Dienstag, April 23, 2024

Instabile Angina pectoris oder nach Herzinfarkt: Therapie mit Prasugrel wirksamer

Die instabile Angina pectoris behandelt man besser mit Prasugrel – statt Ticagrelor –, wobei diese Therapie auch nach Herzinfarkt vorteilhaft ist.

Nach Herzinfarkt oder bei instabiler Angina pectoris ist die blutplättchenhemmende Therapie mit Prasugrel für die Patienten besser als mit Ticagrelor. Zu diesem unerwarteten Ergebnis kommt die vom Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) und dem Deutschen Herzzentrum München finanzierte, industrie-unabhängige Studie ISAR-REACT 5. Für instabile Angina pectoris- und Herzinfarkt-Patienten sind diese überraschenden Erkenntnisse zur Therapie laut Experten ein Meilenstein. Die Studienergebnisse werden die klinische Praxis und die Behandlungsempfehlungen sehr beeinflussen.

 

Instabile Angina pectoris und nach Herzinfarkt besser Prasugrel als blutplättchenhemmende Therapie

Nach einem Jahr kam es bei den Prasugrel-Patienten zu weniger Herzinfarkten, Schlaganfällen und Todesfällen. Und zwar im Vergleich zur Therapie mit dem Thrombozytenaggregationshemmer Ticagrelor. „Auch das Risiko für Blutungen war mit Prasugrel nicht erhöht“, sagt Studienleiterin Professor Stefanie Schüpke vom Deutschen Herzzentrum München, Klinik an der Technischen Universität München (TUM). „Das ist eine sehr gute Nachricht für die Patienten.“ Aufgrund vorangegangener Studien zur Vorbehandlung bei einer bestimmten Form des Herzinfarkts hatten die Wissenschaftler erwartet, dass Ticagrelor als Gewinner aus dem direkten Vergleich mit Prasugrel hervorgeht.

 

Thrombozytenaggregationshemmer nach einem akuten Koronarsyndrom

Beide Thrombozytenaggregationshemmer verordnen Ärzte standardmäßig nach einem akuten Koronarsyndrom (ACS). Akutes Koronarsyndrom ist der Oberbegriff für schwerwiegende Durchblutungsstörungen des Herzmuskels. Dazu gehören der Herzinfarkt und die instabile Angina pectoris. Bei Letzterer treten wie bei einem Herzinfarkt drückende, einschnürende Schmerzen im Brustraum auf. Andere Kriterien für einen Infarkt fehlen jedoch.

Die Plättchenhemmer sollen verhindern, dass die Blutplättchen verklumpen und erneut Blutgerinnsel in den vorgeschädigten Herzkranzgefäßen bilden. Bislang empfehlen die Behandlungs-Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie Prasugrel und Ticagrelor gleichermaßen. „Welches der beiden Medikamente besser ist, wussten wir bislang nicht. Denn der direkte Vergleich in einer ausreichend großen ACS-Population über ein Jahr fehlte“, erklärt die DZHK-Forscherin Stefanie Schüpke. Diese Lücke wird nun von den Ergebnissen der ISAR-REACT 5-Studie geschlossen. An der Studie beteiligten sich 23 Zentren in Deutschland und Italien, insgesamt wurden 4.018 Patienten mit einem ACS untersucht.

 

Die Prasugrel-basierte Strategie ist der Ticagrelor-basierten Strategie überlegen

In die Studie wurde das gesamte Spektrum von Patienten mit ACS eingeschlossen. 41 Prozent der Studienteilnehmer wurden mit der Diagnose Herzinfarkt mit ST-Streckenhebung (STEMI) aufgenommen. 46 Prozent mit einem Herzinfarkt ohne ST-Strecken-Hebung (NSTEMI). Und 13 Prozent der Studienteilnehmer mit einer instabilen Angina pectoris. Der NSTEMI unterscheidet sich vom STEMI unter anderem durch das Fehlen einer bestimmten Hebung in einem Abschnitt des EKGs. Das ist die sogenannte ST-Strecke. Bei allen Patienten war eine Untersuchung mit dem Herzkatheter geplant.

