Donnerstag, April 25, 2024

Hype und Verdammung: die Kappenprothese ist schwer zu bewerten

Die Kappenprothese kann die Biomechanik optimal wiederherstellen. Sie ist bei richtiger Technik knochensparend, braucht aber einen exzellenten Operateur.

Andy Murray hat mit seiner wenige Monate zuvor implantierten Hüftendoprothese wieder ein ATP-Turnier gewonnen. Mit einer Kappenprothese, die gegenwärtig in Deutschland nahezu ausschließlich in Gerichtssälen diskutiert, aber wegen einer Vielzahl von Problemen und Komplikationen nicht mehr eingesetzt wird.

Ein Verrückter? Ein Hasardeur? Beides sicher nicht. Ein kurzer Rückblick.

Ende der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts hatte der Engländer Derek McMinn die „Überkronung“ des Hüftgelenkes mit einer Metall-Metall-Paarung wieder populär gemacht. Extrem knochensparend, mit nur noch einem minimalen Risiko der Ausrenkung des Hüftgelenkes schien es die Lösung vieler Probleme. Ärzte, Medien, Patienten, alle „hypten“ die Prothese, sozusagen als Miniprothese vor der eigentlichen Hüftprothese. Unsere Klinik verlor mindestens 100 Patienten, weil wir diese Technologie nicht anboten. Niemand wollte hören, dass es sich um eine neue, bisher nicht erprobte Technologie handelte. Andere Firmen versuchten, die noch nicht verstandene Technologie auch gleich noch zu optimieren.

 

Ende des ersten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts zeigten sich dann die ersten Probleme.

Aber – im Land mit der höchsten Implantationszahl dieser Prothese und dem weltweit wahrscheinlich besten Register, dem NJR in England und Wales, zeigten sich keine Auffälligkeiten. Grund war, dass Fehlschläge mit dieser Prothese einfach nicht in das Register eingegeben wurden, da sich niemand vorstellen konnte, dass das Produkt nicht funktioniert.

Erst der Vortrag eines Kollegen auf dem Kongress der British Hip Society löste dann die Lawine aus. Plötzlich überboten sich alle mit Problemdarstellungen. Die allgemeine Fehlerrate war hoch, aber es war keine Zeit zur differenzierten Fehleranalyse, weder wurde zwischen den verschiedenen Produkten unterschieden, noch die jeweilige OP-Technik und die erreichte Präzision der Operation beurteilt. Plötzlich war alles schlecht, das Produkt verschwand unter dem Eindruck einer durchweg negativen Presse und der ärztlichen Versagensberichte vom deutschen Markt.

 

Eine absolut begründete Entscheidung von Andy Murray

Publikationen und Registerergebnisse, dass genau dieses Produkt zum Beispiel im australischen Register auch nach mehr als zehn Jahren bei jüngeren Männern immer noch besser ist als jede andere Prothese, wurden nicht registriert. Während in Deutschland sogar Gutachter dem Produkt einen Konstruktionsfehler bescheinigen, konnten weder die Zulassungsbehörden der FDA in den USA noch der BSI in UK dies allgemein feststellen. Die Kappenprothesen unterscheiden sich, es gibt mindestens zwei mit exzellenten Resultaten, beide mit der Möglichkeit der optimalen Wiederherstellung der Biomechanik, beide knochensparend bei richtiger Technik, aber beide mit dem Bedarf nach einem exzellenten Operateur. Alle Kriterien hat Andy Murray mit Blick auf seinen Wunsch, wieder Tennis zu spielen, bedacht. Also eine absolut begründete Entscheidung.

 

Technisch schwieriger zu implantierende „High-End“-Prothesen schneiden in Register schlechter ab

Die Geschichte der Kappenprothesen zeigt, dass Neuerungen in der Medizin nur schwer schrittweise eingeführt werden können, wenn der Druck des Marktes und die Nachfrage der Patienten zu hoch sind. Register sind zum einen weiter nur so gut wie die Daten, die eingegeben werden, die Zusammenfassung von Produkten in Produktklassen Risiken birgt und vor allem die in Registern erfassten Durchschnittswerte ein Risiko für technisch nicht durch jeden zu implantierende Implantate sind. Es besteht die Vermutung, dass in Registern einfach zu implantierende Prothesen mit deutlich begrenzterem Funktionsumfang besser abschneiden als technisch schwieriger zu implantierende „High-End“-Prothesen.


Quelle:

Expertenstatement: Die Kappenprothese oder die Schwierigkeit der Bewertung von Implantaten zwischen Hype und Verdammung. Professor Dr. med. Carsten Perka Generalsekretär der AE, Ärztlicher Direktor des Centrums für Muskuloskeletale Chirurgie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Deutsche Gesellschaft für Endoprothetik (AE). Dezember 2019, Berlin

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