Freitag, April 19, 2024

Juckreiz bei Dialyse-Patienten wird zu wenig beachtet

Chronischer Juckreiz bei Dialyse-Patienten findet häufig zu wenig Beachtung. Dabei kann er die Lebensqualität der Patienten stark beeinträchtigen.

Viele Patienten, die eine Dialyse-Behandlung erhalten, leiden oft unter starkem und anhaltendem Juckreiz der Haut. Dieses Problem ist aus der alltäglichen medizinischen Praxis bekannt. Jedoch existieren bisher keine genauen Daten darüber. Schätzungen über den Anteil betroffener Patienten variieren weltweit erheblich und reichen bis zu 80 Prozent. Diese Unterschiede in den Schätzungen können auf verschiedene Arten von Studien, unterschiedliche Inhalte in Befragungen und das Fehlen einheitlicher Definitionen zurückgeführt werden. Beispielsweise ab welcher Beschwerdedauer man Juckreiz bei Dialyse-Patienten als chronisch bezeichnet. Darüber hinaus spielt es eine Rolle, in welchem Land die Untersuchung stattfand. Je besser die Qualität der Dialyse, desto weniger häufig kommt es zu chronischem Jucken.

 

Urämischer Juckreiz

Chronischer Juckreiz, Urämischer Juckreiz, ist bei Dialyse-Patienten weit verbreitet. Wenn gleich das sehr belastend ist, machen viele betroffene Patienten mit Erhaltungs-Hämodialyse keine Meldung darüber bei ihren Ärzten. Deswegen wird chronischer Juckreiz  unzureichend behandelt. Auch dies ist als mit Grund für die weltweit unterschiedliche Datenlage.

Urämischer mittelschwerer bis schwerer Juckreiz ist mit klinischer Depression, geringer Schlafqualität, schlechter Wahrnehmung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität und erhöhtem Risiko für kardiovaskuläre Sterblichkeit verbunden. Die Mechanismen des urämischen Juckreizes sind nach wie vor wenig bekannt. Was die Fähigkeit zur Entwicklung sicherer und wirksamer Therapien einschränkt. Zu den bekannten Strategien der Behandlung gehören die UV-Therapie, Antihistaminika und Inhibitoren der selektiven Serotonin-Wiederaufnahme.

Viele Dialyse-Patienten mit quälendem chronischen Juckreiz lindern ihre Beschwerden auch mit Opiaten. Neueste Ergebnisse einer randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Phase-3-Studie zeigten eine gute Wirksamkeit und Verträglichkeit von Difelikefalin, einem peripher nicht im zentralen Nervensystem wirkenden Opioid-Agonisten.

 

Deutsche Studie zu Juckreiz bei Dialyse-Patienten

Sozialmediziner des Universitätsklinikums Heidelberg untersuchten unlängst für Deutschland systematisch das Auftreten, die Ursachen sowie die Folgen von chronischem Juckreiz bei Dialyse-Patienten. Bei rund einem Fünftel der Patienten mit chronischem Nierenversagen liegt eine behandelbare Hauterkrankung – ein Pruritus – zugrunde. Allerdings suchen die Patienten zu selten deswegen einen Hautarzt auf.

Rund ein Drittel der Patienten, die aufgrund von Nierenversagen regelmäßig Hämodialyse erhalten, leiden mindestens einmal unter chronischem Hautjucken (Pruritus oder besser urämische Pruritus). Die länger als sechs Wochen anhaltenden Beschwerden beeinträchtigen die Lebensqualität der Betroffenen deutlich. Das hat eine deutschlandweite Studie der Abteilung für Klinische Sozialmedizin am Universitätsklinikum Heidelberg mit 860 Patienten an 25 Dialyse-Zentren ergeben.

In der umfassenden Studie zum chronischen Juckreiz bei Dialyse-Patienten wurden wissenschaftlich geprüfte Fragebögen eingesetzt, die sich speziell auf die Lebensqualität bei Hautjucken konzentrierten. Die Untersuchung ergab, dass nur ein Drittel der betroffenen Patienten eine Behandlung erhielt, um ihre Beschwerden zu lindern.