Die Studienteilnehmer wurden zufällig einer Therapie mit Prasugrel oder Ticagrelor zugeordnet. Patienten mit Ticagrelor-Therapie erhielten das Medikament schon bevor die Ärzte ihr Herz mit dem Katheter untersuchten. Mit Prasugrel wurden nur Patienten mit einem STEMI medikamentös vorbehandelt. Aufgrund früherer Studienerkenntnisse erhielten Patienten mit NSTEMI und instabiler Angina pectoris Prasugrel erst nachdem die Herzanatomie bekannt war. Bei älteren Patienten (ab 75 Jahren) und Patienten mit einem Gewicht unter 60 kg wurde die Erhaltungsdosis von Prasugrel von 10 auf 5 mg pro Tag reduziert.

Die Mehrzahl der Patienten (84 %) wurde mit einer perkutanen Koronarintervention behandelt. 2 Prozent erhielten eine Bypass-Operation und 14 Prozent der Patienten wurden konservativ behandelt.

Nach einem Jahr trat der Endpunkt Tod, erneuter Herzinfarkt oder Schlaganfall seltener bei mit Prasugrel behandelten Patienten auf (6,9 %). Und zwar im Vergleich zu den Patienten, die Ticagrelor erhalten hatten (9,3 %). Gleichzeitig war das Risiko für Blutungen mit der Prasugrel-basierten Strategie nicht erhöht.

Die Studienergebnisse sprechen dafür, dass man bei STEMI und bei NSTEMI sowie der instabilen Angina pectoris Prasugrel bevorzugt.

 

Komfortabler und günstiger

Obwohl die beiden Substanzen eine Hemmung der Blutplättchen bewirken, sind sie chemisch ganz unterschiedlich aufgebaut. Ticagrelor ist ein reversibler Plättchenhemmer, dessen Wirkung schneller nachlässt als die von Prasugrel. Ticagrelor muss daher zweimal täglich eingenommen werden, was den Patienten etwas mehr Therapietreue abverlangt. Prasugrel ist hingegen ein irreversibler Plättchenhemmer. Es reicht, ihn einmal täglich einzunehmen. Außerdem ist Prasugrel mittlerweile als Generikum erhältlich und damit günstiger als Ticagrelor.

 

Relevanz der Studie für die Praxis

Die Studie löst das Dilemma, welches Medikament Ärzte Millionen von Patienten, die jährlich ein ACS erleiden, verordnen sollten. Außerdem erlaubt sie eine Individualisierung der Plättchen-hemmenden Therapie. Sie unterstützt das Konzept, zunächst die Diagnose ACS mittels Herzkatheter zu sichern. Damit vermeidet man, dass Patienten Medikamente erhalten, die sie gar nicht benötigen. Darüber hinaus untermauern die Daten die Sicherheit einer reduzierten Prasugrel-Dosis bei Patienten mit erhöhtem Blutungsrisiko.

Professor Thomas Eschenhagen, Vorstandsvorsitzender des DZHK, lobt nicht nur die hohe Qualität und die klaren Ergebnisse der Studie. „Die ISAR-REACT 5-Studie ist in meinen Augen ein gutes Beispiel für klinische Studien, die das DZHK fördern sollte. Wissenschaftliche Fragestellungen, die unmittelbaren Nutzen für die Patientenversorgung haben, die aber sonst niemand fördern würde. Der Vergleich von zwei (zu Studienbeginn) noch unter Patentschutz stehenden Medikamenten wäre weder vom Bundesministerium für Bildung und Forschung noch von einem der Hersteller finanziert worden. Deswegen hat sich das DZHK entschlossen, diese Studie zu unterstützen. Und wie man heute sieht, hat sich das mehr als gelohnt.“

Literatur:

Schüpke S., Neumann F.J., Menichelli M., Mayer K., Bernlochner I., Wöhrle J., Richardt G., Liebetrau C., Witzenbichler B., Antoniucci D., Akin I., Bott-Flügel L., Fischer M., Landmesser U., Katus H.A., Sibbing D., Seyfarth M., Janisch M., Boncompagni D., Hilz R., Rottbauer W., Okrojek R., Möllmann H., Hochholzer W., Migliorini A., Cassese S., Mollo P., Xhepa E., Kufner S., Strehle A., Leggewie S., Allali A., Ndrepepa G., Schühlen H., Angiolillo D.J., Hamm CW., Hapfelmeier A., Tölg R., Trenk D., Schunkert H., Laugwitz K.L., Kastrati A. ISAR-REACT 5 Trial Investigators. Ticagrelor or Prasugrel in Patients with Acute Coronary Syndromes. N Engl J Med. 2019 Sep 1. DOI: 10.1056/NEJMoa1908973


Quelle: Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung e.V.

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