Donnerstag, März 28, 2024

IT-Initiative ENTSCHEIDERFABRIK: Elektronische Patientenakte

Die diesjährigen Projekte der IT-Initiative ENTSCHEIDERFABRIK zeigen: Das Thema elektronische Patientenakte nimmt Fahrt auf.

Smartphones bestimmen längst viele Bereiche des Lebens – von der Kommunikation bis zur Buchung von Flügen, alles läuft über die mobilen Geräte. Und auch die Kontrolle des eigenen Gesundheitszustands gehört für viele mittlerweile zum Alltag. Die Gesundheitsdaten sind also vielfach längst auf dem Smartphone. Doch wie geht es mit den Daten weiter, wenn der Patient in Arztpraxis oder Klinikum kommt? Dort stößt der Nutzer meist auf eine unsichtbare Wand! Das Bundeswirtschaftsministerium attestierte der Gesundheitswirtschaft erst kürzlich einen niedrigen Grad der Digitalisierung. Mit dem E-Health-Gesetz wird zwar der Einstieg in die elektronische Patientenakte gefördert. Immerhin soll die gematik laut eHealth-Gesetz bis Ende 2018 die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Daten der Patienten (z.B. Arztbriefe, Notfalldaten, Daten über die Medikation) in einer elektronischen Patientenakte bzw. in einem Patientenfach für die Patienten bereitgestellt werden können. Doch Gesetze allein werden diese Aufgabe nicht meistern. Dazu sind Macher und Entscheider notwendig. Wie Daten von mobilen Geräten den Weg in die Datenbanken der Krankenhäuser finden können, das ist eine der Fragen, mit der sich die IT-Initiative ENTSCHEIDERFABRIK im Rahmen der weltführenden Medizinmesse MEDICA 2017 in Düsseldorf – vom 13. bis 16. November – beschäftigen wird.

Apple ist bereits gestartet

Dabei wollen und werden internationale Konzerne eine wichtige Rolle spielen – und hier nimmt Apple eine hervorgehobene Position ein. So bietet der Konzern bereits jetzt mit dem `CareKit´, `ResearchKit´ und `HealthKit´ wichtige Anwendungen für den Gesundheitsbereich. Bereits seit längerem wird berichtet, dass Apple das iPhone künftig zum Träger wichtiger Gesundheitsdaten machen will, die direkt von Ärzten und Krankenhäusern kommen. Mindestens sieben der 17 am besten bewerteten Kliniken der USA nutzen `Healthkit`, berichtete die Agentur Reuters im Jahr 2015. Erklärtes Ziel: Das Smartphone soll zum Träger der elektronischen Patientenakte des Benutzers werden. Zwar konzentriert sich der Konzern zunächst vor allem auf den US-Markt. „Digitalisierung 4.0: Übernahme von Patientendaten aus Apple HealthKit und Apple CareKit“ ist jedoch der Titel eines Projektes, das im Rahmen des diesjährigen Projektzyklus der ENTSCHEIDERFABRIK behandelt und bei der MEDICA 2017 präsentiert wird. Dabei arbeiten der diakonische Träger Ategris, die Kreiskliniken Mühldorf am Inn, Sozialkonzept und FAC’T IT GmbH (für die Kliniken der St. Franziskus-Stiftung Münster) mit aycan Digitalsysteme zusammen. „Wir stellen schon seit einigen Jahren Medizinprodukte für iOS her“, berichtet Stephan Popp, Geschäftsführer von aycan Digitalsysteme. „Meist erstellen wir zunächst Produkte, die wir dann unseren Kunden anbieten. Diesmal haben wir zunächst eine Idee in die Welt gesetzt und entwickeln diese jetzt gemeinsam mit dem Kunden.“

Tatsächlich ist es Ziel der ENTSCHEIDERFABRIK, Lösungen zur Optimierung der Geschäftsprozesse in den beteiligten Krankenhäusern zu erarbeiten und den Nutzen dieser Arbeitsergebnisse den Krankenhaus-Entscheidern zielgruppengerecht zu präsentieren. Dazu werden 32 Verbände, mehr als 800 Standorte von Kliniken, mehr als hundert Industrie-Unternehmen und von den Verbänden gewählte Beratungshäuser zusammengebracht. Ausgewählt wurden die diesjährigen Schlüsselthemen beim Entscheider-Event im Februar. Ein Sommer-Camp im Juni diente dazu, die Arbeiten in den Digitalisierungsprojekten inhaltlich zu vertiefen. Auf der Ergebnis-Veranstaltung im November bei der MEDICA 2017 und des begleitenden Deutschen Krankenhaustages werden dann neun Monate nach Projektstart erstmals Ergebnisse präsentiert, wobei die Projekte auch danach weitergeführt werden.

