems zur Klassifizierung für Meningeome. Es kombiniert Gewebecharakteristika (Histologie) mit molekularen Analysen und verbessert so die Therapieplanung. Die Forschenden der Neuropathologie (Ärztl. Direktor Prof. Dr. Andreas von Deimling) des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD) und des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) zusammen mit internationalen Kolleginnen und Kollegen haben die Ergebnisse dieser prospektiven Studie in der Fachzeitschrift Journal of Clinical Oncology veröffentlicht.



 

Meningeome sind die häufigsten Hirntumore bei Erwachsenen

In Deutschland erkranken jährlich etwa 7.000 Menschen an einem Tumor des Gehirns oder Rückenmarks. Ein Drittel der Betroffenen leidet an einem Meningeom, das umliegendes Hirngewebe verdrängt und mit Kopfschmerzen und weiteren neurologischen Symptomen in Erscheinung tritt. Meningeome sind die häufigsten Hirntumore bei Erwachsenen und variieren im Krankheitsverlauf von gutartig bis hochaggressiv und tödlich. Eine zuverlässige Klassifizierung bei der Diagnose Meningeome ist dabei entscheidend für den weiteren Verlauf der Therapie.

 

Klassifizierung der Meningeom ist relevant für die Therapie

Zur Diagnose werden Meningeome derzeit mittels Histologie, das heißt dem Erscheinungsbild ihrer Zellen unter dem Mikroskop, in Grad 1 (gutartig) bis Grad 3 (bösartig) eingestuft. 90 Prozent der Fälle gelten als gutartig und können in der Regel vollständig operativ entfernt werden. Ob der Patient damit geheilt ist oder ob der Tumor schnell nachwächst, ist mit der klassischen histologischen Untersuchung von Gewebeproben – der aktuell gängigen WHO-Einteilung – oft schwer zu entscheiden.

„Eine präzise Risikoeinschätzung ist für die Therapie und deren Anpassung im Krankheitsverlauf äußerst wichtig“, sagt PD Dr. Felix Sahm, Geschäftsführender Oberarzt der Neuropathologie des UKHD und Wissenschaftler am DKFZ. Bei Grad 2 und 3 Meningeomen ist derzeit oft eine anschließende Strahlentherapie vorgesehen.

„Mit der bisherigen Einteilung rein nach histologischen Kriterien können aggressiv wachsende Meningeome nicht zuverlässig von gutartigen Fällen unterschieden werden“, berichtet der Projektleiter Sahm und Wissenschaftler im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK). Infolge ungenauer Klassifizierung des Tumors kommt es immer wieder zu Rückfällen bei zu harmlos eingestuften und fälschlicherweise nicht bestrahlten Tumoren. Andererseits werden manche zu aggressiv eingeschätzte Tumore womöglich unnötig bestrahlt.



 

Neues System zur Klassifizierung von Meningeome nutzt histologische und molekulare Kennzeichen

Die Forschenden entwickelten daher ein neues System zur Klassifikation von Hirntumoren auf Basis von histologischen und molekularen Charakteristika, mit dem sich Meningeome wesentlich genauer klassifizieren lassen. Das neue System zur Klassifizierung von Meningeome basiert auf drei Säulen.

  • Und zwar erstens dem bisherigen WHO-Grading anhand von Gewebemerkmalen,
  • zweitens dem Methylierungsstatus des Erbguts sowie
  • drittens der Kopienzahl-Variationen.

Der Methylierungsstatus beschreibt, an welchen Abschnitten der DNA kleine biochemische Gruppen angeheftet sind, und die Kopienzahl-Variationen (CNV, copy-number variations) zeigen das unterschiedlich häufige Auftreten verschiedener DNA-Abschnitte im Genom. Beides spielt eine wichtige Rolle beim Ablesen der Gene und der Produktion zellulärer Bausteine. Die Zusammenschau von klassischen Gewebecharakteristika und dem molekularen Fingerabdruck des Tumors wird Algorithmus-unterstützt in eine Bewertung – den sogenannten Score – verrechnet. Und das gibt Hinweise darauf, wie sich das einzelne Meningeom im Verlauf weiter entwickeln wird. Auf diese Weise lassen sich nun auch erstmals Tumore unterscheiden, die in ihrer DNA-Struktur identisch erscheinen, aber doch einen unterschiedlichen Krankheitsverlauf nehmen.



 

Aussagekraft des Scores bestätigt

Die Entwicklung und Aussagekraft des neuen Klassifizierungssystems auf Basis des Status der Methylierung konnten schließlich die Heidelberger Forschenden in den letzten Jahren bereits in retrospektiven, also rückblickenden Analysen an eingelagerten Tumorproben zeigen. In ihrer aktuellen Veröffentlichung verbinden sie jedenfalls die Vorteile der molekularen Analyse mit den mikroskopischen Befunden. Zudem zeigte sich über einen Untersuchungszeitraum von vier Jahren, dass der Score auch vorausschauend, das heißt prospektiv, mit frisch isolierten Gewebeproben aussagekräftig ist. Infolgedessen kann er die Diagnostik sowie die Planung der Therapie unterstützen.


Literatur:

Maas SLN, Stichel D, Hielscher T, Sievers P, Berghoff AS, Schrimpf D, Sill M, Euskirchen P, Blume C, Patel A, Dogan H, Reuss D, Dohmen H, Stein M, Reinhardt A, Suwala AK, Wefers AK, Baumgarten P, Ricklefs F, Rushing EJ, Bewerunge-Hudler M, Ketter R, Schittenhelm J, Jaunmuktane Z, Leu S, Greenway FEA, Bridges LR, Jones T, Grady C, Serrano J, Golfinos J, Sen C, Mawrin C, Jungk C, Hänggi D, Westphal M, Lamszus K, Etminan N, Jungwirth G, Herold-Mende C, Unterberg A, Harter PN, Wirsching HG, Neidert MC, Ratliff M, Platten M, Snuderl M, Aldape KD, Brandner S, Hench J, Frank S, Pfister SM, Jones DTW, Reifenberger G, Acker T, Wick W, Weller M, Preusser M, von Deimling A, Sahm F; German Consortium on Aggressive Meningiomas (KAM).

Integrated Molecular-Morphologic Meningioma Classification. A Multicenter Retrospective Analysis, Retrospectively and Prospectively Validated. J Clin Oncol. 2021 Oct 7:JCO2100784. doi: 10.1200/JCO.21.00784. Epub ahead of print. PMID: 34618539.


Quelle:

Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Heidelberg, Molekulare Neuropathologie

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