Chronisches Jucken stellt für Nierenpatienten ein ernsthaftes Problem dar und verschärft deren bereits bestehende gesundheitliche Probleme. In Zukunft sollte man diesem Problem in der medizinischen Behandlung mehr Aufmerksamkeit widmen. Zudem ist es dringend erforderlich, weitere Forschungen durchzuführen, um die bislang unbekannten Ursachen des Juckreizes zu erforschen und angemessene Therapien zu entwickeln.

Verschiedene Ergebnisse der Studie – beispielsweise zu Häufigkeit und Ursachen von chronischem Juckreiz bei Dialyse-Patienten – wurden bereits 2015 veröffentlicht.

 

Mehr als ein Drittel der betroffenen Dialyse-Patienten zerkratzt sich die Haut

Die 2012 gestartete GEHIS-Studie lieferte unlängst konkrete und repräsentativ erhobene Zahlen. Unter chronischem Juckreiz, dem Empfinden das mindestens sechs Wochen andauerte, litten demnach zum Zeitpunkt der Befragung ein Viertel der Dialyse-Patienten. Wobei 27 Prozent in den vergangenen zwölf Monaten betroffen waren. Und 35 Prozent waren das mindestens einmal in der Vergangenheit. Besonders häufig trat chronischer Juckreiz zusammen mit trockener Haut oder Ekzemen auf oder bei jenen Dialyse-Patienten, die in der Studie jünger als 70 Jahre alt waren.

177 der Patienten mit aktuell bestehendem Jucken unterzogen sich einer dermatologischen Untersuchung. Bei 38 Prozent war die Haut vom häufigen und intensiven Kratzen verletzt, bei rund 19 Prozent identifizierten die Hautärzte eine Hauterkrankung wie z.B. Ekzem als Ursache. 40 Prozent der Geplagten hatten sich medizinische Hilfe gesucht, nur 32 Prozent – meist Patienten mit schwerem Juckreiz – eine Behandlung erhalten.

„Leider gibt es bisher nur lindernde, keine wirklich ursächlichen Therapien – möglicherweise haben deshalb nicht einmal die Hälfte der Betroffenen einen Hautfacharzt aufgesucht“, sagt Weisshaar. „Ein weiterer Grund ist sicherlich, dass Dialysepatienten schon eine hohe Anzahl von Arztbesuchen zu bewältigen haben. Aber die Zahlen zeigen: Bei rund einem Fünftel der Patienten liegt eine behandelbare Hauterkrankung zugrunde.“

Auch bei Patienten ohne ursächliche Hauterkrankung kann beispielsweise eine UV-Lichttherapie, der Einsatz spezieller Cremes sowie die fachgerechte Pflege der trockenen Haut die Beschwerden lindern. „Dialyse-Patienten sollten immer einen Hautarzt aufsuchen, vor allem wenn sich an der Haut Ausschläge etc. zeigen und das Hautjucken nicht durch Hautpflege in den Griff zu bekommen ist, damit eine mögliche Hauterkrankung nicht übersehen wird“, so die Hautärztin und Sozialmedizinerin.

 

Chronischer Juckreiz verursacht oft auch schlechten Schlaf und Schmerzen

Darüber hinaus belastet das ständige Jucken auch Psyche und seelische Gesundheit. Mit Hilfe wissenschaftliche überprüfter Fragebögen zu Lebensqualität, Angst, Depression, Schlafqualität und Schmerzen ermittelten die Heidelberger Sozialmediziner, dass chronischer Juckreiz die ohnehin schon durch Nierenversagen und Dialyse massiv eingeschränkte Lebensqualität der Betroffenen noch zusätzlich minderte – vergleichbar mit den Auswirkungen von chronischen Schmerzen. Patienten mit Hautjucken schätzten ihren allgemeinen Gesundheitszustand ebenso wie ihr emotionales Wohlbefinden schlechter ein als nicht betroffene Dialyse-Patienten.