Datentransfer per Wischen

Im konkreten Fall hat Apple aus Sicht von Popp schon viel Vorarbeit geliefert. Das `HealthKit´ kann die Daten konform zu `HL7-CDA´ (Clinical Document Architecture) schreiben – und spricht damit in einem Standard, der international und auch von vielen Systemen in Deutschland verstanden wird: „Das ist eine coole Sache und ermöglicht uns als kleine Firma, erfolgreich weiterentwickeln zu können.“ aycan entwickelt zudem eine Datenübertragung mit einer Punkt-zu-Punkt-Verschlüsselung per Health-Bridge, die unabhängig von der Cloud eines Dritt-Anbieters funktioniert. Weiterhin gibt es eine HL7-Schnittstelle zu den Kliniksystemen. Zudem stellt der weitere Industrie-Partner in diesem Projekt, März Internetwork Services AG, als Archiv- und Interoperabilitätsplattform seine `IHE-Box´ zur Verfügung, um eine reibungslose Interaktion zw. individuellen Gesundheitsakten und institutionellen Patientenakten zu gewährleisten. Popp blickt voraus: „Am Ende soll es eine App geben, mit der der Nutzer alle Gesundheitsdaten verwalten kann.“ Dann könnte der Patient einfach die notwendigen Daten dem betreffenden Leistungserbringer – zum Beispiel Arzt, Krankenhaus oder Reha-Einrichtung – mit einem „Wisch“ übermitteln.

Technisch ist vieles möglich und auch sinnvoll

Die Auswahl, welche Daten so wichtig sind, dass sie auf dem Smartphone des Patienten Speicherplatz beanspruchen sollten, trifft der Arzt. Darüber hinaus könnte das Smartphone die Referenz speichern, um den vollständigen Datensatz beispielsweise eines CT-Scans abzurufen, aber: „Das ist noch Zukunftsmusik“, meint Popp. Für die Nutzer klingt dies verlockend – doch wie aufwendig wird das alles für die Kliniken? Bereits jetzt läuft ein Linux-Server als Prototyp auf einer virtuellen Maschine. Über ein Web-Interface wird eine Patientenakte angelegt. Dort werden die sinnvoll relevanten Daten gefiltert und verdichtet, um sie anschließend ins Krankenhaus-Informationssystem zu exportieren. So wird sichergestellt, dass keine sinnlos großen Datensätze die Krankenhaus-IT überfordern. Im September – also kurz vor der MEDICA 2017 – soll dies in mindestens einer Klinik in Betrieb gehen. Technisch ist es machbar und sinnvoll erscheint es auch. Denn die Zukunft liegt in der Interaktion zwischen individuellen Gesundheitsakten und institutionellen Patientenakten. Dazu bedarf es des Zusammenspiels von Smartphones einerseits sowie Archiv- und Interoperabilitätsplattformen anderseits.

App muss in den Alltag passen

Auch für Oliver Seebass, Geschäftsführer der FACT´IT, sind es eigentlich keine technischen Hindernisse, die überwunden werden müssen. Vielmehr werde die Frage wichtig sein, wie sich dies im Alltag einer Klinik zum Nutzen der Patienten umsetzen lasse. Ein Einsatzfeld wird hier voraussichtlich die klassische Orthopädie sein. Bis zur MEDICA 2017 wird dafür ein Anwendungsfall beschrieben. Zunächst jedoch müssen die Anforderungen bestimmt werden, um daraus eine den Aufgaben angemessene App zu entwickeln. „Eines ist für mich sicher: Wir werden dies nur mit internationalen Standards langfristig erfolgreich umsetzen können“, so Seebass. Aus seiner Sicht sei dies notwendig, da nur eine möglichst flächendeckende Installation in vielen Kliniken die Wirtschaftlichkeit der Installation und der späteren Betreuung sinnvoll gewährleisten könne. Aber wer soll das bezahlen? Möglicherweise könnte dies aus Mitteln der Krankenkassen für die Prävention finanziert werden. Allerdings ist auch vorstellbar, dass die Patienten bereit sind, derartige Dienstleistungen der Kliniken in Eigenleistung zu bezahlen. Doch dies ist letztlich in hohem Maße davon abhängig, welche nutzenstiftenden Beispielfälle bei der MEDICA in Düsseldorf vorgestellt werden.