„Studienteilnehmer mit chronischem Jucken berichteten zudem überdurchschnittlich häufig von Schmerzen und Schlafstörungen. Wie das häufig gleichzeitige Auftreten von Jucken und Schmerzen zusammenhängt, muss allerdings noch geprüft werden“, so Weisshaar. Angesichts der Ergebnisse der GEHIS-Studie ist eine ergänzende psychosoziale Betreuung der Patienten sinnvoll und angebracht.

In der Universitäts-Hautklinik Heidelberg gibt es seit bereits zehn Jahren eine Spezialsprechstunde von Professor Weisshaar für Patienten mit chronischem Pruritus (Jucken), darunter auch Patienten mit Juckreiz und Dialyse. Im Vordergrund stehen dabei stets die Suche der Ursachen und die Einleitung einer entsprechenden, gemeinsam besprochenen Therapie, die bei chronischem Juckreiz, Pruritus, sehr häufig aus äußerlicher und innerlicher Therapie mit Tabletten besteht.

 

Peripherer Opioid-Agonist Difelikefalin verbessert chronischen Juckreiz bei Dialyse-Patienten

Der neuer Opioid-Agonist Difelikefalin, der nur die peripheren Kappa-Rezeptoren, konnte aktuell in einer Phase-3-Studie eine gute linderne Wirkung gegen chronischen Juckreiz entfalten, der Wirkstoff war für Dialyse-Patienten auch sicher und gut verträglich. Denn die Difelikefalin-Therapie verbesserte auch die Ergebnisse zur Lebensqualität der Dialyse-Patienten, die die Forscher auf einer 5-D-Skala für chronischen Juckreiz und der Skindex-10-Skala messen konnten.

Jedenfalls gilt Difelikefalin als ein peripher eingeschränkter und selektiver Agonist von Kappa-Opioidrezeptoren ohne zentrale Wirkung. Seine hydrophile Struktur kleiner Peptide schränkt die passive Diffusion durch Membranen ein und beschränkt dadurch den Zugang zu Kappa-Opioidrezeptoren im Zentralnervensystem. Difelikefalin stellt ein wichtige neue Option zur Behandlung von chronischem Juckreiz bei Erkrankungen wie chronischen Nierenerkrankungen mit Dialyse dar. Der pioid-Agonist bringt eine signifikante Verringerung der Juckreiz-Intensität und eine Verbesserung der Juckreiz bedingten Lebensqualität im Vergleich zu Placebo.


Literatur:

Agarwal P, Garg V, Karagaiah P, Szepietowski JC, Grabbe S, Goldust M. Chronic Kidney Disease-Associated Pruritus. Toxins (Basel). 2021 Jul 28;13(8):527. doi: 10.3390/toxins13080527. PMID: 34437400.

Santos-Alonso C, Maldonado Martín M, Sánchez Villanueva R, Álvarez García L, Vaca Gallardo MA, Bajo Rubio MA, Del Peso Gilsanz G, Ossorio González M, Selgas Gutiérrez R. Pruritus in dialysis patients. Review and new perspectives. Nefrologia (Engl Ed). 2021 Mar 8:S0211-6995(21)00032-1. English, Spanish. doi: 10.1016/j.nefro.2020.12.010. Epub ahead of print. PMID: 33707097.

Nair D, Finkelstein FO. Pruritus as a Patient-Reported Primary Trial End Point in Hemodialysis: Evaluation and Implications. Am J Kidney Dis. 2020 Jul;76(1):148-151. doi: 10.1053/j.ajkd.2020.01.002. Epub 2020 Apr 22. PMID: 32334827.

Fishbane S, Jamal A, Munera C, Wen W, Menzaghi F; KALM-1 Trial Investigators. A Phase 3 Trial of Difelikefalin in Hemodialysis Patients with Pruritus. N Engl J Med. 2020 Jan 16;382(3):222-232. doi: 10.1056/NEJMoa1912770. Epub 2019 Nov 8. PMID: 31702883.

Weiss M, Mettang T, Tschulena U, Weisshaar E. Health-related quality of life in haemodialysis patients suffering from chronic itch: results from GEHIS (German Epidemiology Haemodialysis Itch Study). Qual Life Res. 2016 Jun 15. [Epub ahead of print]

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