Das Beste aus zwei Akten

In Aachen setzt man dagegen bereits seit längerem auf die einrichtungsübergreifende `FallAkte Plus´. Die Leistungserbringer arbeiten weiterhin mit der Fallakte – wie beispielsweise in Aachen, wo bereits seit längerem, etwa der niedergelassene Arzt, etwas in die Fallakte eintragen kann, was dann durch die Klinik ergänzt wird. Die Fallakte bliebe weiterhin Sache der Profis. Aber auch hier stellt sich die Frage nach einer patientenbestimmten lebenslangen Gesundheitsakte. Behandelt wird dies im Projekt „FallAkte Plus: Neue Wege für intersektorale Versorgung und Patientenbeteiligung“. Michael Franz, Vice President Business Development der von Seiten der Industrie beteiligten CGM Clinical Deutschland GmbH (MEDICA-Halle 15, Stand C 21), schildert: „Wir gehen der Frage nach, wie wir im Besitz des Patienten befindliche digitale Gesundheitsdaten mit dem etablierten System der Fallakte verknüpfen.“ So könnte einem Patienten, der ins Krankenhaus kommt, angeboten werden, dass alles, was im Krankenhaus passiert, in seine Fallakte eingeschrieben wird. Bringt er selbst eigene Daten – beispielsweise zu Allergien – mit, so könnten diese dem Krankenhaus schon vorher mitgeteilt werden. Der Patient besitzt oder bekommt seine Gesundheitsakte, über die er selbst bestimmt. Darüber hinaus soll die Möglichkeit geschaffen werden, die professionelle Fallakte und die private Gesundheitsakte zu koppeln, um Informationen aus der Fallakte in die Gesundheitsakte zu übernehmen. Der Patient bestimmt, wer die Daten aus der Gesundheitsakte sehen darf. Im Rahmen des Projektes wird gemeinsam mit den Unikliniken in Aachen, Düsseldorf, Jena und Schleswig-Holstein untersucht, wie das technisch machbar ist. Zum anderen soll untersucht werden, wie dies tatsächlich bei den Bürgern und den Ärzten ankommt. Entscheidend hierfür: die Nutzerfreundlichkeit des Produkts.

Vielfalt wird zum Hindernis

Dabei könnte die Vielfalt an Fall- und Krankenakten zum Hindernis werden. CGM Life hat selbst eine Gesundheitsakte etabliert, die bei der AXA zum Einsatz kommt. Auch die Techniker Krankenkasse, die das MEDICA ECON FORUM (Halle 15) inhaltlich ausgestaltet, oder die AOK Nordost arbeiten mit Hochdruck an eigenen Gesundheitsakten für ihre Mitglieder. Um jedoch zu vermeiden, dass Patienten auf Grund der Vielzahl an Lösungen womöglich künftig mehrere Gesundheitsakten führen müssen, haben sich die wichtigsten Anbieter elektronischer Patientenaktenlösungen der Gesundheits-IT deshalb auf die Schaffung voller Interoperabilität für elektronische Patientenakten verständigt. In einer gemeinsamen Sitzung wurde die Bedeutung gemeinsamer Schnittstellen und bestehender internationaler Standards betont. Es wurde ein klarer Weg für die Definition solcher Schnittstellen festgehalten. Die Industrie schreitet somit bei der Interoperabilitätsfrage voran. Auch dieses Projekt der ENTSCHEIDERFABRIK orientiert sich an den Profilen der internationalen Initiative IHE.

Digitalisierungsoffensive ist notwendig

Dabei fokussiert das Projekt zunächst auf Unikliniken, also Häuser der Maximalversorgung. Aber wie sieht es mit Arztpraxen oder Kliniken der Grundversorgung aus? Während die Arztpraxen aus Sicht von Michael Franz (CGM Clinical Deutschland) schnell in der Lage sein dürften, Patientenakten zu füllen, könnten viele Krankenhäuser aufgrund ihres niedrigen Digitalisierungsgrades Probleme bekommen. So mache es zwar Sinn, beispielsweise die Medikation in die Fall- bzw. Gesundheitsakte zu übernehmen. Dazu sei aber eine digitale Medikation notwendig – und diese fehle vielfach. Das gleiche gilt für viele andere Bereiche: „Ich kann nicht vorschreiben, eine Fieberkurve abzufotografieren“, verdeutlicht Franz. Für ihn steht deshalb fest: „Die Digitalisierungsoffensive ist dringend notwendig.“ Ähnliches gilt für die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte und der damit verbundenen Telematik-Infrastruktur. Denn eine unzureichende Digitalisierung in den Gesundheitseinrichtungen würde den Nutzwert von elektronischen Patientenakten und der digitalen Vernetzung stark einschränken.

Zwar soll nach dem Willen des Gesetzgebers allen Versicherten ab dem 1. Januar 2019 eine elektronische Patientenakte zur Verfügung gestellt werden, aber schon jetzt zeichnen sich Verzögerungen ab, mindestens den in die Akte integrierten elektronischen Medikationsplan betreffend.

Zur MEDICA 2017 im November, also nach der Bundestagwahl, wird sich der „Nebel“ um den wahrscheinlichen Zeitpunkt der Einführung vielleicht etwas lichten. Auch wenn also die Patientenakte ein brandaktuelles Thema ist, so sind die drei weiteren diesjährigen Projektthemen der ENTSCHEIDERFABRIK nicht weniger bedeutsam. Dabei geht es um die Erhöhung der Patientensicherheit durch Vermeidung von Verwechslungen mittels Handscanvorgängen zur Patienten- und Objektidentifikation, Realisierung eines gewinnbringenden, medienbruchfreien, rechtssicheren Dokumentationsprozesses mittels mobiler qualifizierter Signatur und einen Zeitgewinn für Patienten und Pflege durch die sinnvolle Integration von Smartphones & Tablets in die Krankenhaus-IT.

Weitere Informationen zur MEDICA-Beteiligung der ENTSCHEIDERFABRIK sowie eine Projektübersicht sind online abrufbar unter:http://www.medica.de/entscheiderfabrik.

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